Merkel-Werdung: Die Frau als Ganzkörpernachricht

Angela Merkel galt als hässliches Entlein - bis sie Kanzlerin wurde. Auf der Tagung "Politik auf dem Boulevard?" wurde analysiert, wie Medien Macht inszenieren.

Die Haare, das Kostüm, die Gestik - alles sagt: Macht! Bild: dpa

Früher Aschenputtel, heute Königin. Früher Kohls Mädchen, heute die mächtigste Frau der Welt, die auf dem G-8-Gipfel Staatsmänner mit ihrem Charme um den Finger wickelt. Die medialen Erzählungen über Angela Merkel haben sich dramatisch verändert, stärker als jede Erzählung über einen männlichen Politiker.

Verantwortlich für die anfängliche Abwertung ihrer Person sei auch ihr Geschlecht gewesen - so analysierten es deutsche und internationale MedienwissenschaftlerInnen auf der von Margreth Lünenborg exzellent orchestrierten Tagung "Politik auf dem Boulevard?", die am Wochenende in der Freien Universität Berlin stattfand.

Angela Merkel - weiblich, protestantisch, ostdeutsch- war wortwörtlich ein Fremd-Körper in der politischen Klasse. Gegen die kraftstrotzenden Aufsteiger Schröder und Fischer habe sie im Wahlkampf mit ihrer "kalten Reformgeschichte" kaum punkten können, sagte Tissy Bruns vom Tagesspiegel. Selbst Bild, die nach einer Studie von Jörg-Uwe Nieland von der "Forschungsgruppe Regieren" die Kanzlerkandidatin in den redaktionellen Texten zu rund 24 Prozent positiver darstellte als ihren Konkurrenten Schröder, demontierte Merkel manchmal mit Bildern. Auf einem sieht man die CDU-Chefin, wie sie als lächerliche Figur mit verkrampften Schultern bekennt: "Ich will Deutschland dienen!"

Eva Kohlrusch, früher einzige Frau in der Bild-Chefredaktion, heute Vorsitzende des Journalistinnenbundes, erklärte das mit dem Hang der Journaille zur Identifikation mit der Macht. Nachdem Merkel Kanzlerin geworden sei, seien plötzlich andere Fotos ausgesucht worden. "Jetzt stellen sie sie positiv dar, weil sie ihren eigenen Zugang zur Macht positiv darstellen." Bild, so die jetzige Bunte-Kolumnistin, sei immer noch "eine Zeitung von Männern für Männer". Und wenn Männer Fotos von Staatsmännern aussuchten, "kriechen sie quasi in sie hinein und identifizieren sich damit". Auch der in diesem Sommer mit nacktem Oberkörper angelnde Putin habe den Männern gefallen. "Der Blick auf Frauen aber ist immer von draußen", so Kohlrusch. "Es ist ein nackter, zudringlicher Blick. Die Frau ist Fleisch und Ganzkörpernachricht."

Politikerinnen als Ganzkörpernachrichten - ein neues, spannendes Thema für die Medienwissenschaften. In Frankreich hat Marlène Coulomb von der Universität Toulouse den Wahlkampf von Sególène Royal und Nicolas Sarkozy untersucht. Ihre Ausgangsthese: Es gibt eine "linke" und eine "rechte" Körpersprache. Die "linke" betont die Verbundenheit mit der ganzen Bevölkerung, die "rechte" ist elitär und wahrt Distanz. Analysiert man die körpersprachlichen Auftritte der beiden Konkurrenten, lautet das überraschende Ergebnis jedoch: Sarkozy ist der Linke und Royal die Rechte. Sarkozy badet in der Menge, gibt sich volksverbunden, schüttelt Hände. Royal wirkt sexy, aber kalt und unnahbar, sie meidet Berührungen. War das vielleicht einer der Gründe, warum sie die Wahl verlor?

TV-Moderatorinnen sind offenbar ebenfalls Ganzkörpernachrichten. Auffallend oft machen männliche Schreiber ihre Kritik an Sabine Christiansen in erster Linie an Äußerlichkeiten fest ("Kaschmir-Königin"), stellten Claudia Riesmeyer und Martina Thiele nach einer Analyse von über 100 Artikeln aus Spiegel und Spiegel-Online fest. Günther Jauch und Frank Plasberg hingegen wurden als "Star", "Über-Moderator" und "Politjournalist des Jahres" betitelt. Fazit der Wissenschaftlerinnen: "Guter Journalismus ist offenbar immer noch männlicher Journalismus."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.