Emaille: Eine bedrohte Art

Email - was war das doch gleich? In Hamburg hat man Gelegenheit, sich von dem in Vergessenheit geratenen Material überraschen zu lassen.

Stumpfer Glanz, helle Freude - Detail aus Franz Hartmanns Brautlade, 1929 Bild: reinhard krause

TAZ MAG Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe, im Vorraum zur Moderne-Abteilung. Zwei Besucher steuern auf eine der sechs Glasvitrinen zu. Vor den leuchtend bunten Metallschalen aus den Fifties bleiben sie stehen. "Ganz furchtbar!", sagt die Frau sehr unhanseatisch laut. Der Mann brummt Unverständliches, die Frau schüttelt sich unwillig. Vor der nächsten Vitrine reagiert sie noch exaltierter - diesmal allerdings vor Begeisterung. "Traumhaft, unfassbar schön" findet sie, was sie nun vor sich sieht: einen Besteckkasten mit Hochzeitsmotiven. Sein etwa 60 mal 50 Zentimeter großer Deckel und die Seitenwände sind komplett mit üppigem Dekor bedeckt. Auf den ersten Blick erkennt man sattes Blattwerk, zwei menschliche Figuren und jede Menge Tiere, von jeder Sorte ein Paar. Was aber vor allem frappiert: Wo sah man je solch matten Glanz der Farben?

Was die Besucherin im Wechselbad ihrer Gefühle womöglich gar nicht realisiert: Die organisch geformten Anbietschalen wie auch die exotische Brautlade hat nicht nur ein und derselbe Kunsthandwerker entworfen, er hat dabei auch denselben, längst vergessenen Werkstoff benutzt: Email. Nur dass er beim Besteckkasten die eigentlich hochglänzenden Flächen abgeschliffen und poliert hat - daher die stumpfe, fast aquarellartige Qualität des Emails.

Jüngere Menschen kennen heute oft nicht einmal mehr den Begriff. E-Mail? Ältere erinnern sich vielleicht noch dunkel an kleine Elektroöfen, in denen Münzen, Broschen oder Messingascher eine aufdringlich bunte Glashaut verpasst bekamen. An atemberaubende stumpffarbige Flächen oder gar den Impuls, ein Stück aus diesem Material besitzen zu wollen, denkt heute hingegen niemand mehr. Kaum ein Bereich des Kunsthandwerks gilt als so hoffnungslos überholt wie das Email. Nur das Schmiedeeisen hat noch schlechtere Aussichten auf eine Renaissance.

"Magen und Darm" (Detail), 1963: Ragna Sperschneiders emaillierte Organik in Planten und Blomen Bild: reinhard krause

Insofern ist es fast schon ein Wagnis, dass das Museum für Kunst und Gewerbe Franz Hartmann, dem Schöpfer dieser in Vergessenheit geratenen Kleinodien, zu seinem 100. Geburtstag eine kleine Retrospektive widmet. Ein anderes großes Museum hatte zuvor die Offerte der Erben ausgeschlagen, die dem Haus eine Auswahl von Hartmanns besten Stücken hatten schenken wollen. Und so finden sich nun all die preisgekrönten Arbeiten des Berliner Hochschullehrers (1907-1989), der seine ganze künstlerische Energie der Emailkunst widmete, in Hamburg wieder. Etwa eine kleine Silberdose mit einer südlich anmutenden Gartenszene, für die Hartmann 1940 auf der Mailänder Triennale eine Goldmedaille erhielt, Bildplatten aus den Siebzigerjahren oder ein kleiner Klappaltar. Das Glanzstück aber ist und bleibt der Besteckkasten, den Hartmann bereits 1929 schuf - als gerade 22-Jähriger - und für den er auf der Pariser Weltausstellung von 1937 mit seiner ersten Goldmedaille ausgezeichnet wurde.

Obschon Emailarbeiten seit byzantinischer Zeit überliefert sind, blieb das Email bis ins späte 19. Jahrhundert stets in zurückhaltendem Einsatz. Großflächige Anwendung im Kunsthandwerk fand es erst mit Beginn des Jugendstils. Zentren der Emailkunst wurden Frankreich (René Lalique) und Wien (Marie Likarz), später in Deutschland vor allem die Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein in Halle mit Lili Schultz als prägender Gestalterin. Erst mit der Erfindung des sogenannten Maleremails wurde es möglich, freier zu arbeiten. Jahrhundertelang waren die Emailleure zuvor darauf angewiesen, zunächst in aufwendiger Technik (Zellen- oder Grubenschmelz) eine Art Wanne für den Auftrag des mit Oxyden gemischten Glaspulvers zu schaffen, das dann im Brand schmolz.

