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Völkerrechtler über Georgienkrieg"Georgien handelt rechtmäßig"

Der Kieler Völkerrechtler Andreas Zimmermann sieht in Südossetien kein geschütztes "De-facto-Regime". Russland durfte deshalb militärisch nicht zu Hilfe kommen.

Russische Friedenstruppen sehen anders aus. Bild: dpa

taz: Herr Zimmermann, Georgien beansprucht Südossetien als eigenes Staatsgebiet. Zu Recht?

privat
Im Interview: 

ANDREAS ZIMMERMANN, 47, ist Professor für Völkerrecht an der Uni Kiel. Er gilt als Experte für friedliche Konfliktregelung.

Andreas Zimmermann: Ja. Georgien wurde 1991 in den Grenzen der ehemaligen Sozialistischen Sowjetrepublik Georgien unabhängig. Ein neuer Staat entsteht immer in den alten Grenzen. Deshalb gehören auch die abtrünnigen Gebiete Südossetien und Abchasien völkerrechtlich zu Georgien.

Doch zweimal haben sich die Südosseten in Volksabstimmungen für die Unabhängigkeit ausgesprochen.

Völkerrechtlich gibt es grundsätzlich kein Recht auf Sezession, also auf Abspaltung von einem anderen Staat. Südossetien bildet damit immer noch einen Teil Georgiens.

Russland wirft dem Westen Doppelmoral vor, weil die Sezession Kosovos von Serbien anerkannt wurde. Ein berechtigter Vorwurf?

Meines Erachtens ja. Dass mehr als vierzig Staaten, inklusive Deutschland, Kosovo anerkannt haben, ändert nichts daran, dass solche Abspaltungen grundsätzlich unzulässig sind.

Ist der georgische Militäreinsatz in Südossetien also gerechtfertigt?

Grundsätzlich ja. Ein Staat darf den Versuch einer Abspaltung eines Teils seines Gebiets auch mit Waffengewalt verhindern.

Ist Südossetien nicht faktisch längst ein eigener Staat?

Ein richtiger Staat ist Südossetien sicher nicht. Es ist ja auch von keinem anderen Staat bisher anerkannt worden. Südossetien könnte aber ein De-facto-Regime darstellen und wäre dann vom völkerrechtlichen Gewaltverbot geschützt. So gehört Taiwan zum Beispiel völkerrechtlich noch zu China, darf als De-facto-Regime dennoch nicht von China zurückerobert werden. So gefestigt ist Südossetien aber noch nicht. Nach meiner Auffassung ist der georgische Militäreinsatz daher noch zulässig.

Kann Georgien also in Südossetien machen, was es will?

Nein, natürlich nicht. Georgien muss sich an die Regeln des humanitären Völkerrechts halten. Es darf zum Beispiel keine zivilen Ziele angreifen. Beim Angriff auf militärische Ziele darf es nur verhältnismäßige zivile Kollateralschäden verursachen. Ob sich Georgien an diese Regeln hält, dazu liegen mir keine gesicherten Informationen vor.

Durfte Russland in Südossetien intervenieren?

Nein. Russland durfte aufgrund eines Abkommens von 1992 zwar fünfhundert Soldaten als Friedenstruppen in Südossetien stationieren. Doch der jetzige Einsatz geht weit darüber hinaus. Russland durfte Südossetien auch keine Nothilfe leisten, da der georgische Militäreinsatz gegen die Abspaltung im Prinzip rechtmäßig war. Außerdem kommt auch eine humanitäre Intervention Russlands zum Schutz der Zivilbevölkerung bisher nicht in Betracht. Wenn überhaupt, müssten schon sichere Erkenntnisse über dauerhafte und massive Menschenrechtsverletzungen der georgischen Truppen vorliegen.

Die meisten Südosseten haben russische Pässe. Darf Russland seine Staatsbürger nicht schützen?

Die Vergabe der Staatsangehörigkeit an Einwohner anderer Staaten ist völkerrechtlich sehr problematisch. Selbst wenn sie hier zulässig wäre, weil es sich um Staatsangehörige der früheren UdSSR handelt, kann der Schutz eigener Staatsangehöriger keine breit angelegte militärische Intervention rechtfertigen.

Ist Südossetien ein Fall für internationale Gerichte?

