Mobilitätsgarantie fehlt: Hochschulen aus der Fassung

Bundesbildungsministerin Annette Schavan will das Hochschulrahmenrecht entsorgen. Das birgt hohe Risiken für die Mobilität von Studierenden in Deutschland.

Beim Uni-Wechsel könnte es künftig Probleme geben. Bild: AP

Sarah ist verzweifelt. In Münster, Nordrhein-Westfalen, hat sie vor drei Semestern ihr Studium der physikalischen Technik aufgenommen. Aus familiären Gründen möchte sie nun nach München ziehen. Aber da sie statt des Abiturs nur einen spezifischen Fachhochschulabschluss hat, erkennen die Hochschulen in Bayern ihre Zulassung zum Studium nicht an - sie darf dort also nicht studieren. Sarah steht vor der Wahl: Familie oder Studium.

Dieses Beispiel ist konstruiert, es spielt im Jahr 2010. Aber gänzlich undenkbar ist es keinesfalls. Geht es nach dem Willen von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU), könnten schon bald ähnliche Probleme auf die Studierenden zukommen. Bereits im Mai beschloss das Bundeskabinett, das Hochschulrahmengesetz (HRG) zum Oktober nächsten Jahres aufzuheben - nun muss der Bundestag darüber verhandeln, ob man das Rahmengesetz restlos entsorgen kann. Es sorgt unter anderem dafür, dass es bundesweit einheitliche Regelungen gibt, wer studieren darf und welche Abschlüsse es gibt. Denn Fälle wie der von Sarah sollen nicht vorkommen können, die Grenzen der Bundesländer sollen für Studierende auch weiterhin offen sein. Morgen berät das Parlament.

"Aufgrund der Föderalismusreform ist die Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes entfallen", begründet Katrin Hagedorn, eine Sprecherin des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), den Kabinettsbeschluss, das HRG aufzuheben. Bildung ist seit der Föderalismusreform Ländersache. Allerdings räumt das BMBF gleichzeitig ein: "Dem Bund sind auch nach der Föderalismusreform Gesetzgebungsbefugnisse verblieben, und zwar in Bezug auf die Hochschulzulassung und die Hochschulabschlüsse."

Ulla Burchardt, Vorsitzende des Bildungsausschusses im Bundestag, ist denn auch sauer: Es sei überhaupt nicht zu verstehen, warum der Bund seine wenigen Kompetenzen im Bildungsbereich freiwillig aufgebe, meint sie - und das ist deswegen pikant, weil Ulla Burchardt dummerweise vom Koalitionspartner SPD stammt. Und so kündigt Burchardt an, dass die SPD der Aufhebung des HRG nicht zustimmen wird. Es werde auf jeden Fall zunächst eine Expertenanhörung geben: "Ziel ist ein verändertes HRG, das die Zulassung regelt."

Auch Kai Gehring, hochschulpolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, spricht sich gegen den Kabinettsbeschluss in seiner momentanen Form aus: "Schavan will das HRG völlig übereilt abschaffen. Statt des versprochenen Bürokratieabbaus befürchten wir einen Flickenteppich aus hektisch ergänzten Landesgesetzen", kommentiert er die Pläne des Kabinetts. Um das Regelungsvakuum aufzufangen, das durch die Abschaffung entsteht, fordern die Grünen in einem Antrag einen Staatsvertrag zwischen Bund und Ländern. Der soll die Zulassung zur Hochschule sowie die Abschlüsse bundeseinheitlich regeln - aber jeder weiß, wie extrem schwer Staatsverträge auszuhandeln sind.

Seit 1969 hatte der Bund die sogenannte Rahmengesetzgebungskompetenz für die Hochschulen - das bedeutet, er entschied über die grundlegenden Gesetzesregelungen in diesem Bereich. Die Länder dagegen bestimmen die Details und regeln, wie die Gesetze konkret angewendet werden. Die letzte Neuregelung des HRG gilt seit Anfang 2005. Auch dabei war die Zulassung zum Studium schon ein Thema: Die Novelle bestimmte, dass die Hochschulen sich 60 Prozent ihrer Studenten selbst auswählen dürfen.

Die Details zu regeln war dagegen nie Aufgabe des Bundes. Umso seltsamer mutet eine Begründung Schavans für die Aufhebung des HRG an: Die Hochschulen sollten zugunsten von mehr Wettbewerb aus der "staatlichen Detailsteuerung" entlassen werden. Eine andere Stellungnahme aus Schavans Haus führt weiter: Es sei gewollt, über den Wegfall des Rahmengesetzes eine größere Ausdifferenzierung der Hochschullandschaft und mehr Wettbewerb zwischen den Universitäten zu bekommen.

Mehr Autonomie und Wettbewerb der Hochschulen - das ist das Ziel, das Schavan mit der Beschneidung der eigenen Machtbefugnisse verfolgt. Schon die Exzellenzinitiative des Bundes war ein Schritt in die Richtung, eine mehrklassige Hochschullandschaft zu schaffen. Diese wird sich wohl in Eliteuniversitäten, einige Hochschulen, die partiell an "Leuchtturmprojekten" und "Exzellenzclustern" teilhaben, sowie in zweitklassige Ausbildungshochschulen aufteilen.

Für Studierende, die nicht ihr ganzes Studium und Berufsleben an einem Ort verbringen wollen, ist die Abschaffung des HRG freilich eine Katastrophe. Schavans Beamte versichern zwar, die Mobilität der Studierenden bleibe auch nach der Aufhebung des HRG erhalten. Begründung: Die Gesetze der Länder reichten zusammen mit den europäischen Vereinbarungen, die im Zuge des Bologna-Prozesses zur Schaffung eines einheitlichen Hochschulraums getroffen wurden, aus, um die bundesweite Anerkennung von Hochschulzulassung und -abschluss zu garantieren. "Dass europäische und länderspezifische Regelungen reichen, um einen einheitlichen Hochschulraum zu schaffen, ist grober Unfug", widerspricht die Ausschussvorsitzende Burchardt. Besonders bei der Zulassung könnte es zu Problemen kommen.

Probleme bei der Zulassung könnte es allerdings auch geben, wenn statt der Abschaffung ein verändertes Hochschulrahmengesetz beschlossen wird. Denn ab dem ersten August 2008 erhalten die Länder das Recht, im Fall von Hochschulzugängen und -abschlüssen von den Regelungen des Bundes abzuweichen: Das heißt, Länderrecht bricht dann Bundesrecht: "Jedes Bundesland kann durch das Abweichungsrecht jederzeit sein eigenes Süppchen kochen", erklärt der Abgeordnete Gehring, "nur ein Staatsvertrag zwischen Bund und Ländern schafft Verbindlichkeit und ist eine echte Mobilitätsgarantie für Studienbewerber, Studierende und Absolventen."

Ein Staatsvertrag müsste von den Regierungen des Bundes und der Länder gemeinsam ausgehandelt werden. Das ist einerseits von Vorteil, denn wenn die Länder selbst verhandelt haben, ist der politische Druck, dass sie den unterschriebenen Vertrag auch einhalten, groß. Andererseits: Wenn man sich anschaut, wie unterschiedlich die Vorstellungen der Länder im Bildungsbereich ausfallen - wie wahrscheinlich ist es dann überhaupt, dass sie sich auf einen Vertrag einigen?

Sarah dürfte übrigens egal sein, welche Lösung gefunden wird: Hauptsache, sie kann studieren, wo sie will. Und Familie und Studium vereinbaren.

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