Universität mit brauner Vergangenheit: Wissenschaft als Waffe
Die Ausstellung "Wissenschaft, Planung, Vertreibung" befasst sich mit der NS-Vergangenheit deutscher Wissenschaftler. Im Zentrum steht der "Generalplan Ost", der große Vertreibungs- und Besiedlungsplan für Osteuropa.
Festungen, Berge und Wälder. Die Landkarte auf der Stellwand im Foyer der Humboldt-Universität sieht aus wie aus dem Film "Herr der Ringe". Die Karte "Der Neue Osten" ist Teil der Ausstellung "Wissenschaft, Planung, Vertreibung", die Mittwoch Abend eröffnet wurde. Nach dem erwarteten Endsieg des nationalsozialistischen Deutschland sollte, so die damaligen Pläne deutscher Wissenschaftler, zwischen Oder und Ural "deutsches Volkstum" entstehen. Dass dafür 31 Millionen jüdischer und slawischer Bewohner "umgesiedelt", also vertrieben und ermordet werden sollten, nahmen sie in Kauf. Die Forscher waren keineswegs gleichgeschaltet, wie gern behauptet wird, sondern boten dem Regime beflissen ihre Dienste an. Bezahlt wurden sie von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), die auch heute noch der größte deutsche Wissenschaftsförderer ist.
Die Wanderausstellung ist ein Ergebnis der Vergangenheitsaufarbeitung, die die DFG seit 1995 in eigener Sache betreibt. Anhand von drei Stellwandgruppen veranschaulicht sie, wie es möglich war, dass ein Heer von willigen Wissenschaftlern sich in den Dienst der Nazis stellte: Schlüsselfigur war der Ämterhäufungsstratege Konrad Meyer. Er war Leiter des Agrarwissenschaftlichen Instituts und langjähriger SS-Führer. 1939 wurde er von Heinrich Himmler damit beauftragt, einen Plan zu entwickeln, wie sich die größenwahnsinnige Fantasie vom tausendjährigen Reich verwirklichen ließe. Drei Jahre später war Meyers Beitrag zum "Generalplan Ost" fertig - entwickelt hauptsächlich von Forschern der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universität, der heutigen Humboldt-Uni.
CHRISTOPH MARKSCHIES ist evangelischer Theologe und Philosoph und seit 2006 Präsident der Berliner Humboldt-Universität.
taz: Herr Markschies, 65 Jahre nachdem Forscher der Humboldt-Universität in ihrem "Generalplan Ost" die Ermordung und Vertreibung von 25 Millionen Menschen empfohlen haben, hat sich die Universität eine Ausstellung dazu ins Haus geholt. Warum erst jetzt?
Christoph Markschies: Es gab ja schon vorher Aktivitäten, zum Beispiel eine studentische Ausstellung an der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät. Ich muss sagen, ich selbst habe bei meinem Amtsantritt Anfang 2006 die Universität in diesem Punkt als große Baustelle vorgefunden.
Wer hat da geschludert?
Ich fürchte, da kann man gar keinen einzelnen Bösewicht identifizieren. Das ist so die übliche Mischung aus Unkenntnis, Schlamperei und so weiter. Und natürlich hatte die Generation meiner Eltern Schwierigkeiten mit dieser Aufarbeitung, das muss man ganz klar so sehen. Das ist keine Entschuldigung für die Humboldt-Universität, aber ich denke, das ist bei vielen deutschen Universitäten so.
Der Plan zur Neuordnung und Besiedlung Ost- und Mitteleuropas wurde maßgeblich an der HU entwickelt. Wie kann es sein, dass die Uni sich zu diesem Thema eine Ausstellung der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) ins Haus holt und selbst ihre eigene Rolle nicht weiter reflektiert?
Zur Eröffnung der Ausstellung habe ich in Bonn eine große Rede gehalten, in der ich nur über die Rolle der HU und nicht über die DFG geredet habe. Wir planen zum 200. Jubiläum im Jahr 2010 eine eigene Ausstellung. Es gab auch schon eine Publikation und eine Ringvorlesung zum Thema.
Sie selbst haben gesagt, die "Offenlegung der Schuld" sei die angemessenste Form der Entschuldigung. Die Stellungnahmen der HU haben sich bis jetzt aber sehr stark im akademischen Umfeld abgespielt. Warum gehen Sie nicht an eine breitere Öffentlichkeit?
Es hat ja von meinem Vorgänger und von der landwirtschaftlichen Fakultät schon Erklärungen gegeben. Weitere Worte abzugeben und darum publizistisches Tamtam zu machen, finde ich eher peinlich. Man muss wirklich mit den Leuten, den Überlebenden in Kontakt kommen.