Von Halle aus setzte sich die emaillierte Bildplatte "geradezu epidemisch" durch, wie Rüdiger Joppien feststellt, der Leiter der Moderne-Abteilung im Museum für Kunst und Gewerbe. "Es entstand ein völlig neuer Typ von kunstgewerblichem Gegenstand. Zu dieser Kunst fühlten sich Kunsthandwerker berufen, die sich malerisch äußern wollten, aber auch Maler, die zu Emailkünstlern mutierten." In diese zweite Gruppe gehörte auch Franz Hartmann, der von 1926 bis 1934 an den Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst in Berlin studierte.

Als Hartmann nach dem Zweiten Weltkrieg an die Meisterschule für das Kunsthandwerk in Westberlin berufen wurde, trat er mit seinem künstlerischen Werk kaum noch an die Öffentlichkeit. Ganz im Privaten übertrug er, so Joppien, sämtliche Kunstströmungen seiner Zeit in den Werkstoff Email - ob es sich um abstrakte Tendenzen handelte oder figurative Darstellungen, um stilistische Anleihen bei Picasso, Léger oder Baumeister.

Lungenansicht von Ragna Sperschneider Bild: reinhard krause

Bis in die Sixties war Email geradezu eine Königsdisziplin des Kunsthandwerks, doch parallel zum Siegeszug in Volkshochschulen und Do-it-yourself-Seminaren setzte der Niedergang des künstlerischen Renommees ein. Selbst an den Fachhochschulen wird die Technik heute kaum noch unterrichtet. An der Staatlichen Zeichenakademie Hanau, lange federführend in der Ausbildung von Emailleuren, findet es sich nur noch im "flexiblen Programm", neben Fotoshop, Aktzeichnen oder Sport. Auch an der FH Düsseldorf, wo Lili Schultz von 1958 bis 1965 unterrichtete, taucht es nur noch in Workshops auf. Elisabeth Holder, Professorin im dortigen Fachbereich Schmuckdesign, benennt die Gründe für das stark rückläufige Interesse: "Email ist sehr zeitaufwendig, zudem hochspezialisiert. Das größte Problem für Designer aber ist, sich einen Kundenkreis aufzubauen und einen Lebensunterhalt damit zu verdienen." Schon ihre Vorgängerin Sigrid Delius, Schülerin und Nachfolgerin von Lili Schultz, musste von den Siebzigerjahren an den Emaillierunterricht kontinuierlich herunterfahren. Die Nachfrage nach Künstleremail war im Sinkflug begriffen. Auch die Kirchen, die nach dem Krieg erhöhten Bedarf an liturgischem Gerät hatten, fielen als Auftraggeber wieder aus.

Nach den Spuren der letzten "Monogamisten" des Emails, wie Rüdiger Joppien Lili Schultz und Franz Hartmann nennt, muss man heute selbst in Museen suchen. Ungewöhnliche Emailkunst lässt sich in Hamburg aber auch umsonst und draußen erleben - im 1963 für die Internationale Gartenbauausstellung angelegten Apothekergarten in Planten un Blomen. Jede der sieben ummauerten Abteilungen der Heilkräuter-Schausammlung ist einem anderen Gesundheitsthema gewidmet: "Nerven", "Herz und Kreislauf" oder "Blase und Nieren". Jedes Sujet wird mit einer zwei Meter hohen Emailarbeit illustriert. Wer sich für Materialgerechtigkeit begeistern kann, wird seine helle Freude daran haben, wie hier Lungenbläschen, Kapillarsysteme oder der Knochenbau in Kunst umgesetzt worden sind. Geschaffen hat diese Arbeiten die Hamburgerin Ragna Sperschneider (1928-2003).

Für das nächste Jahr plant das Museum für Kunst und Gewerbe auch zu Sperschneiders 80. Geburtstag eine Einzelausstellung. Eine kleine Verbeugung vor einer Meisterin des Fachs - die übrigens mit ihren emaillierten Silberdosen in späteren Jahren häufiger in Gefahr war, bei der Jahresmesse des Kunsthandwerks ausjuriert zu werden. Email galt nicht mehr als Metier, mit dem man neue Besucher an die Messe heranführen könne. Der Drang nach Neuem ist auch in einem so sehr auf Beständigkeit ausgerichteten Bereich wie dem Silberhandwerk wirkmächtig.

Der Geist will Erneuerung, das Überkommene muss erst vergessen sein, bevor es vielleicht wiederentdeckt wird und aufs Neue starke Emotionen auszulösen vermag. Oder gar Ausrufe provoziert wie "Unfassbar schön!".

"Brillantes Email - Franz Hartmann zum 100. Geburtstag". Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg, noch bis zum 29. Juli

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