Terrorwarnung : "Der Alarmismus greift um sich"

Geheimdienste produzierten eine Mixtur aus Fakten und Gerüchten - und die Sicherheitsbehörden könnten die Gefahren kaum mehr realistisch einschätzen, meint Politologe Wolf-Dieter Narr.

"In Heiligendamm wurden die Ereignisse hochstilisiert, als ob die Republik dort von Gewalttätern umringt gewesen wäre." Bild: dpa

taz: Herr Narr, aus dem Bundesinnenministerium von Herrn Schäuble (CDU) kamen vor kurzem bisher nicht gekannte Terrorwarnungen: Da hieß es etwa, deutsche Staatsbürger ließen sich von den Taliban zu Selbstmordattentätern ausbilden und seien auf dem Weg nach Deutschland. Im Bereich des Terrorismus bestehe "eine Situation wie im Jahre 2001". Wie bewerten Sie das?

Er ist Professor für Politische Wissenschaften. Bis 2002 lehrte er hauptberuflich an der Freien Universität Berlin (FU). 1978 war er Mitbegründer des Komitees für Grundrechte und Demokratie, im selben Jahr initiierte er das Forschungsprojekt "Bürgerrechte & Polizeientwicklung". Heute ist er Leiter des im Jahr 1991 gegründeten Instituts für Bürgerrechte & öffentliche Sicherheit an der FU.

Wolf-Dieter Narr: Zunächst sah es in der Tat so aus, als ob da der Ernstfall ausgerufen worden wäre und eine unmittelbare Bedrohung für hochgestellte Personen und vielleicht auch für die einfachen BürgerInnen bestanden habe. Doch rasch gewann man den Eindruck, dass es sich doch eher um um Alarmismus, gehandelt hat.

Woher kommt plötzlich ein solcher Umschwung?

Dieser Alarmismus ist wohl in den international kooperierenden Geheimdiensten begründet. Die Geheimdienste sind eigendynamisch geworden. Niemand weiß, wie ihre Informationen zu bewerten sind. Aus einer Mischung von realen, seriös zusammengetragenen Informationen und von zweifellos bestehenden kleinen Verschwörungszirkeln werden Meldungen zusammengewürfelt und an die politische Adresse gegeben. Und aus politischen Interessen, die Politik, oder besser gesagt Nichtpolitik, verdecken sollen, entsteht dann ein solcher Alarmismus.

Selbst der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) hat die Aussagen Schäubles jedoch rasch für überzogen erklärt.

Nun, ganz ohne Realitätsprinzip geht es natürlich auch nicht. Offensichtlich ist es aber so, dass man den luftblasenden Alarm braucht, um den riesigen Aufwand an Sicherheitsapparaten zu legitimieren. In Heiligendamm etwa wurden die Ereignisse in einer Weise hochstilisiert, als ob die Republik dort von Gewalttätern umringt gewesen wäre. Aus eigenem Erleben weiß ich, dass sowohl Demonstrationsleitung als auch die polizeiliche Einsatzleitung massive Fehler gemacht haben. Aber offenbar braucht man solche Alarmblasen, um den gewaltigen Sicherheitsaufwand zu legitimieren. Das Gefährliche daran ist, dass Politiker und Sicherheitsfachleute inzwischen nicht mehr in der Lage sind, Gefahren richtig einzuschätzen. Die Interpretationsgrundlage lautet: Gefahr lauert überall, und wer harmlos aussieht, ist umso gefährlicher.

Kann man das denn wirklich auf eine Eigendynamik der Sicherheitsdienste zurückführen?

Klar ist jedenfalls, und das gilt nicht erst seit dem 11. 9. 2001, dass es seit Jahrzehnten immer wieder neue Sicherheitsgesetze gibt. Neuerdings, das ist ja Schäubles besondere Rolle, werden die bisher ausdifferenzierten Gewaltmonopole - Militär und Polizei - immer stärker verfingert. Was an politischer und ökonomischer Angst dahintersteckt, ist schwer zu sagen. Es sieht ja nun nicht so aus, als ob Deutschland unmittelbar vor dem Kollaps stünde. Eher erscheint die Gesellschaft geradezu ultrastabil. Für mich zeigt dies neben einem Wirklichkeitsverlust, dass die staatliche Gewaltfähigkeit just in Zeiten der Globalisierung wieder enorm an Bedeutung gewinnt. Und dass nicht damit gerechnet wird, dass man zwangsläufig auftauchende Konflikte nicht mit Sozial- oder Arbeitsmarktpolitik beheben kann. Doch innerstaatliche Aufrüstung bringt an bürgerlicher Sicherheit nicht mehr. Im Gegenteil, damit und durch solche Pseudomeldungen wird das Ende aller Sicherheit erzeugt. Ob und wie lange das funktioniert, ist schwer zu sagen.

Zumindest in Großbritannien funktioniert es schon eine Weile. Nun hat auch der neue Pariser Polizeichef erklärt, dort sei die Anschlagsgefahr noch nie so hoch gewesen. Europol warnt ebenfalls, die Lage in Europa sei "ernster denn je". Gilt Ihre Analyse auch für einen gesamteuropäischen Raum?

Die EU versucht, sich inner-, aber auch außereuropäisch gewaltpotent zu erhalten. Es findet nicht nur eine zunehmende Vernetzung der Geheimdienste statt; es wird auch versucht, im europäischen Raum jederzeit mit Gewaltpotenzialpräsenz einsatzfähig zu sein. Wenn jetzt vorgeschlagen wird, eine "Autonomen"-Datei einzurichten, dann muss ich fragen: Wer ist denn dieses Pseudosubjekt der Autonomen? Offenbar vergrößern die Sicherheitsverantwortlichen überall ständig ihren eigenen Realitätsverlust. Und in einen abgehobenen, engen Sicherheitsbegriff strömt dann so ein Alarmismus. Wenn ich keinen Schritt aus der Tür mache, weil ich mir das Bein brechen könnte, sondern mich in den Panzerschrank zurückziehe, laufe ich dennoch Gefahr, dort zu ersticken. Leben ist nun mal mit Risiken verbunden.

Also: Wie gefährdet ist die Bundesrepublik aus Ihrer Sicht?

Sie ist gefährdet durch unfähige, dumme Politik, ansonsten kaum.

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