ISAF-Offizier in Afghanistan: "Wir sind hier Gäste"
Er darf nicht eingreifen, wenn er um Hilfe gebeten wird - und rechnet jederzeit mit Anschlägen. Der Bundeswehroffizier Thomas G. über seinen Einsatz in Afghanistan.
"Die Diskussion bei den Grünen kann ich mir ganz entspannt angucken", sagt der Offizier Thomas G.*, "entscheidend ist für mich das Ergebnis. Wenn der Bundestag gegen den Einsatz stimmt, packen wir unsere Sachen zusammen und gehen." Sagt er. Tut neutral. Glaubt man ihm nicht. Zumindest nicht, wenn man ihn vorher über Afghanistan hat reden hören. Viereinhalb Monate diente er bei der Isaf im Land am Hindukusch.
Die Verlängerung der Afghanistan-Mandate steht an. Das größte Mandat - mehr als 3.000 deutsche Soldatinnen und Soldaten - hat die International Security Assistance Force (Isaf). Die Bundesregierung will deren Mission nun mit der Aufklärungsmission von Luftwaffen-Tornados zusammenfassen. Die Grünen lehnen diese Verknüpfung ab - und damit auch die Isaf, obwohl die Partei dieses Mandat eigentlich unterstützt. Hauptgrund: Die Basis befürchtet, dass die Aufnahmen der Tornados auch für die US-geführte Operation Enduring Freedom (OEF) verwendet werden. Mit gutem Grund - und dies ist nicht die einzige Unklarheit des Mandats. Solche Widersprüchlichkeiten machen den Einsatz nicht nur für Politiker, sondern vor allem für die Soldaten schwierig. In dreifacher Hinsicht: Erstens haben sie durch die Nähe zur OEF einen Spagat zu leisten, denn die Isaf befindet sich schließlich nicht im Kampfeinsatz. Dennoch aber haben sie immer wieder unter Anschlägen zu leiden. Drittens sollen sie beim Wiederaufbau des Landes helfen, dürfen aber selbst offiziell keine humanitäre Hilfe leisten
"Manchmal sieht man dreijährige Kinder barfuß durch den Schnee laufen. Das ist da ganz normal. Einmal rief ich meine Frau in Deutschland an. Ich sagte, such alles raus, was du noch an Kinderkleidung findest! Mach ein Paket und schick es her!" Seine Frau schickte ihm die Sachen, und der Offizier verteilte sie. Obwohl das verboten ist. Thomas G. hat dreierlei erlebt: einen Kulturschock, die gewisse Hilflosigkeit eines Soldaten, der nicht im Kampfeinsatz ist, und ein manchmal widersprüchliches Mandat.
Berufserfahrung hat er seit über zwanzig Jahren. Inzwischen ist er Major. In Afghanistan absolvierte er seinen dritten Auslandseinsatz nach Bosnien und dem Kosovo. "Man ist jedes Mal ein anderer, wenn man zurückkehrt", sagt er. Afghanistan hat ihn beeindruckt: "Das muss man mal gesehen, gerochen und geschmeckt haben", sagt er, "die Zustände sind wie bei uns im Mittelalter." Auch der Umgang miteinander: "Die Leute sind herzlich, aber einem Dieb kann auf offener Straße die Hand abgehackt werden."
Bei solchen Szenen darf er eigentlich nicht eingreifen. Auch nicht, wenn er und seine Kameraden auf Patrouille mit dem Dorfältesten einen Tee trinken und der sich beklagt, dass seine Frau entführt wurde oder man seine Schafe gestohlen hat. Nur in Notwehr oder zur Nothilfe - etwa wenn jemand vor ihren Augen angegriffen wird - dürfen die Soldaten schießen, sonst nicht, denn die Isaf hat kein Kampfmandat: "Wir sind keine Besatzungsmacht, sondern Gäste", versucht Thomas G. zu erklären, "wir unterstützen das Land beim Aufbau und der Ausbildung von Sicherheitskräften." Für die innere Sicherheit ist die afghanische Polizei zuständig. "Aber wenn man das dem Dorfältesten sagt, dann antwortet der womöglich, dass die afghanischen Polizisten bestechlich seien."
