Afrikanischer Hip Hop: "Musik konnte mich heilen"

Der Musiker KNaan floh als 13-Jähriger aus Somalia nach Kanada, wo er HipHop, Reggae und afrikanische Musik fusioniert. Ein Gespräch über Erinnerungen und Botschaften.

Beschreitet den afrikanischen Weg und bringt den HipHop zurück nach Hause: KNaan Bild: peter graham

taz: Herr KNaan, in Ihrem Song "The African Way" rappen Sie über HipHop: "I take it home". Haben Sie dieses Gefühl, dass Sie HipHop wieder zurück nach Afrika, nach Hause bringen?

Kaynaan Warsame, 29, war 13 Jahre alt, als der Diktator Siad Barre von Rebellengruppen abgesetzt wurde und Somalia ins Chaos stürzte. Seit 1991 befindet sich das Land im Bürgerkrieg, eine UN-Mission unter US-Führung scheiterte 1995. Mitte 2006 eroberten Islamisten die Hauptstadt Mogadischu und wurden im Dezember von der äthiopischen Armee vertrieben. Seitdem versucht eine Übergangsregierung, sich in Somalia zu etablieren.

Am Tag bevor 1991 die amerikanische Botschaft schloss, erhielt Kaynaans Mutter ein Visum und bestiegt mit ihren Kindern den letzten zivilen Flug, der das Land verlassen konnte. Der Vater war bereits Jahre zuvor aus Somalia geflüchtet, hatte in New York als Taxifahrer gearbeitet und von dort seinem Sohn HipHop-Platten geschickt. Die wieder zusammengeführte Familie zog in den kanadischen Bundesstaat Ontario und lebte in Rexdale in einer großen somalischen Exilanten-Gemeinde.

Es sind diese Erlebnisse, die die Musik bestimmen, die Warsame unter dem Künstler-Alias KNaan seit sechs Jahren macht. Im Zentrum stehen immer wieder seine Erfahrungen in Somalia, die selbst gewählte Aufgabe, aufmerksam zu machen auf die verzweifelte Situation seiner Heimat. Als politisch sieht er seine Musik trotzdem nicht: "Wenn jemand auf deinem Hals steht und du keine Luft mehr bekommst und dann verzweifelt schreist, dann ist das keine Politik, sondern nur ein Hilferuf." Kaum einer seiner Texte kommt ohne Referenzen an den Bürgerkrieg aus, an die alltägliche Gewalt auf den Straßen, an die Verantwortung des Westens. "We begin our day by the way of the gun", rappt er in "Whats Hardcore", das seine Kriegserfahrungen gegen die Posen amerikanischer Gangsta-Rapper in Stellung bringt .

Musikalisch fusioniert der Fan von Fela Kuti, Bob Dylan und Bob Marley sehr selbstverständlich Rap, Reggae und afrikanische Einflüsse. Chöre aus Somalia und polyphone Rhythmen bilden den Hintergrund für geschmeidige Reime. "Für mich ist das keine Fusion, es ist einfach meine Musik", sagt KNaan, "das ist wohl so, wenn man sein halbes Leben in Afrika verbringt und die andere Hälfte im Westen." Im Fokus bleiben stets Text und Stimme, die manchmal nur von einer einzelnen Trommel unterstützt werden und so eine besondere Kraft entwickeln. "Eine Trommel, eine Gitarre, eine Stimme, das muss reichen", sagt KNaan. Dieser reduzierte Ansatz ist besonders ausgeprägt auf seinem neuen Album "The Dusty Foot On The Road" (Wrasse/Harmonia Mundi), das live vor Publikum aufgenommen wurde und auf dem auch Mos Def einen kurzen Gastauftritt hat.

KNaan: Irgendwie schon. Wir wissen ja alle, dass viele Elemente der Popmusik ursprünglich aus Afrika stammen und im HipHop ist das noch offensichtlicher. Ja, in gewisser Weise ist das alles nur geborgt und ich bringe es wieder zurück.

