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Ex-Verfassungsrichter zu Kinderrechten:"Dazu ist die Verfassung zu schade"

Kultur, Sport oder Kinderrechte im Grundgesetz besonders zu schützen bringt nichts, warnt der ehemalige Verfassungsrichter Udo Steiner. Es handele sich um rein symbolische Maßnahmen.

Die acht Richter des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts Bild: ap

taz: Herr Steiner, derzeit häufen sich die Vorschläge für Verfassungsänderungen: Kinderrechte sollen ins Grundgesetz, die Kultur, der Sport und auch Nachhaltigkeit sollen Staatsziele werden. Was halten Sie als langjähriger Verfassungsrichter davon?

Udo Steiner: Ich rate da sehr zur Zurückhaltung. Entweder haben solche Änderungen gar keine juristische Wirkung, oder wenn doch, dann verschieben sie die Gewichte im Staat, sie schwächen die Politik und stärken die Gerichte.

Warum?

Verfassungsbestimmungen machen zwar dem Gesetzgeber Vorgaben. Ausgelegt werden die Vorgaben aber von Juristen, letztlich vom Bundesverfassungsgericht. Man kann es auf die plakative Formel bringen: Wer Verfassungsrecht sät, wird Karlsruher Urteile ernten. Ich meine aber, der Gesetzgeber braucht eher zusätzliche Gestaltungsmacht, nicht weniger.

Warum ist es schlecht, wenn die Verfassung dem Gesetzgeber Vorgaben macht?

Die Verfassung soll zum Beispiel klare Regeln für die Gesetzgebung vorgeben. Und sie soll Grundrechte definieren, in die der Staat nur begrenzt eingreifen kann. Bei Staatszielen wie Kultur und Sport geht es aber vor allem um staatliche Leistungen, also um Kulturförderung und um Sportförderung. Hier sind Verfassungsvorgaben wenig sinnvoll.

Schadete es, Kinderrechte oder Kultur ausdrücklich im Grundgesetz zu erwähnen?

Das Grundgesetz ist eine juristische Verfassung und auf juristische Wirkung angelegt. Deshalb muss man immer damit rechnen, dass Verfassungsjuristen auch in eher symbolischen Bestimmungen einen vom Verfassungsgeber vielleicht gar nicht beabsichtigten Inhalt finden. Die Länder sind zum Beispiel zu Recht skeptisch, die Kultur als Staatsziel ins Grundgesetz zu schreiben, weil das als Stärkung der Kompetenzen des Bundes in der Kulturpolitik ausgelegt werden könnte.

Bei den Kinderrechten geht es um den Schutz der Schwächsten vor Gewalt, Ausbeutung und Vernachlässigung. Hätte hier eine Verfassungsänderung mehr Sinn?

Nein, im Gegenteil. Den Vorschlag der SPD halte ich für sehr symbolisch. Was schon im Grundgesetz drinsteht, muss man nicht noch einmal aufnehmen. Der Schutz der Kinder vor Gewalt, der Schutz ihrer persönlichen Entwicklung, die Wächterrolle des Staates, all das steht längst schon in unserer Verfassung. Was die SPD vorschlägt, klingt zwar wie ein Grundrecht, ist aber faktisch nur ein neues Staatsziel.

Man könnte die Kinderrechte ja noch verstärken.

Ich kann ihnen versichern: In den zwölf Jahren, in denen ich Verfassungsrichter war, ist das Kindeswohl eine völlig unbestrittene Verfassungsgröße gewesen. Wenn es darauf ankam, wie zuletzt beim Unterhalt für nichteheliche Kinder, war es in unseren Beratungen immer eine tragende Orientierung.

Können mit Hilfe eines Staatsziels nötige Gesetze nicht viel leichter durchgesetzt werden?

Nein. Ein Staatsziel sagt nur, dass der Staat etwas tun muss, nicht aber, was. Es ist in der Demokratie aber kaum vorstellbar, dass der Staat auf drängende Probleme gar nicht reagiert. In der Regel ist nur umstritten, welche Maßnahmen geeignet sind. Da hilft ein Staatsziel gar nichts.

Und wenn es am Geld fehlt?

Wenn der Sport zum Staatsziel würde, dann bekäme er wahrscheinlich keinen Euro zusätzlich. Die Verteilung der Haushaltsmittel folgt politischen Prioritäten, und das ist richtig so.

Es kommt also mehr auf das politische Gewicht als die Erwähnung in der Verfassung an?

Wenn der Gesetzgeber für ein Anliegen gesellschaftlichen Rückenwind hat, dann öffnet das viel mehr Türen - auch vor Gericht - als ein vages Staatsziel im Grundgesetz.

Ist das Bedürfnis von Kultur und Sport legitim, in der Verfassung erwähnt zu werden?

Natürlich ist das legitim. Kultur und Sport prägen unser Land in starkem Maße. Wenn sich dies im Grundgesetz niederschlägt, wäre das jedenfalls kein Schaden. Ich warne aber vor symbolischer Verfassungsgebung, wie sie in Südeuropa und Südamerika häufig vorkommt. Dort enthält die Verfassung vollmundige Versprechungen wie das Recht auf Arbeit, das Recht auf eine Wohnung - und der Staat kann die geweckten Erwartungen dann nicht befriedigen. So etwas wertet eine Verfassung ab. Dafür ist mir das Grundgesetz zu schade.

Der Umweltschutz wurde 1992 zum Staatsziel, der Tierschutz 2002. Welche Erfahrungen hat man damit gemacht?

Beide Bestimmungen hatten nicht die große normative Wirkung, die manche erhofft und andere befürchtet hatten. Sie werden natürlich vom Gesetzgeber oder von Gerichten zitiert. Aber ob deren Entscheidungen nicht ohnehin so ausgefallen wären, kann niemand sagen.

INTERVIEW: CHRISTIAN RATH

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