Neues zum Flick-Konzern im 3. Reich: Mörderische Ökonomie

Friedrich Flick war nicht nicht nur passiver Nutznießer der Nazi-Diktatur - Er trieb die "Arisierung" voran und stieg ins Rüstungsgeschäft ein. So eine neue Untersuchung.

Friedrich Flick (mitte) wartet auf das urteil des Kriegsverbrecher-Tribunals in Nürnberg, 1947. Bild: ap

Die Schüler des Friedrich-Flick-Gymnasiums im nordrhein-westfälischen Kreuztal haben in ihrem Kampf für die Umbenennung ihrer Schule seit kurzem eine Institution an ihrer Seite, deren Argumente vernachlässigbar zu nennen selbst den hartleibigsten kommunalen Verteidigern des Schulstifters schwerfallen dürfte: die Stiftung Preußischer Kulturbesitz.

Nein, die Stiftung hat sich nicht mit den Schülern solidarisiert. Sie steht nur mit ihren Namen für eine Untersuchung über das Verhalten des westfälischen Großindustriellen während des Dritten Reichs ein, die den Schülern schlicht recht gibt: Flick ist kein Vorbild. Genau so aber, www.flick-ist-kein-vorbild.de, heißt die Website der Schüler. Wer sie besucht, kann sich dort einer Petition an den Bürgermeister von Kreuztal, sich für die Umbenennung der Schule einzusetzen, anschließen.

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hätte um die Auseinandersetzung mit diesem Mann und seinem Erbe sicher genauso gerne einen weiten, aus allerlei Beschwichtigungen gestrickten Bogen gemacht wie der Kreuztaler Stadtrat. Doch weil sich die Debatte um den von ihr geschlossenen Vertrag zwischen den Staatlichen Museen zu Berlin und dem Kunstsammler Friedrich Christian Flick, einem Neffen von Friedrich Flick, nicht beruhigen wollte, lernten die Verantwortlichen dazu. Anders als von Sammler und Institution angenommen, drohte der Deal den Namen der Stiftung und der Verantwortlichen nachhaltig zu beschädigen. Insbesondere seine allzu geschickt orchestrierte Durchführung, mit der eine Diskussion über die Figur des Familienpatriarchen sowie zur Weigerung F. C. Flicks, in den Zwangsarbeiterfonds der deutschen Wirtschaft einzuzahlen, vermieden werden sollte, erregte öffentliches Ärgernis. Wenn alles Schmähen der Kritiker als kleinbürgerliche Neider nicht verfing, warum nicht eine seriöse wissenschaftliche Aufarbeitung des Falls Friedrich Flick vorantreiben? Selbst Friedrich Christian Flick konnte dieser Idee von Klaus-Dieter Lehmann, als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in der Verantwortung, etwas abgewinnen und stellte 500.000 Euro für die Untersuchung des Instituts für Zeitgeschichte in München und Berlin bereit.

Der nun vier Jahre nach Ankündigung beim Münchner Oldenbourg Verlag erschienene, 1.000 Seiten starke Forschungsband "Der Flick-Konzern im Dritten Reich" lässt keine Unklarheiten darüber offen, wie Friedrich Flick sich nicht nur der Gelegenheiten zu bedienen suchte, die ihm das nationalsozialistische Regime für die Expansion seines Konzerns bot. Unzweideutig ist hier nachzulesen, wie er diese Gelegenheiten als ihr Vordenker mitgestaltete. Etwa als er im Juli 1938 seinen Rechtsanwalt Hugo Dietrich einen Gesetzentwurf zur Arisierung jüdischen Vermögens ausformulieren ließ, der die bisherige Handhabung verschärfte und dem die Nazis mit der am 3. Dezember 1938 erlassenen Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens entsprachen.

