Hamburger Band "Sport": Keine Zeit zum Mattenschwingen

Rockendes Understatement: "Unter den Wolken", das neue Album des Trios Sport, steht für komplexe deutsche Texte und schnörkellosen Hardrock.

Mucker im besten Sinne: Sport. Bild: promo

Wenn kleine Jungs rocken, dann machen sie Punk. Wenn betagte Herren rocken, dann machen sie Blues. Die drei Mittdreißiger an Schlagzeug, Gitarre und Bass, die zusammen die Gruppe Sport bilden, sind also genau im richtigen Alter. Außerdem kommen sie aus Hamburg, und das hilft auch.

Jedenfalls, wenn man die Textbeobachtung in jener viel zitierten Hamburger Schule gelernt hat. Jener Schublade, in die eigentlich keiner mehr will und wo trotzdem jeder landet, wenn er seine Nase auch nur im Entferntesten mal in Richtung Waterkant gehalten hat; wenn er deutsch singt, wenn er Gitarre spielt und wenn er männlich ist. Wenn er der Gitarrist von Kante ist, der Band um den ehemaligen Blumfeld-Bassisten Peter Thiessen, dann erst recht. Felix Müller, 35, vorsichtig, dunkel gekleidet, ist neben dem Kante-Job der Kopf von Sport, die es bereits seit zwölf Jahren gibt und deren vorletzte, zweite CD "Aufstieg und Fall der Gruppe Sport" ein derartiges Kritikerlobgewitter ausgelöst hatte, dass man sich wunderte, wieso man außer von jenen begeisterten KritikerInnen eigentlich so wenig über das Album hörte.

Felix Müller spielt bei Sport Gitarre und singt, doch wenn man seine Band live sieht, die mit der heute erscheinenden CD "Unter den Wolken" tourt, dann weiß man vielleicht doch ein wenig, warum: Die Gruppe Sport sind Mucker. Im besten Sinne. Es geht ihnen um Rock, nicht um Röcke, möchte man kalauern. Um Rock heißt: Die Gitarren sind laut und verzerrt, der Schlagzeuger lässt die Becken scheppern, der Bass knallt untenrum alles zu, und keiner hat Angst vor Gitarrensoli. Auf der Bühne stehen der schmale Felix Müller, am Bass der massige, viel beschäftigte Musiker und Inhaber einer Gitarrenhandlung Christian Smukal, mit 38 Jahren der Älteste der Band, am Schlagzeug der 36-jährige Martin Boekers, dessen Schlaue-Jungs-Brille man während des Sets beschlagen zu sehen meint. Und ab und an, sogar ziemlich oft spielen sie sich an, als ob sie gerade im Übungsraum wären und das Publikum vergäßen. Die drei präsentieren das Gegenteil von den hohlen Rockgesten, die Britney Spears einstudiert hat, wenn sie "I love Rock n Roll" behauptet, oder, um im Land zu bleiben, Jeanette Biedermann, die ebenfalls irgendwann in ihrer unsäglichen Karriere als Proletenrockerbraut wiedergeboren wurde.

Sport dagegen rocken tatsächlich und ernsthaft. "Das Wichtigste ist das Zusammenspielen", sagt Felix Müller im Interview auf den durchgesessenen Sofas eines Berliner Clubs, "das … Entwickeln einer Energie. Das ist ja ohnehin eine der Stärken vom Rock." Müller spricht zögernd, macht im Satz Pausen zum Nachdenken, benimmt sich nicht wie ein flegelhaftes Rockmonster, sondern wie der Exstudent, der er ist.

Außerhalb und auf der Bühne wirkt er konzentriert, überlässt seinen Körper eher vorsichtig dem Beat, ohne die Bewegungen vor dem Spiegel geprobt zu haben, was eine Authentizität hervorruft, die vielen Rockposern längst abhanden gekommen ist. Smukal steht breitbeinig vor dem Bassverstärker, sein Sound rollt. Müllers Zurückhaltung, sein überlegtes, eingeschränkt melodiöses und gut verständliches Singtimbre (im Gegensatz zum Kreischen der landläufigen Hardrock-, Metal- oder Nu-Metal-Sänger) lässt den harten Sound weicher wirken und das Livekonzert trotz Bassdrumkick im Bauch eher nach Akademikerrock im Kopf klingen. Auch die Songs spiegeln die Brave-Jungs-stehen-auf-harten-Sound-Attitüde wider: "Gehirnerschütterung", der Song zum Auftakt der CD, fängt mit einem Riff an, darüber eine kreischende Gitarrensolomelodie wie eine Sirene, die beim Konzert von Lars Hansen übernommen wird - er spielt auf der Sport-Tour bei einigen Songs die zweite Gitarre.

"Es trifft dich wie ein Schlag", singt Müller unaufgeregt in den von Becken gefüllten Break, "so unvorhergesehen / ein ganz normaler Tag / Kalender weiterdrehen / ein Anruf genügt / vielleicht eine Meldung im Radio / die Zeitung, die dort liegt / und es ist nichts mehr, wie es war." Müller sagt: "Die Texte kommen meist zum Schluss." Er komponiert die Stücke auch, samt Ideen für Schlagzeugbeats und Bassläufe. "Musik ist eben nichtsprachlich", erklärt er, darum seien die Texte auch nicht das Wichtigste an Sport-Songs, sondern einfach Teil des Sounds.

