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Archiv-Artikel

Rappen gegen den Alltagsfrust

Sie wohnen zwischen Armen und Arbeitslosen und fürchten, als Erwachsene den Absprung nicht zu schaffen. Noch leben die Migrantenkinder in Nordrhein-Westfalen ihren Ärger in Musik und Sport aus. Zu Besuch in einem Dortmunder Einwandererviertel

„Wenn die Bullen Freunde von mir umbringen, wäre ich auch voll sauer“

AUS DORTMUNDMIRIAM BUNJES

“Egal wie ich mein Leben fand, ich will Zukunft in Deutschland.“ Vier Jungen beugen sich über ein Blatt Papier, versuchen rhythmisch die Kinderschrift abzulesen und dazu auf dem langen weißen Tisch zu trommeln. „Der Flow stimmt noch nicht so“, sagt Liridon. „Ist noch ganz neu.“

Liridon, Hafid, Ourib und Corrado sind Aggro Hannibal, ein HipHop Projekt aus dem Jugendtreff im Hannibal-Gebäude – von den Dortmundern, die nicht dort wohnen, abschätzig Affenfelsen genannt. 412 Wohnungen übereinander gestapelt in grauem Beton, mitten in der Dortmunder Nordstadt, der Straßenstrich ist ein paar Fußminuten entfernt. Die meisten Mieter sind Ausländer oder haben zumindest Migrationshintergrund, viele sind arbeitslos und das schon seit Jahren. “Manchmal gehen hier krasse Sachen ab“, sagt der 14-jährige Ourib. „Die Junkies, die hier rumhängen, an denen geh ich immer ganz schnell vorbei.“ Liridon ruckelt aufgeregt mit seinem Stuhl. „Neulich gab‘s hier sogar ne Stecherei.“

Aber so insgesamt, wohnt man hier ganz gut, finden die Jung-Rapper. Viele sind im gleichen Alter, und im Jugendtreff kann man billig im Internet surfen. Und wenn mal irgendwas Krasses passiert, kann man ja einen Song draus machen. Nur wenn am Wochenende der Jugendtreff zu ist, wird‘s manchmal langweilig. „Aber meistens ist dann auch irgendwo Fußball“, sagt Liridon. Und fügt hinzu: „Es ist hier auf jeden Fall besser als in Albanien, da ist ja nur Chaos und Gewalt und so, dahin geh ich bestimmt nicht zurück.“ Zurück wäre sowieso das falsche Wort. Nur Corrado hat als kleines Kind in Italien gelebt, die anderen von Aggro Hannibal sind in Dortmund geboren: Liridon als Sohn albanischer Bürgerkriegsflüchtlinge, Ouribs und Hafids Eltern kamen als Gastarbeiter aus Marokko in Nordstadt – als es noch Arbeit gab in der ehemaligen Stahl-, Bier- und Kohle-Metropole. Ihre Söhne und Töchter haben es heute schwerer. „Irgend einen Beruf haben“, will der 14-jährige Liridon und zupft an seinen halblangen hellbraunen Haaren. „Falls das mit dem Rappen nicht so klappt. Die anderen nicken – das wollen sie auch. Was, ist eigentlich egal, nur rumhängen ist auf jeden Fall zu langweilig.

Bevor 1996 der Verein „Rund um Hannibal und Heroldstraße“ den Jugendtreff aufmachte und zusammen mit der Stadt Dortmund und den Anwohnern den Hannibal-Innenhof mit Bänken, Büschen und Spielgeräten aufmöbelte, ging aus dieser Langeweile heraus viel kaputt, erzählt Thomas Rottstegge. Der gelernte Sonderpädagoge hat schon als Student für den gemeinnützigen Verein gejobbt, als der Dortmunder Hannibal noch über die Stadtgrenzen hinaus als „Ghetto“, Drogenumschlagsplatz und „das Allerletzte“ bekannt war. Heute gibt es hier nicht mehr Jugendkriminalität als in anderen Dortmunder Stadtteilen – obwohl hier fast doppelt so viele Jugendliche leben. „Unauffällig“, nennt Polizeikommissar Bernhard Hoffstädle seinen Bezirk. „Die Jugendarbeit hat das gut in den Griff gekriegt.“ Situationen wie in den französischen Großstädten kann er sich hier nicht vorstellen. „Wenn Sie das vor zehn Jahren gefragt hätten, hätte ich vielleicht ja gesagt.“ Die Bänke, die die Mitglieder von Rund um Hannibal aufgestellt haben, stehen immer noch, der Müll liegt im Mülleimer, der Fußball Verein TusHannibal spielt inzwischen in der Kreisliga.