Entschieden weisen also die Autoren Johannes Bähr, Axel Drecoll, Bernhard Gotto sowie Kim C. Priemel und Harald Wixforth den gerne gepflegten Eindruck zurück, Flick habe zu allen Zeiten und in allen Systemen gleichermaßen raffiniert und rücksichtslos agiert, ob in der Weimarer Republik, dem Dritten Reich oder nach dem Krieg in der alten Bundesrepublik. Die durch Wettbewerb und Rechtstaatlichkeit noch gebändigte Skrupellosigkeit, die Friedrich Flick bei seinen unternehmerischen Schachzügen in der Weimarer Republik zeigt, wird im Dritten Reich zur vollkommenen Ruchlosigkeit. Die sogenannte "Gelsenberg-Affäre", Flicks Coup, der Regierung Brüning 1932 ein Aktienpaket zum Nennwert von 99 Millionen Reichsmark anzudrehen, obwohl sein Börsenwert nur 24 Millionen betrug, ist juristisch wie ethisch völlig anders zu bewerten als seine aktive Rolle bei den ganz großen Arisierungsfällen des Dritten Reichs, 1938 beim Hochofenwerk Lübeck, 1938/39 beim Julius-Petschek-Konzern und beim Ignaz-Petschek-Konzern. Das bis zu 80-prozentige Wachstum seines Konzerns im Dritten Reich, der damit sämtliche seiner Konkurrenten bei weitem übertraf, verdankte sich nicht unternehmerischem Geschick, sondern der staatlichen Aushebelung des Wettbewerbs. Ohne selbst eine rassistische oder antisemitische Einstellung zu pflegen und im Einzelfall entgegen den eigenen ökonomischen Interessen, waren ideologisches und politisches Einvernehmen mit den Nazis und ihrem Programm unabdingbare Grundvoraussetzung von Flicks Erfolg. Er schlug sich in einer wesentlich radikaleren Umstellung auf die Rüstungsproduktion nieder als in vergleichbaren Fällen, und einem ebenfalls wesentlich höheren Bedarf an Zwangsarbeitern, der in einzelnen Betrieben bis zu 85 Prozent betrug. Entgegen aller späteren Legenden wurden sie in den Werken von Flick zweifellos unter unmenschlichen Bedingungen ausgebeutet.

Die weitgehend bekannten Geschichten, Winkelzüge und kriminellen Verabredungen, die sich hinter diesen Fakten verbergen, leuchtet der vorliegende Band noch einmal detailreich aus. Allerdings bedient sich die Forschergruppe dabei eines thematischen statt einen strikt chronologischen - und damit konzentrierteren - Zugriffs. Neben der Untersuchung der besonderen Kommunikationsstruktur im Flick-Konzern und der damit verbundenen besonderen Stellung und Verantwortung von Friedrich Flick, ist das Kapitel zur Nachkriegszeit besonders aufschlussreich. Statt einer Endabrechnung mit den Akteuren des Dritten Reichs entpuppte sich der Nürnberger Nachfolgeprozess, der dem ersten Verfahren folgte, paradoxerweise als Auftakt einer erfolgreichen geschichtspolitischen Revision. Damit gelang es dem als Kriegsverbrecher verurteilten Firmenchef, sein Imperium erneut aufbauen. Selbstredend nicht nur unbehelligt vom handelnden Personal der Bundesrepublik, sondern vielmehr dank seiner vielfältigen aktiven Unterstützung. Man hatte sich auf die von Flick angebotene Version verständigt, nicht aufgrund persönlicher Verfehlungen sei er vor Gericht gestellt worden, sondern als Symbol für die gesamte deutsche Montanindustrie. Die Teilung Deutschlands, die Flick drei Viertel seines industriellen Besitzes kostete, erwies sich in der Zuspitzung des Kalten Kriegs als Glücksfall. Die Enteignung und Demontage seiner Werke in der sowjetisch besetzten Zone diente Flick und seiner Konzernspitze ganz hervorragend, sich als Geschädigte einer "Verschiebung der Diktatur von rechts nach links" zu stilisieren. Dank des Verlustes konnte er den Vorwurf zu großer ökonomischer Macht zurückweisen und den Restkonzern der Entflechtung entziehen. Flick kommunizierte erfolgreich, dass er nach den Nazis und Sowjets auch Opfer staatlichen Drucks von Seiten der Alliierten mit ihren Entflechtungsanstrengungen der deutschen Schwerindustrie geworden sei.

Zum Zeitpunkt, als nach den für Flick glimpflich verlaufenen Rückgabeverhandlungen über den ehemals jüdischen Firmenbesitz in seiner Hand schließlich die Frage der Zwangsarbeiterentschädigung aufkam, war sein Zurückweisen jeglicher persönlicher Schuld schon weithin akzeptiert. Dubios waren nicht er und seine Bevollmächtigten mit ihrer Behauptung, in den Flick-Werken seien die Zwangsarbeiter wesentlich besser behandelt worden als anderswo. Dubios waren Zwangsarbeiter, die mit ihren Zeugenaussagen dieser Aussage widersprachen und die in der Situation des Kalten Kriegs sofort einer linken oder kommunistischen Gesinnung verdächtigt wurden. Recht besehen war Friedrich Flicks Position nach dem Krieg besser als je zuvor. Wirtschaft, Politik und Gesellschaft standen im Schulterschluss mit ihm. Ein solches Einvernehmen war im politisch und sozial polarisierten Klima der Weimarer Republik undenkbar gewesen.

Erst recht erachtete es die politisch herrschenden Klasse im Dritten Reich für unnötig, die Wirtschaftselite zu hofieren, und erwartete stattdessen deren Kotau. Friedrich Flick kam diesem Kotau nach, indem er ihm vielfach zuvorkam und als Wettbewerbsvorteil instrumentalisierte. Dabei war er sich seiner oftmals kriminellen Vorgehensweise durchaus bewusst. Warum sonst hätte er bei der Übernahme des Petschek-Konzerns 1938 den privaten Kaufvertrag vorausschauend als offiziösen maskiert? Ein Schachzug, auf den er nach dem Krieg seine Behauptung stützte, er habe auf Druck des Regimes gehandelt und sei also nicht Arisierer, sondern Naziopfer.

Nach dem Fall der Mauer und der Öffnung Osteuropas allerdings, als das Thema der Zwangsarbeiterentschädigung erneut im Raum stand, sah man in Deutschland die Forderungen als berechtigt an. Anders als die Schweizer, die in der Frage des Raubgoldes glaubten, sich vor ihre Banken stellen zu müssen, blieb der nationale Schulterschluss gegen die amerikanischen Anwälte und ihre Sammelklagen aus. Vielmehr sahen sich Industrie- und Familienunternehmen wie auch die Kirchen und andere Institutionen angemahnt, ihrer Verantwortung nachzukommen. Diese gesellschaftliche Forderung nach Transparenz und historischer Aufarbeitung hat in der Flick-Studie der Stiftung Preußischer Kulturbesitz nun tatsächlich ihr Symbol gefunden.

Die Schüler der Friedrich-Flick-Gymnasiums aber hatten eigentlich schon seit 2001 einen gewichtigen Verbündeten - auch wenn er sich nicht so gebärdete. Friedrich Christian Flick gründete damals die mit einem Grundvermögen von zehn Millionen D-Mark ausgestattete "F. C. Flick Stiftung gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz" in Potsdam. Sie hat seither viele richtungweisende Projekte in der brandenburgischen Schüler- und Jugendarbeit gefördert, wobei sich deren Erfolg stark der Mitarbeit von Zeugen rassistischer Gewalt verdankt, Opfern die nicht anklagen, sondern aufklären, und Menschen, die Zivilcourage bewiesen. Denn nichts stiftet mehr zu richtigem Handeln an als die Begegnung mit Vorbildern. Gleiches gilt für die Schule, die zu Demokratieverständnis, Toleranz und Freimut erziehen will. F. C. Flick müsste nachgerade der Erste sein, der darauf besteht, dass dem nicht gleich schon der Name der Schule widersprechen sollte.

Johannes Bähr, Axel Drecoll, Bernhard Gotto sowie Kim Christian Priemel und Harald Wixforth: "Der Flick-Konzern im Dritten Reich". Hrsg. durch das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin im Auftrag der Stiftung preußischer Kulturbesitz. Oldenbourg Verlag, München 2008, 1.018 Seiten, 60 Abb., 20 Graf., Leinen, 64,80 Euro

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