Andererseits kann man sich als Hamburger Band nie so ganz von dem allgegenwärtigen Etikett befreien: "Hamburger Schule", überlegt Müller, "ist ja kein musikalischer Begriff, sondern eher ein spezieller Umgang mit Texten. Die Musikrichtungen, die darunter zusammengefasst wurden, sind schließlich diverse. Trotzdem haben uns die Bands aus Hamburg natürlich auch beeinflusst, gerade die Art, wie sie gesungen und getextet haben, und das hat ein gewisses Anspruchsdenken mitgeformt. Ich will ja nicht totale Belanglosigkeiten machen." In den Sport-Songs geht es demzufolge nie um simple Boy-sucht-Girl-Geschichten, um gebrochene Herzen oder Ich-will-Party-Aussagen. Sondern um diffuse Befindlichkeiten, um das, was die Kollegen in den 90ern mit typisch hanseatischem, zweifelndem Gymnasiastencharme auf der Bühne verankert hatten.

"Ich glaube", sagt Müller, "der Anspruch bei einer echten Hamburger-Schule-Band wie Tocotronic war doch nicht, unbedingt etwas Deutsches machen zu wollen, sondern sie waren ebenfalls von Grunge beeinflusst, von Nirvana. Der Grund für die deutschen Texte war, in der Sprache schreiben zu wollen, in der man sich am besten ausdrücken kann." Darum sind die Sport-Texte zwar nicht so wichtig, dennoch universal interpretierbar, als Bewältigung der Midlifecrisis genauso einzusetzen wie als Pubertätshilfe. "Bin einerseits A und andererseits B, was ist dann mit C? Wie geht das zusammen, wie passt das zu dir? Es steht sich im Weg", singt Müller in "Vergiss die Weltformel", während im Hintergrund rhythmisch auf einen Woodblock geklöppelt und jede Eins von einer Kirchenglocke unterstrichen wird.

"Vergiss die Weltformel", das dritte Stück der neuen CD, erinnert an Queens of the Stone Age, die momentan erfolgreichste US-Stonerrockband, deren Sound die Gruppe Sport verehrt. "Unter den Wolken", das dem Album seinen Titel gegeben hat, fällt dennoch etwas aus dem Rahmen: Wie ein surreales, depressives Märchen singt Müller von der "Erinnerung ans Leben, wie es war, bevor wir gehen mussten, ein Abschied für immer, ein Weg ohne Ziel", während wunderschöne und traurige Akkorde sich abwechseln - kein Liebeslied, so profan werden Sport nie, aber ein Song, der Weltschmerz in jedem Alter poetisch auf den Punkt bringt: "Doch unter den Wolken liegt die Welt, in ewige Dunkelheit gehüllt."

Das Outtro schleicht sich mit verwehenden Gitarren- und Orgelmelodien langsam davon, bis schließlich sakrale Herrenchöre mitsingen. Andere Songs lassen die musikalische Sozialisation der Band erkennen: Man hörte früher fleißig Pavement, Dinosaur Jr., Soundgarden. "Gehirnerschütterung" sei eine Hommage an Helmet, sagt Müller, jene US-amerikanische Noiserockband der 90er. "In den Sound, den man entwickelt, fließt natürlich ein, was einen geprägt hat und noch prägt", bringt es der Schlagzeuger Martin Boekers auf den Punkt. "Ende der 80er und Anfang der 90er waren das eben Amibands, da haben mich deutsche Bands gar nicht interessiert."

Im Gegensatz zum teilweise martialischen, testosterongetränkten Posenrock vieler Stonerbands halten es Sport eher wie ihre Grunge-Vorfahren: Es geht nicht um Sex, sondern um die inneren Werte. Die eigenen, wohlgemerkt. Live führt das dazu, dass viele Jungs und einige Mädchen vor der Bühne stehen und mit geschlossenen Augen den Kopf bewegen, weil es anscheinend reicht, die Band zu hören. Richtig die Matte und die Bierbüchsen fliegen lassen kann man nicht - dafür sind Band und Fans einfach zu kontrolliert. "Nicht mehr ganz so junge Indiekids", sagt Müller, eigentlich also die gleichen Leute, die auch auf der Bühne sind. Nicht mehr taufrisch und naiv, aber jung genug, um sich ganz auf ihre Leidenschaft zu konzentrieren. Im Gegensatz zu den teilweise posteraffinen und sendebewussten Bands/Frontmännern aus dem Umfeld, die neben der Musikrampe gern noch als Journalisten, als Autoren und Allroundkünstler der Welt zeigen wollen, was sie Wichtiges im Kopf bewegen, halten sich Sport zurück. Das macht sie zwar sympathisch, erschwert aber auch den Zugang: Die angenehm echte Nerdigkeit ihrer Intention wird all die Menschen abhalten, für die Musik eben nicht nur Musik, sondern auch Pose, Aussage, Show oder sexy ist.

Während die ersten beiden CDs, vor allem "Aufstieg und Fall der Gruppe Sport", mit ein paar poppigeren, musikalisch leicht verdaulichen und fast sonnigen Stücken in Richtung Deutschpop mit Indieeinschlag gingen, haben Sport sich mit "Unter den Wolken" kompromissloser denn je in Richtung Gitarrenrock orientiert. Vielleicht ist das nicht wirklich charts- und jugendzimmeraffin, taugt eher nicht zum Mitgrölen, zum iPod-Hören oder zum Generationbeschreiben. Sondern bleibt eine Fanveranstaltung. Eine sympathische. "Zwischen Hamburger Schule und Deutschrock gibt es ja noch ein paar Grauzonen", sagt Martin Boekers. Doch Christian Smukal unterbricht ihn ahnungsvoll: "Grauzonen, ja? Und da sollen wir rein!?"

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