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Drohung und Druck

Im Westen wird Präsident Mahmud Ahmadinedschad als unbeirrbarer Dogmatiker gesehen. Doch im Iran selbst gerät er zusehends in Bedrängnis.

<typohead type="3" class="T">Drohung und Druck</typohead>

VON BAHMAN NIRUMAND

"Ich frage mich, welches Land Herr Laridschani vertritt", sagte US-Senator Joseph Lieberman nach der Rede des iranischen Atomverhandlungsführers Ali Laridschani auf der diesjährigen Sicherheitskonferenz in München. Lieberman hat recht. Für Außenstehende ist nicht durchschaubar, wer im Iran das Sagen hat. Das beklagen auch die Europäer, die seit fast vier Jahren mit dem Iran verhandeln. Ist Präsident Mahmud Ahmadinedschad tatsächlich derjenige, der den Kurs bestimmt?

Iran hat inzwischen das Ultimatum des UN-Sicherheitsrats verstreichen lassen und die Forderung, sein Atomprogramm auszusetzen, ignoriert. Dem Land drohen harte Sanktionen, auch die Gefahr eines militärischen Angriffs rückt immer näher. Doch die brisante Lage hinderte Ali Laridschani, der bislang zu den Hardlinern und radikalsten Verfechtern des iranischen Nuklearprogramms zählte, nicht daran, in München wie ein Unschuldslamm aufzutreten. "Sie sollten sich keine Sorgen machen", versuchte er die hochrangigen Vertreter aller Herren Länder zu beruhigen. Iran bedrohe weder Israel noch Europa, und es unterstütze auch keine Terroristen. Jeder Zweifel an den friedlichen Absichten des islamischen Gottesstaates sei völlig unbegründet. Man könne alles auf dem Wege der Verhandlungen regeln.

Noch am selben Tag vernahm man aus Teheran ganz andere Töne. Dort beteuerte Ahmadinedschad vor feiernden Demonstranten zum 28. Jahrestag der iranischen Revolution, sein Land werde sich dem Druck von außen nicht beugen und die vom UN-Sicherheitsrat geforderte Aussetzung seines Atomprogramms niemals akzeptieren. Das Aussetzen der nuklearen Aktivitäten wäre für die Islamische Republik eine "Erniedrigung", sagte der Präsident. Und er legte nach: "Der Iran besitzt nukleare Technologie. Dieser nukleare Zug hat weder eine Bremse noch einen Rückwärtsgang. Wir haben sowohl die Bremse als auch den Rückwärtsgang im Vorjahr weggeworfen."

Wer bestimmt den Kurs?

Vor kurzem hatte der Präsident erklärt: "Den Kurs der Atompolitik bestimme ich." Das hinderte das Außenministerium aber nicht daran, durch seinen Sprecher Mohammed Ali Hosseini verkünden zu lassen: "Iran ist bereit, über jedes Thema zu verhandeln, auch über die Aussetzung des Atomprogramms."

Wer hat im Iran denn nun tatsächlich das letzte Wort? Geht man nach der Verfassung des Iran, liegt die Entscheidung beim Revolutionsführer Ali Chamenei. Der hat bisher zumindest verbal versucht, Ahmadinedschad den Rücken zu stärken, doch seit kurzem geht er offensichtlich auf Distanz. Allein die Tatsache, dass er vorbei an der Regierung seinen außenpolitischen Berater, den ehemaligen langjährigen Außenminister Ali Akbar Welajati, zu Atomverhandlungen nach Moskau geschickt hat, zeigt, dass er dem Regierungschef Zügel anlegen will. Auch Welajati erklärte nach seiner Rückkehr aus Moskau: "Die Aussetzung der Urananreicherung ist für uns kein Tabu."

Chamenei steht unter dem wachsenden Druck vor allem seitens der ehemaligen Kampfgefährten Ajatollah Chomeinis, die über Jahrzehnte die Führung des Landes innehatten und nach wie vor über eine Hausmacht verfügen. Dazu zählen die beiden ehemaligen Staatspräsidenten Haschemi Rafsandschani und Mohammed Chatami oder der ehemalige Parlamentspräsident Mehdi Karrubi. Die Kritik dieser erfahrenen, inzwischen pragmatisch gewordenen Politiker gegenüber der Regierung, deren Repräsentanten wie Ahmadinedschad der zweiten Generation angehören, wird immer lauter und schärfer. Sie lehnen nicht nur die Außenpolitik ab. Weit vehementer gilt ihre Kritik der Innen-, insbesondere der Wirtschaftspolitik, die nach ihrer Auffassung das Land in eine tiefe Krise gestürzt hat.

