Türkische Friedenspreisträgerin verurteilt: Haftstrafe wegen Interview
Wegen eines Interviews im "Tagesspiegel" wurde die Menschenrechtlerin Eren Keskin zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Die Begründung: Herabwürdigung der Türkei.
ISTANBUL dpa - Ein türkisches Gericht hat die Menschenrechtlerin Eren Keskin aufgrund eines Interviews mit dem Berliner Tagesspiegel zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Ihr wird die "Verunglimpfung", also die Herabwürdigung des Türkentums und der Türkei vorgeworfen. Keskin war in Istanbul wegen Verletzung des umstrittenen Strafrechtsparagrafen 301 angeklagt, weil sie im Juni 2006 in dem Interview den Einfluss der Armee auf die türkische Politik kritisiert hatte.
Nach dem am Donnerstag nach nur kurzer Verhandlungsdauer verhängten Urteil kündigte Keskin umgehend Berufung an. Sie hatte 2004 den Aachener Friedenspreis für ihren couragierten und gewaltlosen Einsatz für Frieden und Menschenrechte erhalten.
Keskin habe in der Verhandlung ihre Ansicht wiederholt, dass die Armee in der Türkei zuviel Einfluss auf Politik und Justiz habe, sagte eine Prozessbeobachterin. Diese Meinung habe sie als politische Kritik geäußert und ohne beleidigende Absicht, sagte Keskin demnach. Der Schuldspruch zeige, wie eng die türkische Justiz dem Militär verbunden sei. Das Urteil habe von Anfang an festgestanden, zumal der Prozess auf eine Strafanzeige vom Generalstab der Armee zurückgehe.
Gegen Keskin, die selber Anwältin ist, läuft wegen der Äußerungen im Tagesspiegel außerdem noch ein Disziplinarverfahren bei der Anwaltskammer Istanbul. Der Rechtsanwältin droht dabei ein faktisches Berufsverbot.
Keskin ist aktives Mitglied des türkischen Menschenrechtsvereins IHD. 1997 gründete sie vor allem für kurdische Frauen, die von Sicherheitskräften missbraucht wurden, ein Rechtshilfeprojekt. Ihre Arbeit brachte ihr vorübergehend ein Berufsverbot und viele Morddrohungen ein. Die türkische Regierung hat bereits mehrfach angekündigt, den umstrittenen Artikel 301 zu ändern. Die Europäische Union mahnt dies immer wieder an.
BRZ
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen