Schockrock: Auge in Auge mit dem Bösewicht

Mit seinem neuen Album „Eat Me, Drink Me“ verarbeitet Marilyn Manson seine Scheidung und versucht vorsichtig sein „Schockrocker“-Image zu renovieren.

Geläutert, aber noch nicht abgeschminkt: Brian Warner Bild: Universal

Man stelle sich vor, der Teufel würde sich auf eine Therapiecouch legen. Das Ergebnis wirkte vermutlich ähnlich verstörend wie der Auftritt von Marilyn Manson neulich in Berlin. Der 38-jährige, selbst ernannter „Antichrist Superstar“, stellte dort sein neues Album „Eat Me, Drink Me“ vor. Ein kannibalistischer und damit auch irgendwie christlich angehauchter Albumtitel, eine mit viel Kunstblut und einigen ausgestopften Tieren zum Spukschloss umdekorierte Grunewald-Villa: nichts anderes hatte man erwartet von einem Menschen, der mit expliziten Texten, dissonanter Musik und einem bewusst unschön gestalteten Äußeren seit nunmehr fast zwanzig Jahren die Werte der amerikanischen Jugend gefährden soll.

Was dann aber folgte, war einigermaßen überraschend. Denn nicht das gewohnte, ohrenbetäubende Industrial-Brett tönte aus den im Salon aufgestellten Boxen. Vielmehr ein eingängiges Gitarrenalbum mit klassischen Songstrukturen, das stellenweise nach ziemlich altmodischem Hardrock klingt und damit das Zeug für die Hitparaden der Welt hat. Auch sind weder Politik noch Religion noch Satanismus auszumachen auf diesem ersten Werk nach vierjähriger Schaffenspause – es geht um nichts als die Liebe. Die elf Songs des Albums heißen „Putting Holes In Happiness“ oder „Heart Shaped Glasses (When The Heart Guides The Hand)“, und obwohl die Texte immer noch beliebte Manson-Vokabeln wie Tod, Vampire, Hölle oder Frankenstein enthalten, erzählen sie recht einfühlsam und vor allem unverblümt Persönliches. „Dieses Album ist mein Tagebuch“, sagt ein leicht gebeugter Manson den Zuhörern und berichtet von einer Achterbahnfahrt der Gefühle, von Depression und Rettung. Als der Künstler schließlich noch seine neue Freundin und Muse an der Hand in den Saal führt, um sie den Anwesenden vorzustellen, ist klar: Es menschelt im Hause Manson, und die Öffentlichkeit darf, sie soll offensichtlich, ja sie muss sogar davon erfahren.

In der Tat hatte es Brian Warner, wie Marilyn Manson in einem zugegebenermaßen eher schwer vorstellbaren bürgerlichen Leben heißt, nicht leicht im vergangenen Jahr: Die alabasterhäutige Striptease-Göttin Dita von Teese verließ ihn nach siebenjähriger Beziehung und einem Jahr Ehe und reichte wegen „unüberbrückbarer Differenzen“ die Scheidung ein. Uneins sollen sich die Eheleute vor allem über den Alkohol- und Drogenkonsum des Gatten sowie über dessen Affäre mit der 19-jährigen Schauspielerin Evan Rachel Wood – die in Berlin mitgeführte neue Muse – gewesen sein.

Das hätte man sich natürlich denken können, schließlich gehören Betrug und Ausschweifungen essenziell zu der Figur, als die sich der Amerikaner bislang inszeniert hat: ein widerborstiger, von kranken Fantasien getragener Geist in einem kranken Körper, mit trüben Augen, einem Gebiss aus Stahl und dem Teint eines Toten. Sogar für das Highschool-Massaker von Columbine sollte der Sohn eines Vietnam-Veteranen und Verehrer okkulter Rituale verantwortlich sein.

