Fußball: Doping? Wir? - Niemals!

Am Freitag wird die Bundesligasaison eröffnet. Nach dem Skandal im Radsport stellt sich die Frage, welche Rolle Doping im Fußball spielt.

Springen ohne Doping? Meister Da Silva und Meisterjäger Ribery Bild: ap

Sönke Wortmanns WM-Dokumentation "Deutschland - ein Sommermärchen" wäre wohl etwas anders ausgefallen, wenn die gegenwärtige Dopingdiskussion ein Jahr früher begonnen hätte. In dem Film gibt es nämlich eine Szene, in der zu sehen ist, wie die Kontrollen bei der Weltmeisterschaft 2006 durchgeführt wurden. Heute wären diese Bilder vermutlich der strengen Zensur des Deutschen Fußball-Bunds und des Weltfußballverbands zum Opfer gefallen, der der Film unterlag.

Die Rekordsumme von 170 Millionen Euro haben die 18 Bundesligavereine in neue Spieler investiert. Allein 70 Millionen zahlte der FC Bayern, mit gehörigem Abstand folgen Werder Bremen (18,5), der VfL Wolfsburg (15,45) und Bayer Leverkusen (13,7). Der alte Rekordwert von 147 Millionen war in der Saison 2001/02 erzielt worden, als die Gelder aus dem Kirch-Imperium flossen. Doch diesmal scheinen die Investitionen seriöser abgedeckt: Die Dauerkartenverkäufe boomen, und die Einnahmen aus dem Trikotsponsoring sind mit 122,7 Millionen höher als je zuvor. Da die Bayern den Titel fast gekauft haben, lohnt der Blick in die Zweite Bundesliga, wo die Clubs mit der Rekordsumme von 230 Millionen Euro planen und gleich neun ehemalige Erstligisten um die Aufstiegsplätze kämpfen. Und die drei fast mittellosen Lieblingsvereine der Linken, der FC St. Pauli, der SC Freiburg und der FSV Mainz, begegnen sich erstmals in derselben Liga. DZY

Der deutsche Nationalspieler Oliver Neuville muss nach dem 3:0 gegen Ecuador eine Urinprobe abgeben. Ein Herr in Anzug und Krawatte begleitet ihn auf die Toilette, doch Neuville sagt leicht beschämt: "Wenn da jemand ist, kann ich nicht." Daraufhin darf er alleine in den Raum, während der Kontrolleur mit sichtbar schlechtem Gewissen vor einem knapp geöffneten Türspalt umherschleicht. Mehr als Neuvilles Rücken sieht er nicht. Als der Fußballer mit gefülltem Becher herauskommt, lächeln alle erleichtert.

Auf solche Test kann man getrost verzichten. Denn ein sandkorngroßes Stück bestimmter Chemikalien reicht, um eine Probe unbrauchbar zu machen. Auch andere Manipulationsmöglichkeiten sind bekannt. Wäre Neuville gedopt gewesen, hätte er diese Kontrolle nicht fürchten müssen.

Die Szene widerlegt die unermüdlich wiederholte Behauptung von der wirkungsvollen Dopingbekämpfung im Fußball. "In unserem Kontrollsystem kommt Doping früher oder später ans Licht, das würde ich einfach so behaupten", sagte Michael Pfeifer, der ehemalige Mannschaftsarzt von Bayer Leverkusen und früheres Mitglied der Antidopingkommission des DFB, kurz vor der WM. Nach den Enthüllungen im Radsport ist die Branche vorsichtiger geworden. "Der Fußball ist keine dopingfreie Zone", verkündete der renommierte Fußballarzt Wilfried Kindermann Ende Juli auf einem Symposium des DFB, um schnell hinzuzufügen: "Aber flächendeckendes und systemimmanentes Doping wie im Radsport schließe ich mit Sicherheit aus."

Dabei sind Fälle systematischen Dopings im Fußball bekannt. Bei Juventus Turin wurde die Versorgung der Spieler mit verbotenen Medikamenten in den Neunzigerjahren von höherer Stelle angeordnet, und Experten beobachteten skeptisch, wie sich Alessandro Del Pieros schmaler Körper innerhalb weniger Jahre zu einem Muskelturm verwandelte. Auch in Deutschland gab es eine Zeit, als Clubärzte mit Stimulanzien wie Captagon experimentierten. Peter Geyer, der zwischen 1974 und 1984 für TeBe Berlin, Borussia Dortmund und Eintracht Braunschweig in der Bundesliga spielte, sagte 1994: "Captagon lag herum wie Salztabletten." Er selbst habe "vor jedem Spiel zwei genommen", manche seiner Kollegen sieben oder acht.

Kürzlich rief der Trainer Peter Neururer den Captagonkonsum in den Achtzigerjahren in Erinnerung. Zwar hat Toni Schumacher dieselben Vorgänge bereits vor zwanzig Jahren in seinem Buch "Anpfiff" beschrieben, doch vor dem Hintergrund der Debatte um den Radsport setzten die alten Kamellen eine Diskussion über Fußball und Doping in Gang. Das Thema wird im Alltag offenbar derart konsequent verdrängt, dass selbst die Erwähnung bekannter Tatsachen eine große Aufregung auslösen kann.