Das Wort der Geistlichkeit

Ahmadinedschad hatte wohl gehofft, mithilfe der Revolutionswächter, der paramilitärischen Organisation der Basidschis und der Geheimdienste die Macht zu monopolisieren. Dabei glaubte er, die Geistlichkeit ausgrenzen und die grauen Eminenzen und Weggefährten Ajatollah Chomeinis endlich in den Ruhestand schicken zu können. Weit gefehlt. Die herbe Niederlage, die er bei den Kommunalwahlen und der Wahl der Expertenversammlung im Dezember einstecken musste, hat deutlich gezeigt, wer auch noch im 28. Jahr des islamischen Gottesstaates der Herr im Haus ist. Die Expertenversammlung, ein Gremium von Geistlichen, ist unter anderem dazu befugt, den Revolutionsführer zu wählen beziehungsweise abzusetzen. Die Differenzen zwischen der alten Garde und dem Regierungschef sind mittlerweile so groß, dass Ahmadinedschad sich nicht mehr in die heilige Stadt Ghom, den Hauptsitz der Großajatollahs, traut. Während sein Erzfeind Rafsandschani Anfang Februar dort feierlich empfangen wurde, zog der Regierungschef es vor, seinen zuvor angekündigten Besuch in Ghom abzusagen. Gerüchten zufolge sollen ihm die Ajatollahs signalisiert haben, dass er dort unerwünscht sei.

Auch Chamenei scheinen Turban und Umhang näher zu sein als Ahmadinedschads Anorak. Seine Warnungen an den Regierungschef werden in letzter Zeit immer deutlicher. "In aller Freundschaft möchten wir Ihnen gegenüber betonen, dass die Art, wie Sie die Atomfrage in Ihren Reden behandeln, den Eindruck erweckt, als hätten Sie - Gott bewahre - die Absicht, von manchen Versäumnissen Ihrer Regierung abzulenken, als wollten Sie durch die übermäßige Betonung der Atomfrage die Fehler Ihrer Regierung unsichtbar machen", schrieb Dschomhuri Eslami, die Zeitung, die als Sprachrohr des Revolutionsführers gilt und Positionen verkündet, die Chamenei aus Gründen der Staatsräson nicht selbst beziehen will. Letzte Woche ergriff der Revolutionsführer sogar selbst das Wort und warf der Regierung große Versäumnisse vor, vor allem bezüglich der Privatisierung staatlicher Unternehmen.

Ahmadinedschad konnte vor anderthalb Jahren ärmere Schichten der Bevölkerung für sich mobilisieren, weil er soziale Gerechtigkeit versprach. Jeder Iraner solle bei seinem Mittagsmahl feststellen können, dass er an den Öleinnahmen beteiligt werde, erklärte er während seines Wahlkampfs. Er kündigte der Korruption einen erbarmungslosen Kampf an - er werde all jene, die sich am Reichtum des Volkes gemästet und ihre Konten im Ausland gefüllt haben, zur Rechenschaft ziehen. Doch es sollte sich bald herausstellen, dass er zur Lösung brennender Probleme des Landes keinerlei Konzepte zu bieten hatte. Die zunehmende Arbeitslosigkeit, vor allem unter jugendlichen Erwachsenen, die hohe Inflation, die steigende Armut trotz sprunghaft gestiegener Öleinnahmen, der Rückgang von Investitionen und eine hohe Kapitalflucht haben sogar Kritiker aus dem Kreis seiner eigenen Anhänger auf den Plan gerufen.

Einer Umfrage der Nachrichtenagentur Aftab zufolge haben zwei Drittel der Befragten ihre noch vor einem Jahr positive Haltung zum Präsidenten aufgegeben. Und eine vertrauliche Umfrage des staatlichen Rundfunks und Fernsehens kam schon vor drei Monaten zu dem Ergebnis, dass 65 Prozent der Bevölkerung mit der Politik der Regierung unzufrieden sind.