Und jetzt soll auf einmal alles doch nicht so einfach sein? „Während meiner Ehe hätte ich beinahe meine Identität verloren. Die Aufnahmen zu dieser Platte haben mir mein Leben und mein Selbst zurückgegeben. Ich habe lange nicht gesehen, dass ich in einer Beziehung steckte, in der ich unglücklich darüber war, dass ich mich ändern sollte“, sagt Manson. Im Verlauf des Gesprächs werden noch einige Aussagen dieser Art folgen: dass er sich nicht mehr schäme, sein wahres Ich zu zeigen und er selbst zu sein; dass er mit dem Leben heute anders umgehe als früher, als er „sehr unsicher und maßlos gewesen sei“. Die verbindlichen Worte aus dem korallenrot geschminkten Mund nähren zunehmend den Verdacht, der Albtraum Amerikas sei auch bloß ein fühlender Mensch, der seinen Liebesschmerz wie jeder anständige Künstler ins einem Werk verarbeitet.

Von Manson hätte man allerdings eher erwartet, dass er auf den toten Körper seiner Exfrau onaniert. Doch der neue Manson ist das Resultat eines Erkenntnisprozesses: „In der Vergangenheit hatte ich das Gefühl, nichts mehr zu sagen zu haben, mich selbst zu beschränken auf Themen, die ich eigentlich schon bearbeitet hatte. Ich hätte mich ewig wiederholen können, aber dann habe ich gemerkt, dass die Lösung in der Vereinfachung liegt“, sagt der schlaksige Mann, der im Interview so eloquent wie intelligent wirkt. Ein Zufall oder nicht, dass ihm dabei die private Katastrophe zu Hilfe kam, denn so konnte Manson die neue Lust an der unverstellten Gefühlsäußerung direkt in die Tat umsetzen. Mit einer Platte, die zur einen Hälfte Scheidungsalbum, zur anderen Hälfte die Feier frischer Leidenschaft ist. Die Mansonschen Bemühungen um Häutung wirken dabei nicht immer aufrichtig, sind dafür aber so plakativ wie eh und je. Nein, als Abrechnung mit seiner Exfrau sei das neue Album mitnichten zu verstehen, sagt er, sondern vielmehr als romantisches Statement, denn Romantik bedeute ja nicht nur Glück, sondern auch Verzweiflung und eine extreme Form der Liebe. Und wälzt sich im Video zum Song „Heart Shaped Glasses“ prompt mit dem Scheidungsgrund – der aussieht wie eine jüngere, blonde Dita von Teese – beim Liebesakt auf einem blutgetränkten Lager. Dabei soll es sich selbstredend um das vormalige Ehebett handeln, das eigens für diese Szene nachgebaut wurde.

Manson hat aber offensichtlich auch erkannt, dass das, was an ihm vor Jahren noch schockierend wirkte, heute eher an wie Karikatur eines verirrten Pierrot als an den Antichristen erinnerte. Und dass kostümierter Hardcore-Industrial gepaart mit expliziter Konsum- und Religionskritik heute selbst Amerikanern als das erscheint, was es ist: eine Inszenierung, die selbst treue Geisterbahnfahrer irgendwann auf das Riesenrad umsteigen lässt. „Dadurch, dass ich auf dem neuen Album ausdrücke, was mich bewegt, sage ich viel mehr als alles, was ich in der Vergangenheit über Nietzsche, Existentialismus, Alchemie oder Transformationen des Willens oder der eigenen Identität gesagt habe. Mir war nicht klar, dass ich die Prozesse, über die ich immer nur gesprochen habe, selbst durchlaufen muss“, sagt ein für seine Verhältnisse dezent gekalkter Manson am Ende des Gesprächs, bei dem er unter seinem Lederdress statt hautfarbener Strapse ein Ed-Hardy- Shirt trägt.

Die schweren Vorhänge sind trotzdem immer noch zugezogen an diesem sonnigen Frühsommertag, und vor dem Künstler thront im Halbdunkel ein großes Glas Absinth. Mit all dem soeben Gehörten möchte man dem Mann im Sessel am liebsten aus seinen riesigen Stiefeln mit den absurd dicken Kreppsohlen helfen. Aber vermutlich sitzen sie einfach schon zu lange und zu fest am Fuß.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.