Was genau ist "The African Way"?

Was genau? Ich weiß es nicht. Die afrikanische Art ist auf jeden Fall eine würdevolle. Es geht darum zu teilen, nicht unbedingt mehr zu nehmen, als man gibt, also etwas sehr Unamerikanisches. Afrikanisch zu handeln heißt, einem Gast das eigene Bett zu überlassen, während man selbst auf der Couch schläft. Es geht nicht darum wie in Amerika, sich immer wichtiger zu nehmen, sich weiter auszudehnen. Auch die Musik ist nur etwas Geborgtes, man besitzt sie nicht. Wenn man in meinem Land einen Song schreibt, erwartet man geradezu, dass ihn jeder singt. Deshalb gibt es so etwas wie ein Copyright oder ein Urheberrecht gar nicht.

Aber wie kann man überleben als Künstler und trotzdem zu diesen Ideen stehen?

Das kann man nicht. Im Westen ist es anders: Man muss sich an die Ideologie, an die anderen Regeln halten. Aber man kann versuchen, die Essenz dieser Gedanken im Kleinen beizubehalten, indem man beispielsweise Freunden erlaubt, die eigenen Songs zu covern, ohne gleich eine Verwertungsgesellschaft einzuschalten.

Führt die digitale Revolution womöglich dazu, dass im globalen Musikgeschäft bald "the african way" eingeführt wird, wenn Musik auf Platten eh nicht mehr verkauft wird?

Vielleicht. Aber Kommerz und Kunst sind im Westen nun mal sehr eng miteinander verbunden, und das wird auch so bleiben. Da, wo ich herkomme, ist das grundlegend anders: Da kann niemand, der Musik macht, ernsthaft erwarten, damit reich zu werden. Man wird Künstler aus nur einem einzigen Grund: Weil man Kunst machen muss.

Fühlen Sie sich als Kanadier oder als Somali?

Ich fühle mich sehr somalisch. Nordamerikanisch fühle ich mich eigentlich nur, wenn es um Komfort geht. Dass ich gewisse Annehmlichkeiten vom Leben erwarte, das ist ziemlich nordamerikanisch. Aber ansonsten, was mein Wertesystem angeht, bin ist sehr somalisch.

Das ist ziemlich geschickt, sich nur den Komfort rauszupicken.

Das stimmt, aber es funktioniert für mich.

Waren Sie seit Ihrer Flucht vor 16 Jahren mal wieder in Somalia?

Nein. Aber wenn man in Dschibuti ist, wo ich aufgetreten bin, dann kommt man der Sache ziemlich nah. Das war ein Teil Somalias bis zur Kolonisierung. Durch die Grenzziehungen und den Einfluss der Kolonisation vergisst man das manchmal, aber wenn man nach Dschibuti kommt, merkt man schnell, wie ähnlich sich die Länder sind, wie ähnlich die Menschen sprechen, dass sie ähnliche Sorgen haben und dass es sehr ähnliche soziale Normen gibt.

Haben Sie jemals versucht, zurückzugehen?

Ich würde gern, aber ich darf nicht. Meine Mutter will das nicht. Niemand, der noch ganz bei Trost ist, sollte das momentan versuchen. Es gab auch ein paar Angebote, im etwas ruhigeren Norden aufzutreten, vielleicht probieren wir das. Aber Mogadischu ist ein ganz anderes Pflaster. Dort herrscht keine politische, irgendwie noch berechenbare Gewalt, sondern nur reine Gewalt, Gewalt um ihrer selbst willen. Man muss nur dem falschen Typen über den Weg laufen.

Haben Sie noch enge Verwandte in Somalia?

Meine Mutter lebt in Kanada, aber mein Vater teilt sich seine Zeit zwischen Somalia und Kanada.

Ich dachte, es ist zu gefährlich.