Was heißt das konkret?
Ende Februar wird der Direktor der polnischen Gedenkstätte Majdanek kommen. Mit ihm wird es einen Tag geben, der sich an eine nichtakademische Öffentlichkeit richtet. Wir haben Menschen eingeladen, die Opfer dieser "Umsiedlungspolitik" wurden. Die Ausstellung beschreibt die Faktengeschichte, in dem Rahmen wollen wir das mit konkreten Gesichtern verbinden. Es gibt ja noch Überlebende, die eine Entschuldigung der HU auch noch physisch erleben können, unabhängig davon, wie sie damit umgehen. Das soll kein Historikersymposium werden.
Aber das bewegt sich dann ja wieder im Rahmen der Uni.
An die breite Öffentlichkeit gehen wir vor allen Dingen in Polen. Wir werden im Rahmen unseres Jubiläums in einer Kooperation mit der Uni Breslau unsere Entschuldigung in Form einer Ausstellung auf den Breslauer Marktplatz tragen. Wenn es klappt, werden wir das auch mit einer zweiten Universität in Ostpolen veranstalten. Das braucht alles viel Zeit, angesichts dieser Vorgeschichte und der politischen Großwetterlage muss ich als jemand, der neu im Amt ist, erst einmal Vertrauen aufbauen.
Gibt es Pläne, wie Sie das Thema an die Berliner Öffentlichkeit bringen wollen?
Das ist schwierig, man darf nicht zu viele Einladungen machen, dann kommt keiner. Wir werden zum Jubiläum ein Denkmal in den hinteren Hof stellen. Außerdem sind wir gerade dabei, einen Wettbewerb auszuschreiben, wie man die Wände des Foyers passend gestalten könnte. Bis jetzt hängen ja vor allem Nobelpreisträger in der Universität. Ideen gibt es auf jeden Fall viele.
Der Generalplan Ost war ein interdisziplinäres Großprojekt von frappierender Detailtreue. Eine Stellwand zeigt Fotos von zwei blonden polnischen Kinderköpfen: Nach Empfehlungen von Rassenforschern wurden sie akribisch vermessen, um ihre "Wiedereindeutschungsfähigkeit" und damit ihre Verwendbarkeit als deutsche Siedler in den Ostgebieten zu ermitteln. 31 Millionen "fremdvölkische" Menschen plante man zu deportieren oder zu ermorden, 14 Millionen sollten als Arbeitssklaven dem Reich dienen. Ziel war, eine gigantische Kornkammer im Osten zu schaffen, die ein völlig autarkes Großgermanien versorgen sollte. Am Agrarwissenschaftlichen Institut plante man den Verlauf von Straßen, Siedlungsstrukturen und Anbauflächen und -formen. Geologen, Klimaforscher, Stadtplaner, Veterinärmediziner, Sprachwissenschaftler - es gab Arbeit und Förderungsmittel genug für jeden, der einen entsprechenden Antrag zu stellen wusste.
Konrad Meyers wurde nach dem Krieg in den Nürnberger Prozessen freigesprochen und konnte seine wissenschaftliche Karriere unbehelligt fortsetzen. "Es geht uns darum, zu erklären, wer die Schreibtischtäter waren, wie umfassend ihre Pläne waren und in welchem politischen Rahmen sie gehandelt haben", sagt Sabine Schleiermacher, Medizinhistorikerin an der Charité und Mitorganisatorin der Ausstellung, bei der Begehung. Christoph Markschies, Präsident der HU, geht in seiner Eröffnungsrede nur im Nebensatz auf die Rolle der "Universität des Mittelpunktes" (Zitat Hegel) in der Vernichtungspolitik der Nazis ein.
Das ist Matthias Burchard nicht genug. Der ehemalige Mitarbeiter der agrarwissenschaftlichen Fakultät hält eine Mahnwache vor dem Eingangsportal. Seit 15 Jahren setzt er sich unermüdlich für eine ehrliche Aufarbeitung der HU-Historie ein. Die DFG-Ausstellung findet er "verharmlosend", sie beschränke sich auf Polen und vernachlässige die Gebiete in der damaligen Sowjetunion. Die Ausstellung wird noch bis zum 23. Februar zu sehen sein, danach wandert sie weiter. Die östlichste Station ist Frankfurt (Oder).
Die Ausstellung "WISSENSCHAFT, PLANUNG, VERTREIBUNG - Der Generalplan Ost der Nationalsozialisten" läuft bis 23. Februar 2008 im Foyer der Humboldt-Universität, Unter den Linden 6, 10117 Berlin, montags bis freitags von 9 bis 21 Uhr, samstags von 9 bis 17 Uhr, sonntags geschlossen, Eintritt frei
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