Kommentar Olympia-Boykott: Diplomatie statt Drohgebärden

Dass die EU einen Olympia-Boykott abgelehnt hat, ist das richtige Signal. Den Tibetern täte man damit auch keinen Gefallen.

Zu viele tote Tibeter, zu viele tote Chinesen. Im Zuge erregter Debatten um einen Olympia-Boykott ist die Tragik der Proteste in Tibet fast in Vergessenheit geraten. Doch der chinesischen Führung sind die Toten nicht gleichgültig.

Peking hat es in Lhasa bewusst vermieden, die Revolte blutig niederzuschlagen. Parteichef Hu Jintao und Premier Wen Jiabao haben aus den Erfahrungen der Vergangenheit gelernt. Umso mehr laufen sie jetzt Gefahr, innerparteilich ins Visier der Hardliner zu geraten. Noch fragt keiner in China, ob die Sicherheitsbehörden die Geschäftsleute in Lhasa nicht doch besser hätten schützen können. Noch gehen Chinesen nicht auf Tibeter los.

Gut möglich aber, dass der nationalistische Aufstand der Tibeter weiter anhält. Und dann? Bleibt China bei den Verhaftungswellen und der Abriegelungsstrategie von Städten und Klöstern? Wie würde Peking auf Hungerstreiks oder Selbstverbrennungen reagieren? Chinas System fehlt es an Mechanismen zur Konfliktregelung. So fixiert sich die chinesische Führung dem Anschein nach auf den Dalai Lama. Doch das ist eine Ausweichstrategie. Durch die Verteuflung des tibetischen Oberhaupts radikalisiert China die Aufständigen noch. Doch von einer nationalen Revolte wagt Peking nicht zu sprechen - aus Angst, weitere Konflikte zu schüren. Denn Tibet ist nicht Chinas einziger Unruheherd. Auch andere Gruppen wie die Muslime in Xinjiang oder die verfolgte Falun-Gong-Sekte werden die vorolympische Zeit für Proteste nutzen.

China muss diese Herausforderung annehmen. Aber auch die Weltgemeinschaft muss lernen, mit China umzugehen. Bei aller notwendigen Kritik: Die Volksrepublik darf nicht als Pariastaat hingestellt werden. Denn in Peking regiert kein menschenverachtendes Willkürregime. Sondern eine Regierung, die gegen die Widersprüche ihres Systems kämpft. So hat Peking etwa gerade 800 Millionen Beschäftigten ein neues Vertragsrecht zugebilligt, das deren Rechte erheblich ausweitet.

Dass die EU einen Olympia-Boykott abgelehnt hat, ist daher das richtige Signal. Den Tibetern täte man damit auch keinen Gefallen. Gerade sie sind auf diejenigen angewiesen, die in Peking für ein moderates Vorgehen stehen. GEORG BLUME

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Georg Blume wurde 1963 in Hannover geboren und ist gelernter Zimmermann. Er leistete seinen Zivildienst in einem jüdischen Kinderheim sowie in einem Zentrum für Friedensforschung in Paris. Danach blieb Georg Blume in Frankreich und wurde Korrespondent der taz. 1989 wurde er Tokio-Korrespondent der taz, ab 1992 auch für die Wochenzeitung DIE ZEIT. Von 1997 bis 2009 lebte er in Peking, wo er ebenfalls als Auslandskorrespondent für die ZEIT und die taz schrieb, seit August 2009 ist er für die beiden Zeitungen Korrespondent in Neu-Delhi. Bekannt geworden ist Georg Blume vor allem durch seine Reportagen über Umweltskandale und Menschenrechtsverletzungen in China. Für dieses Engagement erhielt er 2007 den Liberty Award, mit dem im Ausland tätige Journalisten für ihre couragierten Berichterstattungen gewürdigt werden. 2012 wurde er mit dem Medienethik-Award META der Hochschule der Medien in Stuttgart ausgezeichnet. Publikationen: „Chinesische Reise“, Wagenbach, Berlin 1998. „Modell China“, Wagenbach, Berlin 2002. „China ist kein Reich des Bösen“, Körber, Hamburg 2008.

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