Es ist gefährlich, aber es gibt verschiedene Niveaus von Gefahr. Mein Vater ist ein älterer Herr, der in seinem Land leben will. Er ist kein Musiker, der sich im Ausland, in der Öffentlichkeit zur Situation in Somalia äußert.

Ihre Musik aber ist in Somalia nicht zu kaufen.

Aber sie wird dort gehört. Die Leute tauschen Kassetten. Und Landsleute, die durch Somalia reisen und zurückkommen, haben mir erzählt, dass es eine große Sache ist zu Hause.

Wie gut sprechen Sie die Sprache?

Sehr gut. Ich überrasche regelmäßig die Ältesten.

Aber Sie nehmen keine somalischen Versionen ihrer Songs auf?

Nein, ich benutze nur einzelne somalische Sätze. Es wäre auch zu schwierig, weil die somalische Sprache so ganz anders ist als Englisch, sehr viel poetischer. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich talentiert genug bin, gute somalische Texte zu schreiben. Ich hab ein paar Sachen in Arbeit, einzelne Strophen, die wie selbstverständlich kamen. Aber noch fehlt mir das Selbstvertrauen, einen ganzen Song in Somali zu schreiben. Aber auch wenn sie nicht jedes Wort verstehen zu Hause, verstehen sie doch die Stimmung der Songs. Und die Leute wissen, dass es mir darum geht, auf ihre Situation aufmerksam zu machen, dass ich mein Leben dieser Aufgabe gewidmet habe.

Ist das nicht eine zu große Verantwortung?

Vielleicht. Aber ich habe ja nie daran gedacht, dass irgendjemand an meiner Musik interessiert sein könnte. Für mich war die Musik vor allem eine Methode, meine eigene Vergangenheit zu verarbeiten. Das wollte ich nicht tun, das musste ich tun. Dass das Menschen aus der ganzen Welt ansprechen würde, überrascht mich immer wieder.

Sie haben Somalia mit 13 Jahren verlassen. Wie gut sind Ihre Erinnerungen an ihr Land?

Sehr gut. Als wäre es gestern gewesen. So wichtige Erfahrungen verlassen einen nie wieder. Aber ich erinnere mich nicht nur an den Krieg, sondern auch an den Frieden. Ich erinnere mich daran, in einer Gesellschaft zu leben, in der man seine Existenz nicht rechtfertigen musste.

Dann aber kam der Krieg. Wie haben Sie ihn erlebt?

Wenn um einen herum eine Gesellschaft kollabiert, dann kommt man unweigerlich an Punkte, dass man gewisse Dinge tun muss, um zu überleben. Es gab Momente, in denen wir flüchten mussten, ich und meine Freunde, es gab Momente, in denen Barrikaden aus brennenden Autoreifen gebaut wurden, um die Panzer aufzuhalten. Einige von uns wurden getötet, andere haben überlebt.

Haben Sie jemanden getötet?

Nein, ich hatte Glück. Das ist ein großes Geschenk, unter solchen Bedingungen zu leben und für so etwas trotzdem nicht verantwortlich sein zu müssen.

Wie haben Sie den Krieg verarbeitet?

Das kam erst Jahre später, erst als ich die Schule in Kanada geschmissen hatte und durch die Welt reiste, ging ich durch so etwas wie posttraumatischen Stress. Da hatte ich zwei Optionen: Zu einem Arzt zu gehen und den Rest meines Lebens mit Medikamenten zu verbringen. Oder einen Weg zu finden, mit mir selbst wieder in Einklang zu kommen. Eine Freundin bot mir an, eine Zeit lang in ihrer Wohnung in Genf zu leben. Also ging ich nach Genf, wanderte um den See und ich heilte mich selbst ohne Medikamente.

Gibt es eine Zukunft für Somalia?

Ich hoffe es. Ja. Ich bin nicht optimistisch, aber ich bin hoffnungsvoll. Gäbe es keine Hoffnung mehr, wäre es sehr schwierig für mich, mit der Musik weiterzumachen.

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