Tierversuche: Ein tierisches Problem
Berlin ist die Hauptstadt der Tierversuche, Tendenz steigend. Forscher experimentierten im vergangenen Jahr an über 300.000 Tieren. Und das, obwohl es zahlreiche Alternativen gibt.
Mit einer Injektion versetzen Forscher zwölf Hunde in Narkose. Dann legen sie den Bewusstlosen eine Manschette zur Blutdruckmessung um die Körperschlagader an und zwei Katheter zur Blutentnahme. Die Schläuche liegen unter der Haut, treten am Nacken nach außen und führen in den Nachbarraum. Von dort können die Forscher an den wachen Hunden kontinuierlich Messungen vornehmen, ohne die Tiere zu berühren. "Das ist ein Beispiel für einen typischen Versuch, bei dem Tiere wie Messinstrumente behandelt werden", sagt Tierärztin Corina Gericke von Ärzte gegen Tierversuche.
Im vergangenen Jahr verwendeten Forscher mehr als 300.000 Tiere für wissenschaftliche Experimente. Damit wurden mit Genehmigung des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) 17.000 Tiere mehr als im Vorjahr und 30.000 mehr als 2004 für Versuche freigegeben. Damit bleibt Berlin die Hauptstadt der Tierversuche. Mehr als zehn Prozent aller bundesweit durchgeführten Experimente finden hier statt.
Für Gesundheitssenatorin Karin Lompscher (Linkspartei) ist der Hunger nach Versuchstieren ein notwendiges Übel: "Der Senat fördert die Ansiedlung von Biotechnologien - die wachsende Zahl von Tierversuchen ist der Preis dieser positiven Entwicklung." Die biotechnischen Forschungseinrichtungen und Unternehmen, die sich in der Stadt ansiedeln, benötigen vor allem genveränderte Mäuse und Ratten.
Wolfgang Apel, Präsident des Tierschutzvereins, fordert die Gesundheitssenatorin auf, diese Entwicklung zu stoppen. Forschungsmittel sollten nur noch für Projekte genehmigt werden, die ohne Tierversuche auskommen.
"Jeder Antrag für Experimente mit Tieren wird genau geprüft", verteidigt Lompscher den Senat. Im Januar etwa lehnte das Landesamt für Gesundheit den Antrag der Charité ab, neurologische Versuche mit Affen durchzuführen. Begründung: Der wissenschaftliche Zweck rechtfertige die Leiden der Tiere nicht. "Ein großer Erfolg und ein Signal", sagt Brigitte Jenner vom Verein der Tierversuchsgegner Berlin.
Einige Forschungseinrichtungen und Wissenschaftler setzen inzwischen auch auf alternative Methoden. Im pharmazeutischen Institut der Freien Universität Berlin beispielsweise entwickelten Forscher das Modell einer künstlichen Haut, die Tierversuche ersetzen kann. Das Interesse der Unternehmen, Institute und Labore daran ist groß - aus Imagegründen wie auch aus wirtschaftlichen Erwägungen. "Die Kosten für die Tiere und deren Haltung entfallen", erläutert Stefan Nagel von den Forschungseinrichtungen für Experimentelle Medizin der Charité. Zwar machten Alternativmethoden erst einen kleinen Teil aus, doch Ziel sei es, irgendwann komplett auf Tierversuche zu verzichten. Im Bereich der Antikörperherstellung beispielsweise könnten die Wissenschaftler heute schon mit Hühnereiern experimentieren, anstatt Kaninchen wiederholt Blut abnehmen zu müssen. Eine Methode, die Schäden reduziert.
Noch sei es allerdings nicht überall möglich, auf Versuche an lebenden Tieren zu verzichten. Wenn keine vergleichbaren und ähnlich komplexen Alternativmethoden existierten, seien zahlreiche Tierversuche gesetzlich vorgeschrieben, so Nagel.
"Wir müssen die Alternativmethoden zu Tierversuchen in der Forschung vorantreiben", fordert auch der tierschutzpolitische Sprecher der CDU-Fraktion des Abgeordnetenhauses, Gregor Hoffmann. Denn nur so könnte man Tierversuche minimieren und gleichzeitig die Verbraucher vor ungeahnten Wirkungen unbekannter Stoffe schützen. "Um das allerdings umsetzen zu können, müssten auch mehr Gelder in die Forschung fließen", fordert Hoffmann. Hier seien auch die Unternehmen gefragt.
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