Reinhold Robbe (SPD), der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, kritisiert, dass G. sich angesichts solcher Widersprüche hilflos fühlen kann: "Das wundert mich aber sehr! Insbesondere für Offiziere vor Ort ist es vollkommen klar, wie der Auftrag aussieht", sagt er, "und es ist ihnen klar, dass es ein sehr facettenreicher Auftrag mit unterschiedlichen Seiten ist."
Gert Weisskirchen, Abgeordneter (SPD) und Sprecher der Arbeitsgruppe Außenpolitik, siehts dagegen wie der Offizier. "Den kann ich sehr gut verstehen, denn das Mandat ist so ausgelegt", sagt Weisskirchen, "es ist kein Kampfauftrag. Die Operation Enduring Freedom (OEF) ist ein Kampfeinsatz gegen Terroristen. Die Isaf aber ist nicht im Kampfeinsatz. Sie ist dazu da, die Autorität der Regierung Karsai zu unterstützen und zu fördern." Das funktioniere nicht mit kriegerischen Handlungen: "Dann würden die Afghanen die deutschen Soldaten als Besatzungsmacht empfinden", sagt er.
Es gibt ja auch Erfolge: Laut Bundesverteidigungsministerium haben die Deutschen in Afghanistan inzwischen über 4.800 Polizisten ausgebildet, weitere 14.000 Polizisten erhielten eine kürzere Fortbildung. Afghanische Polizisten haben es geschafft, innerhalb von nur einem Tag die Entwicklungshelferin Christiane M. aus der Hand ihrer Entführer zu befreien. Eine wichtige Erfahrung, betont Thomas G.: "Das ist für die ein enormes Erfolgserlebnis. Die Afghanen haben ihren Stolz. Und wenn die so etwas schaffen, dann werden die Sicherheitskräfte gleich ganz anders angesehen." Außerdem wurden Schulen, Universitäten und Straßen gebaut.
Aber noch immer seien viel zu wenige Ausbilder vor Ort. Wann ist das Land so weit, dass die Afghanen alles selber schaffen? "Das traut sich keiner zu sagen", murmelt G. Für das Isaf-Mandat muss man zäh sein.
Zäh ist Thomas G. Dabei wirkt er locker: Jeans, Karohemd über der Hose, Lachfalten um die Augen. Fitter kleiner Typ, Marathonläufer. Für Wettkämpfe hat er gerade keine Zeit: Er wurde befördert und versetzt. Nun pendelt er zwischen Arbeit und Familie hin und her. In eineinhalb Jahren, hofft er, können er und seine Frau wieder zusammenziehen - vorher gehts nicht, weil der Sohn noch die Schule besucht.
Familienleben ist für Soldaten sowieso nicht einfach. "Kaum ist man im Ausland, geht die Heizung kaputt." Seine Frau in Deutschland hat gelernt, alles selbst zu regeln. Dies wiederum hatte der Offizier erst mal zu verdauen: "Meine Frau kommt wirklich gut allein zurecht - wenn ich zurückkehre, dann muss ich mir meinen Platz in der Familie zurückerobern. Das ist ein fahrender Zug, auf den man aufspringen muss." Dabei will man nach einem Einsatz eigentlich bemitleidet werden, sagt er und lacht ein bisschen über sich selber, aber Mitleid gibts bei ihm zu Hause nicht, zum Glück, meint er, "meine Frau ist da knallhart, die sagt, du musst dich hier jetzt einfügen".
Macht seine Frau sich Sorgen, wenn er fort ist? "Glaub ich nicht", er schüttelt den Kopf, "aber vielleicht sagt sies mir ja auch nicht. Außerdem: Sie weiß, dass ich schießen kann. Bei einer offenen Auseinandersetzung gibts keine Bedenken." Doch von Offenheit kann in Afghanistan keine Rede sein. Die Gefahr kommt aus dem Hinterhalt: "Wenn eine Patrouille dreimal hintereinander dieselbe Strecke gefahren ist, dann liegt da beim vierten Mal ein Sprengsatz. Da kann man die Uhr nach stellen."