Der Präsident reist nun fast jede Woche mit seinem ganzen Kabinett in eine Provinz, verteilt aus der Staatskasse Almosen an Bedürftige und peitscht durch seine feurigen Reden und seine Attacken gegen die USA und Israel die Massen auf. Doch offenbar gelingt es ihm immer weniger, die Zustimmung der Massen zu erlangen. Ein Abgeordneter aus der konservativen Fraktion warnte ihn kürzlich, er solle sich davor hüten, durch seine Attacken "künstliche Wellen in Gang zu setzen, die einen unaufhaltsamen Sturm auslösen könnten".

Als die Preise für Lebensmittel so hoch gestiegen waren, dass selbst die konservative Presse nicht mehr darüber schweigen konnte und die Regierung zum Handeln aufforderte, versuchte Ahmadinedschad die Schuld den Medien in die Schuhe zu schieben und löste damit allgemeines Gelächter aus. "Was können wir dafür, wenn Regierungsvertreter im Fernsehen behaupten, dass ein Kilo Fleisch 3.900 Tuman (3,90 Euro) kostet, während die Zuschauer am selben Tag dafür mindestens 5.500 Tuman (5,50 Euro) bezahlen mussten", konterte Ezatollah Zarghami, Chef des Fernsehens und Rundfunks.

Ein Agrarsachverständiger, der nicht genannt werden wollte, sagte der taz, die Regierung, die angeblich nationale Interessen vertreten und unabhängig sein wolle, lasse zu, dass Obst und Gemüse aus dem Ausland eingeführt werden, während einheimische Güter tonnenweise verderben und die Bauern in den Ruin getrieben werden.

Auch im Bereich der Industrie liegt vieles im Argen. Statt die längst beschlossene Privatisierung staatlicher Unternehmen voranzutreiben, wurde der Regierungsapparat weiter aufgebläht. Und statt die Öleinnahmen produktiv einzusetzen, werden enorme Summen als Almosen verteilt, um die Popularität des Regierungschefs zu steigern. Abgeordnete im Parlament warfen Ahmadinedschad vor, die Staatskasse als seine "Privatschatulle" zu betrachten, aus der er nach eigenem Gutdünken Geld entnehmen könne. Der Wirtschaftsexperte Bahman Arman sagte in einem Interview mit der Agentur Aftab: "Seit der Amtsübernahme der neuen Regierung wurden in der Stahlindustrie oder chemischen Industrie keine Investitionen vorgenommen. Der Hafen Oslawieh, der dabei war, sich zum größten Industriezentrum des Landes zu entwickeln, gleicht einem Friedhof."

Importbenzin im Ölstaat

Iran, der viertgrößte Ölproduzent der Welt, muss nun vierzig Prozent seines Benzinbedarfs einführen. Das importierte Benzin wird vom Staat subventioniert und zum selben Preis wie das inländische verkauft. Statt in Raffinerien zu investieren, um deren Kapazität zu erhöhen, wurde die Subvention für Importbenzin von 2,5 auf 5 Milliarden Dollar verdoppelt.

Zu alledem kommt, dass nicht nur Privatunternehmer aufgrund der unsicheren politischen Lage ihr Kapital in zweistelliger Milliardenhöhe außer Landes gebracht haben, sondern sich auch ausländische Investoren immer zurückhaltender verhalten. Wie US-Außenministerin Condoleezza Rice sagte, sind Boykottmaßnahmen gegen den Iran längst in Kraft getreten.

Hält der Präsident durch?

Nach wie vor wird der iranische Markt, auch der Schwarzmarkt, von mafiösen Organisationen, ehemals als Stiftungen zur Unterstützung der "Schwachen und Barfüßigen" gegründet, beherrscht. Seit Ahmadinedschads Machtübernahme wird auch die Organisation der Revolutionswächter, die inzwischen mächtiger ist als die reguläre Armee, mehr als je zuvor durch Vergabe von nicht ausgeschriebenen Staatsaufträgen an der Beute beteiligt. Sie und die "Stiftungen" zahlen keinen Zoll, keine Steuern und sind niemandem Rechenschaft schuldig.

Wenn es so weitergeht, schätzen einige politische Beobachter, wird Ahmadinedschad die ihm verbliebene Amtszeit von zweieinhalb Jahren nicht überstehen. Es sei denn, der Druck von außen wird so stark, dass er die inneren Probleme in den Hintergrund drängt und Gegner und Kritiker zum Schulterschluss mit der Regierung zwingt.

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