Einige Häuserblocks entfernt, auf dem Schulhof der Anne-Frank-Gesamtschule, drischt der 16-jährige Alpaslan seinen Fußball vor einen Mülleimer. Er trifft genau neunzehn Mal, dann fliegt der Ball in einen Busch. Alpaslan hat sich heute Morgen mit einer Gruppe Russen angelegt. „Normalerweise hätten wir uns heute Nachmittag getickt“, sagt er. Er zieht die Schultern in der roten Trainingsjacke zurück, hakt die Daumen in die tief hängende Hose. „Aber ich mach so was nicht mehr, wegen meiner Freundin.“ Die heißt Ilmiya und trägt auch eine rote Trainingsjacke. Nach Alpaslans Liebeserklärung, spuckt sie ihr Kaugummi neben die Bank, auf deren Lehne sie lässig wippt, und spitzt die rot bemalten Lippen zum Kuss.

Sie hängen meistens hier rum, erzählen sie. Oder im Internet-Café um die Ecke, wo man zocken kann, was man will, ohne das jemand ihnen was über Jugendschutz erzählt. „Nordstadt ist echt Scheiße“, sagt Ilmiya. „Echt Ghetto.“ Sie will hier weg, aber es klappt irgendwie nicht. Sie hat keine Ausbildungsstelle gefunden, wohnt bei ihren Eltern „und so ist das halt“. „Wir gehen hier alle kaputt“, sagt sie. Wir, das sind vor allem die Jungs, die Ilmiya so kennt. Die versuchen alle schon gar nicht mehr, nach der Schule was zu finden, erzählt die 17-Jährige. „Sagen ja auch immer alle, es gibt nichts für euch, vor allem wenn ihr auch noch Ausländer seid.“ Viele von den Jungs machen dann „Scheiße“. Heißt: Sachen kaputt treten, prügeln, „weil die anderen ja auch immer sauer sind“ oder illegale Sachen mit Autos oder Drogen. „Wie du früher“, sagt sie zu ihrem Freund. Sie sind jetzt zwölf Wochen zusammen, es ist „auf jeden Fall was für immer“, versichert Alpaslan und spielt mit Ilmiyas dunklen Locken. Er hat gestern in den Nachrichten was über die Unruhen in Frankreich gehört und kann die Wut der Jugendlichen gut verstehen. „Wenn die Bullen Freunde von mir umbringen, wäre ich auch voll sauer“, sagt er. „Aber hier halten die Jugendlichen nicht so zusammen, die aus den verschiedenen Ländern haben zu viele Probleme miteinander, um zusammen sowas zu machen.“

Im Jugendtreff hat sich der 24-jährige Rachid in Rage geredet. „Wenn es hier so was geben würde wie in Frankreich, würde ich sofort mitmachen“, sagt der Deutsch-Marokkaner. Der gelernte Schlosser hat nach seiner Ausbildung keine Stelle gefunden, nur einmal hat er ein Jahr lang für eine Leiharbeitsfirma im Lager Kisten geschleppt. „Das ist doch Scheiße, soll ich mein Leben lang hier rumhängen?“

Er kriegt ein paar zustimmende Blicke. Die meisten sagen aber, dass sie Gewalt falsch finden und lieber einen guten Schulabschluss machen wollen. “Es ist schlecht, wenn man zu viel Zeit hat“, sagt Najim el Mohammadi. „Wer nichts zu tun hat, baut Scheiße.“ Der 24-jährige Stadtbeamte macht Bewerbungstraining mit den Jugendlichen vom Hannibal. „Peer to peer“, nennt das Thomas Rottstegge, weil Najim selbst im Hannibal aufgewachsen ist. Drei Jungen haben in diesem Jahr mit seiner Hilfe eine Lehrstelle gefunden. „Beim Übergang von der Schule zum Beruf versagen die Schulen völlig“, sagt Thomas Rottstegge. Die Bewerbungsschreiben seien voller Rechtschreibfehler, die meisten hätten keine Ahnung, welcher Beruf überhaupt zu ihren Fähigkeiten passt. „Wegen der hohen Jugendarbeitslosigkeit gibt‘s eine Menge sozialen Konfliktstoff“, sagt der Pädagoge. „Es gibt aber genug soziale Angebote, die das auffangen. Ohne die hätten wir hier auch große Probleme.“