die wahrheit: Käse und Komik

In Kassel wurde die Caricatura V eröffnet, die größte Ausstellung zeitgenössischer Karikaturen in Deutschland.

Auch auf der Caricatura: Die Künstlergruppe Surrend Bild: dpa

Als sich am Donnerstagabend bei Einbruch der Dunkelheit eine große Menschenmenge im Kasseler Dauerregen unter ihren Schirmen auf dem Vorplatz des Hauptbahnhofs versammelte, um ein Denkmal einzuweihen, musste man unwillkürlich an die wohl berühmteste Denkmaleinweihungsszene der deutschen Film- und Literaturgeschichte denken. In Heinrich Manns "Der Untertan" wird die Menge von einem anschwellenden Unwetter regelrecht hinweggespült. Das blieb den Einweihern an diesem Abend glücklicherweise erspart, denn das Unwetter hatte sich bereits am Tage ausgetobt und sich ein anderes Kunstwerk zur Zerstörung ausgesucht. Im Sommersturm stürzte der Holztürenturm des chinesischen documenta-Stars Ai Weiwei ein. Der allerdings nahm es mit asiatischer Gelassenheit und erklärte die Natur zur größten Künstlerin.

Von ganz großer Kunst und vor allem einer ganz großartigen Parodie auf das Mahnen und Warnen in der Kunst konnte der Hessische Rundfunk so live und ungestört berichten. Der Hamburger Zeichner Ernst Kahl hatte ein zehn mal zehn Meter großes Areal mit weißen Tierplastiken auf weißen Sockeln und weißen Kreuzen und weißen Umgrenzungen um einem grünen Rasen in Form eines Brunnenrunds gestaltet und zum "Mahnmal für die beim Luftbombardement am 22. 10. 1943 ums Leben gekommenen Bewohner des Tierwaisenheims St. Bonifatius in Kassel" erklärt. Nie sahen ein Pferd, ein Schwein, ein Schaf, ein Hund und ein Hase niedlicher und unschuldiger aus. Ihnen zu Ehren enthüllte der Künstler unter dem Beifall des Publikums eine Schrifttafel, auf der die erschütterten Betrachter erfuhren: "Sie hatten nichts getan und wurden doch getroffen." Als dann auch noch ein Trompeter "Ich hatt einen Kameraden" schmetterte und ein vorbeifahrender Rettungswagen mit seinem Martinshorn in die Trauerklänge einfiel, war das Publikum hin und weg vor Begeisterung über die irrsinnig kitschige und rasend komische Inszenierung.

Seit 20 Jahren findet parallel zur großen Schwester documenta die Caricatura statt, die größte Ausstellung zeitgenössischer Karikaturen und komischer Kunst. Zeit für eine Zwischenbilanz, und so heißt die Ausstellung dann auch "Die Bestandsaufnahme". Und nichts anderes ist die Caricatura V, die meisten komischen Zeichner und Künstler sind vertreten.

Der neu gestaltete Südflügel im Kulturbahnhof ist weitläufig, Exponate sind großzügig gehängt, hier tritt die Karikatur auf die große Bühne. Die braucht allerdings auch zum Beispiel Lillian Mousli mit ihrem rätselhaften Comic-Mosaik, das mit seinen 73 Teilen eine ganze Wand bedeckt und den Betrachter in eine geheimnisvolle Geschichte hineinzieht, die ganz zu entschlüsseln wohl niemandem gelingt. Sehr viel schneller funktioniert die Komik von Thomas Kapielski. Er hat einen gelben Reclam-Band angeschnitten und andeutungsweise Löcher auf das Cover gezeichnet. So wird Hans-Georg Gadamers "Die Aktualität der Schönheit" zum Käse oder wie Kapielski es nennt: "Alter Gadamer". Eine genial einfache Idee, mit der sich die Herstellung von Komik lehrbuchhaft erklären lässt, da hier zwei weit voneinander entfernte Dinge wie ein hochintellektuelles Essay und schnöder Käse überraschend zusammengeführt werden.

Und so wandelt man durch die Hallen und bewundert die unterschiedlichen Stile und Formen der Künstler, immer wieder aufgestört vom leisen Kichern oder auch lauten Prusten der Mitwanderer. Ganz sicher ist damit diese Ausstellung die erfreulichste, die derzeit in Kassel stattfindet. Und das gilt selbst für die Totenhalle. Denn zur "Bestandsaufnahme" gehört auch "Das Kabinett der Unsterblichkeit", in das die verstorbenen Zeichner Robert Gernhardt, Bernd Pfarr, Chlodwig Poth und F. K. Waechter aufgenommen wurden. Hier können zeitlos schöne Werke wiederentdeckt werden: Gernhardts "Scheiternde Hunde" oder Pfarrs "Kleine Nachtmusik" oder Poths "Hundehassblatt" oder Waechters "Witze auf Kosten von Hirschen". Eine Generation ist abgetreten, die seit den Sechzigerjahren die komische Kunst geprägt hat. Das Tröstliche ist, das diese Komik bleiben wird, denn bei den nachgekommenen Zeichnern lassen sich zum Glück viele Einflüsse und Weiterentwicklungen wahrnehmen.

Aber bevor es beim Stichwort Entwicklungen oder gar Relevanz der Karikatur in der Kunst zu ernsthaft wird, erdet sich die Karikatur selbst wieder. Denn die Ausstellung arbeitet noch einmal den Karikaturenstreit und verwandte Vorgänge der letzten Jahre auf, von den dänischen Mohammed-Karikaturen über die Karikatur der iranischen Fußballmannschaft bis zu Polens neuen Kartoffeln, womit Die Wahrheit auch ihren Beitrag dazu lieferte, dass die gern als Randkunst eingestufte komische Kunst zeitweilig in den Mittelpunkt gerückt ist. Mit der Globalisierung ist es zu einem Zusammenstoß der Wahrnehmungen gekommen. Die Karikaturisten und Satiriker, deren Aufgabe es ist, die Wirklichkeit zu verfremden und verzerren, treffen auf die Bilderstürmer, die nicht mehr hinsehen, weil sie Bilder gar nicht mehr verstehen wollen.

Doch das war alles weit weg an diesem Eröffnungsabend, der unter den wilden Pfiffen des zwölfköpfigen "Original Oberkreuzberger Nasenflötenorchesters" ganz und gar nicht beschaulich ausklang. Und die anwesenden Zeichner waren sich einig, dass es nur ein Motto für diesen Abend geben konnte: "Sie hatten nichts getan und wurden doch getroffen."

CARICATURA V "Bestandsaufnahme der Komischen Kunst", 22. Juni bis 23. September 2007, So. bis Do. 10 bis 20 Uhr, Fr. und Sa. 10 bis 22 Uhr, Eintritt 6/3 Euro, KulturBahnhof Kassel - Südflügel Katalog: CARICATURA V, "Die Bestandsaufnahme der Komischen Kunst". Nils Folckers, Martin Sonntag (Hg.), gebunden, 304 Seiten, durchgehend farbig, Lappan Verlag, Oldenburg, 29,95 Euro, in der Ausstellung 25 Euro

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Jahrgang 1961, lebt in Berlin-Friedenau und ist seit dem Jahr 2000 Redakteur für die Wahrheit-Seite der taz.

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ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

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