: Aufschrei einer Abgeordneten
FRAUEN In Sachen Sexismus sollten die Medien sich an die eigene Nase fassen, findet die grüne „Miss Bundestag“ Agnes Krumwiede
VON AGNES KRUMWIEDE
In der vergangenen Woche kontaktierten diverse Redaktionen mein Büro im Zusammenhang mit dem Sexismusvorwurf an Rainer Brüderle: Ob auch ich mich zur Debatte um Sexismus in der Politik äußern wolle, schließlich sei ich eine „schöne Abgeordnete“, so einer der Anrufer. Ich lehnte ab. Wenn es um sexuelle Belästigung durch Politiker geht, habe ich nichts beizutragen. Ich habe mich noch nie von einem Politiker-Kollegen belästigt gefühlt. Schlüpfrige Anmachen und zotige Sprüche gehören nicht zu meinen einschlägigen Erfahrungen als junge Abgeordnete. Trotzdem ist Sexismus Bestandteil meines Alltags und begleitete meinen Einstieg in die Bundespolitik.
Bei meiner ersten Rede vor dem Bundestag unterstellte Deutschlands bekannteste Boulevardzeitung meinem Fraktionsvorsitzenden einen anzüglichen Blick auf mein Hinterteil. Ein entsprechendes Youtube-Video machte die Runde. Es ist nicht schön, mit seinem Hinterteil durch die Presse und Comedyshows gezerrt zu werden. Am meisten empörte mich eine Glosse in der Lokalzeitung meines Heimatortes. Der Verfasser unterstellte mir, ich hätte meinen Hintern „sorgsam inszeniert“, also die Aufregung um mein Hinterteil selbst provoziert. Später legte die Zeitung nach: Ich sei „dank (meines) Körpereinsatzes fast schon so bekannt wie Gabriele Pauli“.
Auch die Süddeutsche Zeitung widmete sich der Geschichte. Während eines zweistündigen Gespräches wurde mir die Gelegenheit gegeben, grüne kulturpolitische Ansichten und Ziele zu erläutern. Im darauffolgenden Artikel mit der Überschrift „Agnes und ihre Beine“ war darüber allerdings keine Zeile zu lesen – wohl aber über die an mir ins Visier genommenen Körperteile.
Auch Einladungen zu Talkshows habe ich während meiner ersten Monate im Bundestag angenommen. Eingeladen wurde ich wegen des besagten Youtube-Videos. Ich wollte diese Aufmerksamkeit nutzen für die Kommunikation grüner und kulturpolitischer Inhalte. Beinahe jedes Mal wurde das Video eingespielt, auf dem mir mein Fraktionsvorsitzender (vermeintlich) auf den Hintern glotzt.
Bei einer Talkshow in Köln hatte die Redaktion meinem Büro zugesichert, das berüchtigte Video nicht zu zeigen. Während der Aufzeichnung saß ich neben einem über 80-jährigen Playboy, dessen Lebensleistung darin bestand, mit ziemlich vielen Frauen im Bett gewesen zu sein. Er signalisierte mir, dass auch ich Chancen hätte, in den Kreis seiner Bettgefährtinnen zu gelangen. Ich konterte, da hätte ich ja wohl auch noch ein Wort mitzureden. Dann kam das Video. Medientraining durch Learning by Doing war für mich mit schmerzhaften Einsichten verbunden.
Nach der TV-Aufzeichnung lag ich frustriert im Hotelzimmer und wusste, dass ich einiges ändern müsste, um inhaltlich als Kulturpolitikerin ernst genommen zu werden. Ich stürzte mich in die Arbeit, ging nur noch zu Talkshows mit politischem Inhalt und legte mir ein dickes Fell zu. Als Deutschlands bekannteste Boulevardzeitung fand, ich zeigte „das tiefste Dekolleté des Bundestages“, atmete ich tief durch und arbeitete weiter.
Wieder lernte ich durch das Lokalblatt meiner Heimatstadt eine Lektion zum Thema Chauvinismus. Die Zeitung hatte Thilo Sarrazin zu einer Lesung eingeladen. Als grüne Wahlkreisabgeordnete kritisierte ich diese Einladung scharf. Auf Seite 1 erschien prompt ein im Tonfall recht beleidigter Artikel – illustriert von einem Foto, auf dem durch ungünstige Körperhaltung mehr von meinem Ausschnitt zu sehen war, als ich ursprünglich zu zeigen bereit war. Die Intention ist leicht zu durchschauen: Aussagen einer Abgeordneten, von der es solche Fotos gibt, müssen wir nicht ernst nehmen. So sind kritische Äußerungen von Frauen leichter wegzuwischen als jene von Männern. Politikerinnen auf ihre Weiblichkeit zu reduzieren, geht oft einher mit einer Abwertung ihrer Kompetenz. Sexismus ist auch ein Macht- und Stilmittel des „seriösen“ Journalismus – nicht nur des Boulevards.
Deshalb empfinde ich die Empörungswelle über Sexismus in der Politik, der sich alle bekannten Zeitungen und Medien momentan anschließen, als etwas einseitig und scheinheilig. Auch die Vertreter der Zeitungs- und Medienlandschaft in Deutschland müssen sensibilisiert werden für versteckten und offenen Sexismus bei ihrer Berichterstattung über Frauen. Im Herbst werden hoffentlich viele junge Frauen ein Bundestagsmandat übernehmen. Sie medial nicht systematisch auf ihre Körperteile zu reduzieren, wäre ein erster Schritt. Natürlich gibt es viele sehr gute und seriöse Journalisten – übrigens auch beim erwähnten Lokalblatt. Frauenfeindlichkeit ist nicht nur ein Phänomen der Politik und des Journalismus. Aber Medien tragen eine sehr große Verantwortung. Sexismus und Machtmissbrauch dürfen keine Chance haben. Frauen steht nicht nur der gleiche Lohn zu wie männlichen Kollegen, sondern auch der gleiche Respekt.
Agnes Krumwiede, 35, ist Konzertpianistin und Sprecherin für Kulturpolitik der Bundestagsfraktion der Grünen