Familienarmut: Schlemmen mit Hartz IV

Einen Tag lang verwandelt das Diakonische Werk eine Berliner Kirche in ein Nobel-Restaurant: Familien durften Pause von Hartz IV machen - mit Lachsfrikadellen.

Keine Sternküche, aber satt machend: Viele Kinder sind froh, wenn sie von der Caritas ein warmes Mittagessen bekommen. Bild: dpa

BERLIN taz Die Sterneköche Kolja Kleeberg und Alexander Dressel stehen im Seitenschiff der Heilig-Kreuz-Kirche vor einem roten Plastikbottich voller Linsensalat und erklären, worum es geht: Die Gäste sollen einen schönen Tag haben. Sie können sich sonst nicht so viele schöne Tage leisten. Die 160 geladenen Personen, die gleich in die Kirche kommen, würden niemals bei krossem Zackenbarsch oder Heilbutt mit Senfgurke in Kleebergs Restaurant Vau am Gendarmenmarkt sitzen oder im Bayerischen Haus in Potsdam, wo Dressel kocht. Eher sitzen sie im Wohnzimmer vor dem Fernseher und sehen sich Kleebergs Kochshowauftritte an.

Die meisten von ihnen sind schon lange nicht mehr essen gegangen. Aber an diesem Samstag soll die Heilig-Kreuz-Kirche ihr Restaurant sein, ein relativ nobles mit Sterneköchen noch dazu. Dort, wo sonst die Gemeinde Gottesdienst feiert, stehen jetzt gedeckte Tische. Vor dem Altar mit dem Kreuz und den Kerzen wird das Buffet aufgebaut.

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast hat sich für kostenlose Schulspeisungen in ganz Deutschland ausgesprochen. "Immer mehr Kinder sitzen mit knurrendem Magen im Unterricht, weil ihre Eltern das Geld fürs Schulessen nicht aufbringen können", schrieb Künast in einem Beitrag für die Bild am Sonntag. Bildungsministerin Annette Schavan sagte, man dürfe nicht einfach nur Geld als weitere Transferleistung an die Eltern ausgeben. Vielmehr müsse sichergestellt sein, dass dieses Geld nicht bei McDonalds, sondern für gesundes Essen ausgegeben werde. Im Saarland würden sich Land und Kommunen den Betrag für die Schulspeisung teilen. So sei klar, dass sie stattfinde und bezahlt sei.

Die Speisekarte kündigt an: kleine Lachsfrikadellen auf Kopfsalat, Putenspieße mit Curryreis oder Kalbsrollbraten mit Gratin und buntem Gemüse. Das Diakonische Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz hat eingeladen, einige Sponsor-Firmen bezahlen. "Benefiz-Kochen für Familien, die finanziell ein bisschen schwach dastehen", fasst Kleeberg zusammen. Hinter ihm hackt eine Küchenhelferin Schnittlauch. Ein anderer trägt einen Korb Brötchen herein. Überall stapeln sich Messingtöpfe und Pfannen. Sie werden gleich die ersten Lachsfrikadellen anbraten. Das Fett brutzelt schon. Das Essen soll sehr gut sein, aber trotzdem gewöhnlich, sagt Dressel. "Einfache, bodenständige Sachen."

Kleeberg und Dressel haben beide die Arme vor der Brust verschränkt, über ihnen das rote Backstein-Kirchengewölbe. "Wir werfen natürlich nicht mit Hummer und Gänseleber um uns", sagt Kleeberg. Das fände er dekadent. "Es ist aber auch nicht als Kochkurs gedacht oder als Rechenbeispiel, was man für 1,20 Euro alles auf den Tisch bringen kann." Die Leute sollen rauskommen. Das tun sie sonst so selten.

Es solle eher ein Ess-Event sein, keine Armenspeisung, sagt Susanne Kahl-Passoth, die Direktorin des Diakoniewerks, eine Frau mit silbrig-blond glänzenden Haaren und Lesebrille. Das alles war ihre Idee. Vor eineinhalb Jahren hat sie die beiden Köche gefragt. Die haben sofort zugesagt, aber mussten dann erst mal einen Termin finden - und Sponsoren. Als alles feststand, haben sie Familien aus Kitas oder Schuldnerberatungsstellen der Diakonie eingeladen, von denen sie wussten, dass sie wenig Geld haben, oft aber einen Haufen Probleme.

So wie Cornelia Schönebeck, die gerade 20.000 Euro abstottern muss, weil sie Privatinsolvenz angemeldet hat. Die von sich selbst sagt, dass ihre Haare "ganz schön stulle" aussehen. Aber zum Frisör kann sie eben nur einmal im Jahr. Die 49 Jahre alt ist, vier Kinder hat, keinen Mann mehr, der ist abgehauen, und in der Woche ungefähr 75 Euro für Essen zur Verfügung - für alle zusammen. Daran ändert auch der Zusatzverdienst von den paar Nachtwachen nichts, die sie in einer Dementen-WG hält. Zuhause gibt es wegen des geringen Budgets "Nudeln ohne Ende", und wenn sie mal ein Huhn kauft, dann essen sie daran mehrere Tage. Ansonsten viel Tiefkühlkost und Fischstäbchen. Ausgewogene Ernährung ist etwas anderes, dafür reichen 75 Euro nicht.

Ein Restaurant hat Cornelia Schönebeck zuletzt vor sechs Jahren besucht. "Es drücken nicht nur die Schulden", sagt sie, "es drücken eine Million anderer Sachen." Schönebeck findet, dass "es an Hartz IV klemmt". Das merkt sie vor allem vor Weihnachten, Nikolaus oder Schulbeginn. Sie könnte dazu noch viel sagen, aber jetzt will sie versuchen, für ein paar Stunden zu vergessen.

Das ist gar nicht so einfach, weil überall Reporter sind, die genau danach fragen. Ein Kamerateam von RTL ist auch da. Neben Schönebeck sitzt ihr 14 Jahre alter Sohn, der Kochsendungen liebt und gerne einmal sein eigenes Drei-Sterne-Restaurant hätte. Dass er heute Kolja Kleeberg erleben kann, den er aus dem Fernsehen kennt, freut Cornelia Schönebeck ganz besonders. Sie kann ihrem Sohn ein bisschen was bieten.

Kleeberg und Dressel stehen mittlerweile vorm Altar und stellen kurz das Buffet vor. Bauernsalat mit viel frischem Gemüse. Nudelauflauf. Rollbraten, viel Soße, viel Gemüse. "Das hört sich gut an", sagt Cornelia Schönebeck. Sie geht nach vorne und stellt sich in die Schlange, um etwas Bauernsalat, Putenrollbraten und Lammbouletten zu holen. Von diesem Nachmittag wird sie noch länger zehren." Wir haben jetzt für die nächsten Tage ein Gesprächsthema", sagt Schönebeck. Sie kann ihren Freunden ja nicht nur ihre Hartz-IV-Nöte erzählen. "Man hat mal wieder was erlebt." Das macht sie fast ein bisschen fröhlich.

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