: Eine Brücke nach Odessa
UKRAINE Alexey Botvinov ist nach Bremen gekommen, um kulturelle Kontakte zu knüpfen. Im Gepäck hat er Klavierstücke des krimtatarischen Komponisten Karamanov
Interview Klaus Wolschner
taz: Es gibt in Odessa die berühmte Potemkinsche Treppe, die hinunter zum Schwarzen Meer führt ...
Alexey Botvinov: Das ist das Wahrzeichen der Stadt. Der Fürst Potjomkin war ein Vertrauter der Zarin Katharina, die um 1760 die Gründung Odessas als Schwarzmeer-Hafen beschlossen hat.
Eine russische Stadt?
Ja, einerseits. Odessa ist aber von berühmten Europäern vor 220 Jahren geplant und aufgebaut worden, von Franzosen und Spaniern, Griechen, Juden. Es ist die einzige Stadt im russischen Imperium, die mit Hilfe von Ausländern aufgebaut wurde und die Freihandelszone war.Hat das heutige Odessa noch mit dieser Gründungsgeschichte zu tun?
Odessa war mental auch in der Zeit der Sowjetunion eine freie Stadt mit viel Handel, auch illegalem Handel. Odessa war immer europäisch orientiert und international. Meine Großmutter kam aus Polen, aber sie hat aus Furcht vor der stalinistischen Diskriminierung alle Dokumente ihrer Abstammung vernichtet.
Odessa ist heute eine russischsprachige, aber keine russische Stadt. Das ist ein großer Unterschied. Odessa lag lange Jahre im Nirgendwo zwischen dem Westen und Russland, aber der Maidan hat das völlig verändert. Heute herrscht in Odessa das klare Gefühl: Wir wollen nach Europa gehen, auch wenn der Weg lang ist.
Gibt es viel Kulturaustausch zwischen Odessa und westlichen Ländern?
Wenig, viel zu selten. Schuld daran ist wahrscheinlich das schlechte Kulturmanagement in Odessa. Was es bisher gibt, passiert auf privater Initiative. Aber Odessa hat ein großes Potenzial.
Gibt es westlichen Tourismus in Odessa?
Gab es, aber wegen des Krieges ist der Strom im letzten Jahr abgerissen. Die Kreuzfahrtschiffe haben die Linie Istanbul - Krim - Odessa bedient, also das Schwarze Meer, das geht jetzt nicht mehr. Allein die Route Istanbul - Odessa ist weniger attraktiv. Das beginnt aber wieder. Alle Touristen, die nach Odessa kommen, sind begeistert.
Alexey Botvinov
Sie sind nach Bremen gekommen, um mit dem RathsChor über eine Kooperation mit dem philharmonischen Kammerorchester von Odessa zu sprechen. Hat dieses Orchester schon einmal mit Partnern aus dem Westen kooperiert?
Es gab hin und wieder Dirigenten aus dem Westen, die engagiert wurden. Aber eine Konzertreise nach Westeuropa gab es bisher nicht, das wäre eine fantastische Sache.
In ihrem Konzert am Sonntag spielen Sie in der Glocke Stücke von Bach und Brahms, aber auch uns unbekannte Namen wie Silvestrov, Freidlin und Karamanov.
Das ist mir ein großes Anliegen. Das ist fantastische Musik, ein bisschen Jazz, ein bisschen Romantik, moderne klassische Musik. Valentin Silvestrov lebt in Kiew, Jan Freidlin ist ein Jude aus Odessa, der nach Israel emigriert ist. Alemdar Karamanov war ein Krimtatar. Er gehört zur sowjetischen Moderne wie Sofia Gubaidulina, hat sich aber dem politischen Druck in den 1960er Jahren nicht gebeugt und hat sich in seine kleine Wohnung auf der Krim zurückgezogen, um frei zu komponieren. Absolut genial, was er da geschrieben hat.
Solo-Konzert des Pianisten Botvinov-Konzert am Sonntag, 28. Juni, 18 Uhr, Glocke
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