eDemocracy: Weltrettung per Mausklick
Innovationen in Sachen Bürgerbeteiligung via Web kommen aus Neuseeland und Großbritannien. Die Bundesregierung gibt sich dagegen reserviert.
Als der Spiegel vor ein paar Wochen die "Retter der Welt" in Serie beklatschte, hatte das Nachrichtenblatt diese Protagonisten nicht auf dem Zettel: Sie heißen nicht Al Gore, Warren Buffett oder Helena Norberg-Hodge. Sie heißen Rob oder Tom. Sie kommen bespielweise aus Neuseeland oder aus England. Ihre Profession: Demokratische Prozesse nicht nur bürgernaher gestalten, sondern Demokratie in ihrer bisherigen Form komplett verändern. Ihre Mittel: Laptop, Internet und Beharrlichkeit.
Die Bundesrepublik gilt nicht als Vorreiter in Sachen eGovernance oder eDemocracy. Die hiesige Politik traut den Bürgern offenbar kaum zu, aktiv den Staat mitzugestalten oder öffentliche Gelder zu verwalten. Die Möglichkeit Online-Petionen einzureichen, hat der Bundestag vor fast zwei Jahren nahezu deckungsgleich vom schottischen Parlament abgekupfert. Innovative Ideen kommen hingegen aus Großbritannien, den Niederlanden, der Schweiz oder aus Übersee. Die Chancen, die sich durch das momentan viel gerühmte Web2.0 für die demokratischen Partizipationsprozesse ergeben können, sind indes riesig.
Noch gibt sich die Bundesregierung reserviert: Wie und ob die Bürgerbeteiligung durch das Internet ausweitetet werden soll? Kein Kommentar. Was Deutschland von anderen EU-Ländern lernen könne? Das werde noch evaluiert. Positive Ausnahme ist hier der Bezirk Berlin-Lichtenberg: Seit 2005 gibt es hier einen so genannten Bürgerhaushalt (www.buergerhaushalt-lichtenberg.de). Die Bewohner des Bezirkes können über die Ausgaben und Einsparungen mitentscheiden. Der Haushalt für 2008 ist gerade beschlossen worden, Vorschläge für das Haushaltsjahr 2009 werden angenommen. Das Land Berlin überlegt nun, das Pilotprojekt auszubauen.
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen zwei Möglichkeiten des Einsatzes von Internet-Technik für mehr Bürgernähe: eGovernment und eDemocracy. Die Verwaltung gibt im Bereich des eGovernments keine politische Macht oder Deutungshoheiten ab, sondern ist an Service und Bürgerfreundlichkeit interessiert. Die digitalen Neuerungen vereinfachen die Kommunikation und verkürzen die Wege zwischen Bürger und den Behörden. Die Vorteile von eGovernment sind deshalb relativ unstrittig und auch Konsens bei NGOs und eDemocracy-Aktivisten. Doch den Befürwortern der Online-Demokratie geht dies noch nicht weit genug.
Heikler wird das Thema für Regierungen beim eDemocracy. Hier geht es um tatsächliche Teilhabe und Mitgestaltung des Bürgers per Mausklick. Soll der Marktplatz ein neues Denkmal bekommen, die U-Bahn einen Fahrstuhl für Rollstuhlfahrer oder die städtische Bibliothek abends länger geöffnet haben? Das sind nur einige Beispiele, zu welchen Fragestellungen Bürger per Internet Stellung beziehen könnten.
In Großbritannien hat sich bereits ein wahrer Mitbestimmungs-Hype entwickelt. Mittlerweile gibt es sogar ein eigenes Ministerium, das sich um diese Fragen kümmert (www.info4local.gov.uk). Andere Regierungen sind da vorsichtiger. Denn sie wissen: Möglichkeiten der Mitbestimmung, die man einmal für die Bürger geräumt hat, sind danach kaum wieder in Regierungshand zu bekommen.
"Keine Regierung ist freiwillig bereit ihre Macht reduzieren. Web 2.0 ist das Schlimmste, was top-down-Institutionen wie Regierungsbehörden passieren kann. Wir wollen ihnen zeigen, dass Kommunikation mit den Bürgern über das Internet, auch eine Chance birgt", sagt der 37-Jährige Berliner Christoph Dowe. Er ist Geschäftsführer des gemeinnützigen Vereins politik-digital (poldi). Mit top-down meint er Politik "von oben" - also Entscheidungen, die ohne Konsultierung des Wahlvolkes getroffen werden. "Es geht nicht darum, Menschen entscheiden zu lassen, ob die Straße von A nach B oder von A nach C gebaut werden soll - sondern darum, ob diese Straße überhaupt gebaut werden soll", erklärt Dowe.
