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Archiv-Artikel

Auch Jessicas Vater soll voll bestraft werden

Im Hamburger Prozess um das verhungerte Kind Jessica will die Staatsanwaltschaft lebenslange Haft für beide Eltern

HAMBURG taz ■ Es war Gleichgültigkeit auf der einen und Unbarmherzigkeit auf der anderen Seite. Der Vater wollte einfach seine Ruhe haben, und die Mutter war geleitet von Hass, weil Jessica als kleines Kind ihre Zeit beanspruchte. So haben Marlies Sch. und Burkhard M. ihre Tochter Jessica verhungern lassen, wahrscheinlich ohne darüber ein Wort zu verlieren.

Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft haben beide den Tod der Siebenjährigen gewollt. Wegen Mordes hat die Staatsanwaltschaft gestern vor dem Hamburger Landgericht lebenslange Haft für beide Eltern verlangt. Als Jessica am 1. März an ihrem eigenen Erbrochenen erstickte, wog die Siebenjährige so viel wie ein Baby im Alter von einem Jahr.

Die 36-jährige Mutter hat eingeräumt, „alles“ falsch gemacht zu haben. Der Vater hingegen hatte schon auf seine Verhaftung mit Unverständnis reagiert, schließlich sei allein die Mutter „für die Erziehung des Mädchens zuständig gewesen“. Auch die psychiatrischen Sachverständigen haben Burkhard M. nur eingeschränkt in die Verantwortung genommen: Während die Mutter trotz eigener schlimmer Kindheit keine strafmildernde „schwere seelische Abartigkeit“ entwickelt habe, wurde dem Vater ein medizinischer Defekt im Kleinhirn attestiert.

Für den Staatsanwalt wiegt die Schuld beider Eltern dennoch gleich schwer. „Beide Angeklagte haben vorsätzlich ihre Tochter gequält“, sagte er. Über Jahre hatten sie das Mädchen in ihrem abgedunkelten Zimmer eingesperrt, hungern und dursten lassen. Statt den Absturz abzuwenden, hätten beide Eltern ihre Energie auf das Vertuschen von Jessicas Martyrium nach außen verwandt. Auch der Vater hat Bekannten Lügengeschichten aufgetischt, wenn diese nach der Tochter fragten. Daraus leitet die Staatsanwaltschaft ab, dass er trotz Hirnstörung bewusst und vorsätzlich an der Tötung Jessicas beteiligt war.

Die Tragödie konnte ihren Lauf nehmen, obwohl Jessicas Mutter zuvor das Sorgerecht für ihre drei weiteren Kinder verloren hatte und den Behörden bekannt war. Doch nach einem Umzug entglitt die Familie laut Staatsanwalt „jeglicher sozialen Kontrolle“. Weil immer wieder Akten schwerwiegender Fälle von Kindesmisshandlung in der Bürokratie versinken, steht nun auch die Politik von Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) am Pranger. Letzte Woche wurden vier weitere vernachlässigte Kinder gefunden – alle durch Zufall. ELKE SPANNER