Immerhin hatte die Aufregung diesmal Konsequenzen. Der DFB will die Kontrollen vermehren und deren Qualität verbessern. Vor allem in der Rehabilitation und der Saisonvorbereitung, wo bislang fast gar nicht geprüft wurde, will man überraschende und gut geplante Kontrollen durchführen. Die 87 Trainingskontrollen, die es voriges Jahr im deutschen Fußball gab, seien zu wenig. Außerdem wird es im deutschen Fußball künftig wie im Radsport eine Meldepflicht über den Aufenthaltsort der Spieler geben, und bei der Europameisterschaft im nächsten Jahr soll erstmals neben Urin auch Blut untersucht werden.

Diese Neuerungen beheben einige der größten Mängel des Kontrollsystems, aber bestimmte Mittel bleiben weiterhin nicht nachweisbar. Zumindest theoretisch wird man auch künftig mit einem relativ geringen Risiko dopen können; erst recht, solange Blutuntersuchungen die Ausnahme bleiben.

Da niemand behaupten kann, dass die Kontrollen im Fußball besonders gut seien, gibt es ein weiteres Argument: Im Fußball bringe Doping nichts. So sagte Otto Rehhagel einst: "Wer mit links nicht schießen kann, trifft den Ball auch nicht, wenn er 100 Tabletten schluckt." Und jüngst meinte der frühere Schiedsrichter Bernd Heynemann im Fachblatt Kicker: "Den genauen Pass, die überraschende Idee bekommt man nicht durch Chemie." Heynemann sitzt für die CDU im Bundestag und ist Mitglied des Sportausschusses.

Dabei ist Fußball eine Sportart, in der mit Sprungkraft, Sprintstärke und Ausdauer gleich drei durch Doping beeinflussbare Größen von elementarer Bedeutung sind. Wer behauptet, dass Doping im Fußball grundsätzlich sinnlos sei, macht sich verdächtig, kein Interesse an einer ehrlichen Auseinandersetzung mit dem Thema zu haben. Zutreffend ist lediglich ein Aspekt dieser Argumentation: Die Medikamente sind im Fußball schwerer in Siege zu überführen als etwa im Radsport oder in der Leichtathletik. Wenn die Spieler schneller und länger laufen, heißt das längst nicht, dass ihr Team deshalb auch gewinnt. Die Motivation, eine Karriere zu riskieren, dürfte demnach tatsächlich geringer sein, weil der Erfolg von vielen anderen Faktoren abhängig ist, nicht zuletzt auch von anderen Menschen. Aber Fußball ist eben auch die kommerziellste aller Sportarten der Welt, und jeder aufgedeckte Betrugsfall schadet den geschäftlichen Interessen der Vereine und Verbände.

Del Piero, Davids & Co

Ohnehin widerlegen die vielen bekannten Fälle die Rede von der Nutzlosigkeit. So wurde der Arzt Riccardo Agricola im Jahr 2004 wegen Sportbetrugs zu einer Haftstrafe von 22 Monaten verurteil, weil er Mitte der Neunzigerjahre bei Juventus Turin systematisch Doping betrieb. Etwa zur selben Zeit sollen auch bei Olympique Marseille regelmäßig Spritzen verabreicht worden sein. Medikamente, die "schärfer, energischer und hungriger nach dem Ball" machten, wie der frühere Spieler Tony Cascarino 2003 in der Londoner Times schrieb, was mehrere seiner früheren Mitspieler bestätigten. Edgar Davids, Jaap Stam, Frank de Boer und Fernando Couto, sämtlich Weltklassespieler bei europäischen Topclubs, wurden im vergangenen Jahrzehnt des Dopings mit Nandrolon überführt. Und dass sich eine erhebliche Anzahl von Fußballern mit legalen Schmerzmitteln wie Voltaren "fit spritzen" ist bekannt und wird akzeptiert.

Nur Epo, das Wundermittel der Radsportler, wurde noch nie bei einem Fußballer nachgewiesen. Dabei hat Arsené Wenger, der Trainer des FC Arsenal London, noch vor zwei Jahren die Vermutung geäußert, dass in Europa systematisch mit dem Blutbeschleuniger gedopt, werde, nachdem einige Neuverpflichtungen mit auffälligen Blutwerten angekommen waren. Bislang werden nur wenige der genommenen Proben auf Epo untersucht, in Deutschland waren es im vorigen Jahr 103 von insgesamt 973. Der Aufforderung, seine Vorwürfe zu präzisieren, kam Wenger aber nie nach. Was im Radsport als "Mauer des Schweigens" bezeichnet wird, ist im Fußball ein Gebirge.

Auch der spanische Dopingarzt Eufemiano Fuentes hat angedeutet, Fußballer unter seinen Kunden gehabt zu haben. Doch bis heute halten sich Gerüchte, dass einflussreiche Kräfte die Madrider Staatsanwaltschaft davon abhalten, an dieser Stelle intensiver zu recherchieren. Jesús Manzano, ein früherer Kunde von Fuentes und einer der ersten geständigen Radsportler, hat ebenfalls erzählt, dass er prominente Fußballer bei dem Arzt getroffen habe. Aber im Stern sagte er auch, warum er nie deren Namen verraten werde: "Fußball taste ich nicht an. Die Fußballwelt ist mächtig. Sie ist viel mächtiger als der Radsport, sehr viel mächtiger."

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