Dass politische Entscheidungen hingegen durch bottom-up Effekte, also von "unten nach oben", durch das Einwirken der Bürger zu Stande kommen, ist sein Spezialgebiet. Er ist skeptisch, dass das aktuelle EU-Ministertreffen zu mehr Bürgerbeteiligung führen wird: "Die Statements von Politikern zu eDemocracy und Bürgernähe sind meist nur Sonntagsdeklarationen. Wenn es dann tatsächlich darum geht, die Einflussnahme der Bürger zu erhöhen, ziehen die Regierungen fast immer zurück", meint der poldi-Leiter.
Um den Druck zu erhöhen, ist Christoph Dowe mit eDemocracy Aktivisten aus aller Welt vernetzt: "Wir sind nur ein paar hundert Leute weltweit, erreicht haben einige von uns trotzdem schon viel", sagt er.
Rob McKinnan ist so ein Fall. Er ist mit der Skepsis der hiesigen Politik vertraut, wenn es um direktdemokratische Teilhabe der Bürger geht. Er stammt aus Auckland in Neuseeland. Seit ein paar Jahren lebt der 31-Jährige Software-Entwickler nun in London. Aus dem "Exil" entwickelte er ein typisches, interaktives Web2.0-Projekt, das die politische Landschaft seines Heimatlandes dauerhaft verändert hat.
Rob fiel auf, dass die Regierung zwar regelmäßig die Parlamentsdrucksachen ins Netz stellte, aber niemand von dem Angebot Gebrauch machen wollte. "Das Problem ist ja nicht, dass Politiker nicht kommunizieren. Sie tun es nur so, dass sie entweder keiner versteht, über nicht-öffentliche Kanäle, geben unzureichende Informationen an das Wahlvolk weiter oder agieren schlicht intransparent", meint Rob. So entwickelte er 2003 den Website www.theyworkforyou.co.nz. Auf der Homepage kann jeder Besucher nicht nur Infos zum Abstimmungsverhalten der Parteien zu allen relevanten Themen erhalten, sondern sehen, welche Themen wie oft und von welchem Abgeordneten in Fragestunden behandelt wurden. Balken oder Tortendiagramme zeigen an, ob das Thema Bildung eine höhere Priorität vor Rüstung oder der Aussprache zur Rentenversicherung hat. Schnell wurde Robs Homepage zum Informationspool der Opposition und der Regierung; wusste doch so jeder, wie häufig der verkehrspolitische Sprecher des Koalitionspartners für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs kämpfte oder ob der Gegenspieler auf Seiten der Opposition monatelang durch Unwissenheit auffiel.
Auch die Neuseeländer fanden Gefallen an den Leistungsnachweisen ihrer Parlamentarier. "Die Abgeordneten merkten schnell, dass sie zwar kontrolliert werden, aber dadurch auch ständig die eigene politische Arbeit überprüften oder die vernachlässigten Themenfelder nun stärker besetzten. Aus Kontrolle kann auch Ansporn werden", freut sich der Neuseeländer. Nach einigem Zögern entschloss sich das Parlament sogar, Robs Website als offizielles Tool für das parlamentsinterne "Qualitätsmanagement" zu einzusetzen. "Wenn die Politiker anfangen sollten, irgend etwas weich zu spülen oder mit der Website nur eigene PR betreiben wollen, durchschauen das die Leute sofort."
Der Londoner Tom Steinberg ist so etwas wie der heimliche Star der eDemocracy-Szene. Er hat schon viele Projekte ins Leben gerufen. Sein jüngster Streich heißt www.fixmystreet.com. Ruft man die Website auf, kann man durch Eingabe seiner Postleitzahl Schlaglöcher im Asphalt, versiffte öffentliche Toiletten oder die fehlende Überdachung der Bushaltestelle melden. "Wer weiß schon immer, wer für was in der Gegend zuständig ist. Wir leiten die Beschwerden direkt an die entsprechenden Behörden weiter."
Kooperativ waren längst nicht alle Ämter. "Wir haben die Councils angerufen und gesagt: Wir haben das uns das vor, nennt uns einen Ansprechpartner. Wenn nicht, bekommt ihr trotzdem Post von uns", erinnert sich Tom. Dank Toms Engagement wurde ein Tool für Online-Petitionen auf die Homepage des damalige Prime Ministers Tony Blair gestellt. Durch die Einführung von ePetioning, dem Unterzeichnen von Bürgerbegehren, wurde die Interaktion von Bürgern und Parlament noch weiter gestärkt. Knapp zwei Millionen Unterzeichner sind so UK-weit im letzten halben Jahr zusammen gekommen. Allen Unterzeichnern konnte dank digitaler Kommunikation auch eine individuelle Antwort zugestellt werden.
Wie die Zukunft von eDemocracy auch aussehen wird, verändern werden sich die demokratischen Prozesse unweigerlich durch das Internet, glaubt zumindest Tom: "Das wirklich bahnbrechende der eDemocracy ist doch, dass diese internetbasierten Tools nicht von Regierungen gebaut werden, sondern von Demokratie-Enthusiasten wie uns".
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