Massenklage gegen Vorratsdatenspeicherung: 30.000 ziehen nach Karlsruhe

Nie zuvor gab es eine so große Verfassungsbeschwerde: 30.000 Menschen klagen gegen die Vorratsdatenspeicherung. Doch die Anzahl sagt noch nichts über die Erfolgsaussichten.

Kritiker der Vorratsdatenspeicherung demonstrierten am Montag in Hamburg Bild: ap

KARLSRUHE taz Allzu viele waren es nicht, die am Silvestertag in Hamburg gegen die Vorratsdatenspeicherung protestierten. 200 Teilnehmer zählte die Polizei, 500 die Veranstalter. Doch die eigentliche Demonstration fand an diesem Tag woanders statt, beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe nämlich, wo 30.000 Menschen, weit mehr, als die Organisatoren erwartet hatten, Klage einreichten. Nie zuvor hat es eine so große Verfassungsbeschwerde gegeben.

Da längst noch nicht alle Kläger namentlich erfasst sind, gab der Rechtsanwalt Meinhard Starostik erst einmal nur acht Musterklagen ab. Zu den Erstklägern gehören der Rechtsprofessor Christoph Gusy und der Publizist und Bürgerrechtler Rolf Gössner. Dabei sind zudem ein Journalist, ein Anwalt und ein Steuerberater. Sie sollen die Gefährdung sensibler Berufe verdeutlichen.

Die Neujahr in Kraft getretene Vorratsdatenspeicherung sieht vor, dass alle Verbindungsdaten im Telefon-, E-Mail- und Internetverkehr sechs Monate gespeichert werden müssen. Gespeichert werden muss, wer mit wem wie lange telefoniert hat, bei Mobiltelefonen wird auch der Standort festgehalten. Ebenso ist zu speichern, wer wann an welche Adresse eine E-Mail geschrieben hat. Schließlich muss auch archiviert werden, wer in welchem Zeitraum mit welcher IP-Adresse einen Internetdienst benutzte. Die Gespräche und die Inhalte der E-Mails sowie die aufgerufenen Internetseiten werden nicht festgehalten.

Gespeichert werden die Verbindungsdaten nicht von der Polizei, sondern von den Telefon- und Internetprovidern. Nur bei einem konkreten Verdacht soll die Polizei die Daten nutzen können - wie bisher auch, denn die meisten dieser Daten werden schon jetzt zu Abrechnungszwecken notiert.

"Ohne Verdacht werden hier alle Bürger wie potenzielle Straftäter behandelt", kritisiert Starostik, der darin einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Fernmeldefreiheit und die informationelle Selbstbestimmung sieht. Schon die zwangsweise Speicherung der Daten sei ein Eingriff in die Grundrechte. "Und wenn die Daten bei Privatfirmen lagern, besteht die Gefahr, dass die Informationen unerlaubt zu kommerziellen Zwecken benutzt oder weiterverkauft werden."

Mehr als 30.000 Menschen teilen diese Befürchtung und haben Starostik die Vollmacht erteilt, in ihrem Namen Verfassungsbeschwerde einzulegen. Die Erfolgsaussichten werden durch die bloße Zahl der Beschwerdeführer natürlich nicht erhöht. Für die Initiatoren war die Sammelklage eher ein politisches Instrument. So konnten sie verdeutlichen, dass von der Zwangsspeicherung der Verbindungsdaten fast jeder betroffen ist. Initiiert wurde die Massenklage vom AK Vorratsdatenspeicherung, einem Zusammenschluss von Bürgerrechtlern und Datenschützern. Daneben wird es eine zweite Klage von FDP-Politikern geben, die am Mittwoch beim Bundesverfassungsgericht eintreffen soll. Formuliert hat sie der Altliberale Burkhard Hirsch, der schon mit seinen Klagen gegen den Großen Lauschangriff und das Luftsicherheitsgesetz Erfolg hatte. Eine dritte Klage hat die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union angekündigt.

Das Grundproblem aller Klagen ist, dass die Vorratsdatenspeicherung auf eine EU-Richtlinie zurückgeht. Über deren Zulässigkeit darf nur der Europäische Gerichtshof entscheiden, bei dem Bürger aber nicht direkt klagen können. Das Bundesverfassungsgericht ist nur zuständig, soweit das deutsche Gesetz über die EU-Vorgaben hinausgeht, etwa weil die Speicherung in Deutschland nicht nur zur Aufklärung schwerer Straftaten zugelassen ist, sondern mit Blick auf alle Taten, bei denen Telekommunikation eine Rolle spielt.

Gut möglich, dass das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Ende feststellt, dass die Zwangsspeicherung der Verbindungsdaten unzulässig ist, soweit sie über die EU-Vorgaben hinausgeht. Das wäre zumindest ein Achtungserfolg für die Kläger.

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