BERLINER SZENEN: Neuköllner Flaschen
Kunst oder weg?
Es ist ein sonniger Nachmittag also tauchen wir ab in den Neuköllner Körnerpark. Im Brunnen: zwei Dutzend Plastikflaschen. In einigen stecken Zettel. Ich bücke mich so tief, dass meine Hose rutscht, erwische eine: „ich w ünsche mir, dass hans noch sehr schöne tage in werder verlebt und einen sanften friedlichen tod findet“, steht darauf. „Ist es Kunst?“, frage ich zögernd. B. gluckst. Dann kippt er sein Ginger Beer.
Ich weiß, was er denkt: Ohne Wodka ist das kein Getränk. Und: Plastikmüll in Neukölln ist keine Kunst. Wir setzen uns, schweigen. Von links nähert sich ein Flaschensammler. Ein Profi in Uniform: Plastiktüte, ausgeleiertes Shirt, Trinkernase. Routiniert ckeckt er den Müll, lässt den Blick schweifen – und erstarrt. Er hat das Flaschenmeer entdeckt. Dann erblickt er uns, zuckt wieder zusammen und lässt sich in sicherer Entfernung nieder. Die Flaschen fest im Blick. Und uns. Vermutlich denkt er, wir seien verantwortlich.
„What a dilemma“, sagt B. Wir erheben uns also. Langsam umkreisen wir den Park, der Sammler soll sich wohlfühlen. Unbeobachtet. Wir lassen ihn nicht aus den Augen. Ein zweiter kommt hinzu. Auch er trägt Uniform. Auch er starrt paralysiert in das trübe Wasser. Minutenlang. Vermutlich kann er es nicht fassen. Was für eine asoziale Kunst!, denke ich. Ich hoffe auf den Flaschensammler. Er soll aus diesem Scheiß wenigstens Geld machen.
Seit einer Stunde schon drücken wir uns im Park herum. Hinter Bäumen. Am Abhang. Wir stehen an der Balustrade, schauen hinunter. Fast haben wir aufgegeben, da steht der Mann auf. Die Tüte am Handgelenk, umrundet er den Brunnen. Wird langsamer. B. grunzt vor Aufregung. Endlich greift er eine Flasche. Und entfaltet den Zettel. Erst dann schaut er auf die Flasche – und pfeffert sie zurück. Das Wasser spritzt. „No!“, ruft B. entsetzt. „It’s a turkish bottle! No Pfand.“
Sonja Vogel
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