Die Anzahl der Anschläge wird nicht öffentlich gemacht, bei Nachfrage wird das Auswärtige Amt ungnädig. Laut Afghanistankonzept der Bundesregierung ereigneten sich etwa 10 Prozent der "sicherheitsrelevanten Zwischenfälle" im Westen und im Norden, wo die Deutschen stationiert sind. Außerdem sollen es hier in den vergangenen Monaten nur wenig mehr geworden sein. Die Gefahr hat sich "ganz offensichtlich erhöht", sagt dagegen MdB Bernd Siebert (CDU/CSU), der Mitglied im Verteidigungsausschuss ist.
Die Soldaten schützen sich so gut wie möglich: Sie fahren zu wechselnden Zeiten und Routen, keiner geht allein raus. Wer auf Patrouille fährt, muss sich abmelden, im Lager werden Name und Blutgruppe notiert. Jeder hat seine Waffe fertig geladen und trägt mehr Munition als in anderen Ländern mit sich. "Es kam eben schon vor, dass auf eine Patrouille stundenlang geschossen wurde und man Unterstützung aus der Luft brauchte", berichtet Thomas G. Alle schauen, ob jemand auf einer Hügelkette steht und späht: Sprengladungen werden meistens aus der Ferne mit dem Handy gezündet. Manchmal haben die Soldaten reines Glück: "Einmal ging ein Sprengsatz zwischen zwei Autos los, da hat der Attentäter wohl gepennt", sagt G. Aber die Soldaten sind nicht im Kampfeinsatz. Dieser Widerspruch strapaziert die Nerven.
Die Tornados sollen die Gegend erkunden und die Isaf-Soldaten schützen. "Die Piloten fliegen über ganz Afghanistan", erklärt Thomas G., "wenn die Tornados nach Masar-i-Scharif zurückkehren, werden dort die Filme entwickelt und ausgewertet. Die Ergebnisse werden nach Kabul ins Hauptquartier der Isaf übermittelt und dort weiter ausgewertet." Die Weitergabe ihrer Bilder an die OEF ist sehr restriktiv geregelt. "Tornado-Bilder dürfen nur weitergegeben werden, wenn es für die Isaf und den Schutz von Isaf notwendig ist", erläutert der Grüne Winfried Nachtwei, "nicht aber zu OEF-Zwecken". Nur - dass das wirklich so läuft, glaubt Nachtwei nicht. Aus zwei Gründen: "Im Süden operieren OEF und Isaf so dicht miteinander, auch im Austausch, dass gar nicht mehr kontrollierbar ist, wer welche Aufklärungsmittel handhabt." Zweitens: "Zugang zu den Isaf-Datenbanken gibts nur mit Codewörtern - aber im Osten ist es unmöglich, das zu trennen. Derselbe US-General ist nämlich Kommandeur des Regionalkommandos Ost der Isaf und OEF-Kommandeur für ganz Afghanistan."
Indirekt bestätigt wird die Befürchtung des Grünen ausgerechnet vom Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Klaus-Peter Stieglitz. "Deutsche Truppen operieren vom Boden aus mit Luftwaffenunterstützung von den Alliierten, auch wenn keine deutschen Luftstreitkräfte vor Ort sind." Überlebenswichtig! Aber: einseitig? Stieglitz bestätigt, dass die Tornados über ganz Afghanistan fliegen. Und bestreitet nicht, dass Tornado-Bilder an die OEF gelangen können: OEF und Isaf hätten ihre Hauptquartiere "zufälligerweise" am selben Ort. "Zunächst" werde das Bildmaterial für die Isaf abgearbeitet. Und danach? "Dass Leute, die im Rahmen von OEF mit am Tisch sitzen, sich das angucken - womit wollten wir das verhindern?", fragt er etwas rhetorisch. Und sagt: "Ich bin nicht im operativen Geschäft."
Für Thomas G. wird der Auftrag dadurch nicht einfacher: "Das Problem ist, ein klares Mandat zu haben. Aber das Mandat erhalten wir von der Bundesregierung."
* Name geändert
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