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Archiv-Artikel

Die kleinste Zelle der Bewegung

Das 6. Festival „Politik im Freien Theater“ sucht für zehn Tage die Wirklichkeit auf der Bühne. 14 eingeladene Produktionen wollen sich nicht bloß thematisch mit Sozialabbau und Neocons beschäftigen, sondern relevante politische Aussagen treffen

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Von Utopien mag man heute nicht mehr reden. Der Begriff ist nicht bloß zu groß geworden, sondern wird nach dem zeitversetzten Versagen von Sozialismus und Neoliberalismus auch nur noch mit Misstrauen bedacht. Was aber bleibt dann noch als Denken, das in die Zukunft gerichtet ist und über unmittelbare Bedürfnisse hinausgeht?

Sabrina Zwach, Kuratorin des Festivals „Politik im Freien Theater“, hat sich entschieden, es „Sehnsucht“ zu nennen: „Wenn die Sehnsucht nicht mehr da ist, dann ist Ende der Vorstellung. Sehnsucht ist die kleinste Urzelle davon, etwas zu wollen. Die Krise, dass alles schon mal da gewesen ist, zu überwinden: die Postmoderne, das Ende der Geschichte, der Zynismus, die Ironie …“ Dieser Stimmung etwas entgegenzusetzen sieht sie als einen gemeinsamen Nenner der 14 Theaterproduktionen, die sie für das Festival ausgewählt hat. Und nicht als den kleinsten.

Was einem Theaterabend politische Relevanz verleiht, darüber streitet das Theater als Ort der Verhandlung öffentlicher Angelegenheiten seit seiner Entstehung in der Antike. Dirk Pilz, Redakteur der Zeitschrift Theater der Zeit, die ihr Novemberheft dem „Politischen Theater“ gewidmet hat, formuliert es schön: „Womöglich ist die Theatergeschichte nichts als der vergebliche Traum von der Heimkehr zu jener segensreichen Geburtsstunde.“ Worin er und Sabrina Zwach sich einig sind, ist jedenfalls, dass allein die Beschäftigung mit politischen Themen wie Sozialabbau, Sicherheitspolitik oder Genetik noch nicht die Antwort auf die Frage nach der Relevanz ist. All die vielen Arbeitslosen, die mit den neuen Stücken von Fritz Kater, Felicia Zeller, Falk Richter, Moritz Rinke jetzt massenhaft auf die Bühne drängen, berechtigen noch nicht dazu, von einer Repolitisierung der Kunst zu sprechen.

Tatsächlich hat Sabrina Zwach 14 Produktionen ausgesucht, die allesamt keinem geschriebenen Dramentext folgen. Sie sind vielmehr oft Ergebnisse einer Recherche – über die Konstruktion des Politischen in den verschiedenen medialen Räumen. Solche Theaterabende können mitunter anstrengend sein und ein wenig verblüffend in den Abkürzungen, die sie zwischen Alltag und Politik einschlagen – das Leben ist meist doch nicht immer ganz auf der Höhe des Diskurses. Aber nicht zuletzt aus diesem Wissen um das Versagen der Theorie beziehen die Stücke ihren Witz.

Vielleicht ist das theoretische Bild der Welt auch nicht wirklichkeitsnäher als beispielsweise die Welt des Modelleisenbahnbaus. In ihr hat der Regisseur Stefan Kaegi sein eingeladenes Stück „Mnemopark“ angesiedelt, in dem Schweizer Modelleisenbahnbauer als Alltagsexperten auftreten. Der eine Pol der Inszenierung ist die Liebe, die Leidenschaft, die handwerkliche Perfektion, zu der der Mensch schon dort fähig ist, wo man noch von Hobby redet – der andere Pol ist das, was von dieser Energie im Kontext der europäischen Agrar- und Subventionspolitik übrig bleibt.

Experte sein, Geld verdienen: Das ist auf andere Weise Thema der Performance „Dead Cat Bounce“ von Chris Kondek, die sich um das Zocken an der Börse dreht und das mit den Zuschauern gleich praktisch übt. Ein anderer Ort der Beobachtung ist das Weiße Haus in Washington, an dem die Gruppe „Think Tank“ die Theatralisierung von Politik in den Blick nimmt. Ihre Show basiert auf Protokollen, Interviews und Reden aus den neokonservativen Kreisen Washingtons.

Mit dem Charity-Markt setzt sich Barbara Weber in „mother t.“ auseinander, ein Abend, der rund um Mutter Teresa, diese Ikone des Helfertums, gebaut ist. Barbara Weber erarbeitet ihre Abende schnell und low budget, in zehn Tagen Probenzeit. Durch Recherchen aber, betont Sabrina Zwach, ist das sehr gut vorbereitet. So schaufeln die Stücke denn doch viele politische Themen auf die Bühne, wenn auch in Formaten, die das Infotainment und die Medienindustrie gleich mit reflektieren wollen.

Veranstalter des Festivals, das alle drei Jahren in einer anderen Stadt spielt, ist die Bundeszentrale für politische Bildung. In Berlin gastiert es im HAU, den Sophiensælen, im Theater unterm Dach und im Theaterdiscounter. Die eingeladenen Künstler sind in diesen Häusern alle keine Unbekannten, sondern gehören zu den üblichen Verdächtigen. Deshalb wird es das Festival schwer haben, sich vom Tagesbetrieb abzuheben. Aber, wie Klaus Dörr, seit Jahren Produzent in der freien Szene, weiß: „Es wird zu viel produziert und zu wenig gezeigt“, und deshalb kann der Theaterbetrieb selbst diesen dichten Austausch gut brauchen. Überproduktion in Zeiten des Mangels, auch ein schönes Thema.

10.–20. 11.; das Programm ist zu finden unter www.politikimfreientheater.de und im taz plan