Wenn es zu Menschenrechtsverletzungen kommt, könnte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg angerufen werden, da Russland und Georgien Mitglied des Europarats sind. Individuelle Militärs könnten auch vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt werden, wenn zum Beispiel Kriegsverbrechen auf georgischem Staatsgebiet begangen wurden, denn Georgien hat das Statut des Gerichtshofs ratifiziert.

INTERVIEW: CHRISTIAN RATH

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7 Kommentare

 / 
  • KN
    Keti Nazgaidze

    Ich möchte Kommentar von E.B. kommentieren. Ich weiss nur dass bis heute Russland die Minerheitenprobleme mit Waffengewalt löst. Wie viele Opfer nach dem Georgischen Einmarsch gab ist nicht geklärt, es handelte nichtum tausende. Grausamkeiten kannst du von Russischen und Ossetischen Truppen lernen aber nicht von staatlicher Armee Georgiens. Ich rechtfertige nicht militärisches Vorgehen aber Gerechtigkeit verlangt ein bisschen fair zu sein. Wie konnte ein Lamb einen Wolf essen? Georgien hat das Recht Ordnung auf seinen Territorium herzustellen. Russland sollte aber aufhören Staaten auf winzigen georgischen Territorium zu bauen. Worauf alles hinläuft ist für einen denkenden Menschen wohl klar!

  • E
    E.B.

    Herr Zimmermann ist für mich kein Völkerrechtler. Denn er sieht nur das ein und nicht das andere. Ein Staat der seine Minderheitenprobleme mit Waffengewalt löst und dabei tausende Menschen tötet, kann nicht völkerrechtlich handelt. Im überigen gibt es auch andere gelehrtere Völkerrechtler als diesen Herrn Zimmermann.

  • JM
    Jens Müller

    Zum Thema Taiwan: Als Professor für Völkerrecht sollte der Herr Zimmermann wissen, daß die Ansicht, Taiwan sei ein Teil Chinas (also "des einen" Chinas) durchaus nicht unumstritten ist. Das als Tatsache hinzustellen, ist mindestens nachlässig.

  • M
    mgeli

    Es gibt ein russischen sprichwort der ungefaer so ueberzetzt werden kann:

     

    belehre nicht den Gelehrten

     

    ungefaer das tun die beide herren oben

    wenn es um das gleiche unrecht geht wieso duerfen Georgier nicht was Russen in chechenien gemacht haben?

     

    auserdem gaebe es keine krige wenn russen die Separatisten nicht dazu angetrieben haetten

  • JM
    julian mailing

    Die Konstruktion der "de-facto-regime" ist ein unzureichender Versuch, die prekären Fälle in Ex-Jugoslawien und Ex-Sowjetunion politikwissenschaftlich und völkerrechtlich zu fassen. Zwischen den Beispielen Taiwan und Südossetien liegen nicht nur tausende Kilometer sondern auch terminologische Welten. Vom Stöckchen auf Hölzchen und immer weiter .. Und keiner kümmert sich bei den kaukasischen Mafiaclans drum.

     

    zum VorKommentator:

    - Südossetien war nie autonome Republik

    - Die Referenden in Abchasien und Südossetien haben zu keiner Zeit juristischen Mindeststandards entsprochen

    - Georgien hat in dem von ihm beherrschten Teil Südossetiens ein ebenso fragwürdiges Referendum 2006 durchgeführt und selbst eine Regierung in Südossetien eingesetzt. Und damit formal auch ein "de-facto-Regime" ("sein" Südossetien) errichtet. Desgleichen hat Georgien in dem von ihm beherrschten Teil Abchasiens unternommen.

    - Die GUS Friedenstruppe bestand nicht nur aus Russen sondern auch Georgiern. Beide waren faktisch immer Partei seit 5 jahren.

    - zu 4 .. erübrigt sich wohl heute .. am 15.08 ;-)

  • M
    manfred (56)

    Wer "A" sagt, muß auch "B" sagen. Wer den Bruch des Völerrechtes im Kosovo unterstützt hat, darf jetzt im Kaukasus nicht den moralischen Onkel spielen. Gleiches (Un-)Recht für Alle!

     

    Interessant sind aber die Konfrontationslienien: Im Kosovo war Rußland gegen die Abspaltung, also war der Westen dafür. Im Kaukasus unterstützt Rußland die Abspaltung, schon ist der Westen dagegen. Irgendwie erinnert mich das an die Automatismen des Kalten Krieges.

  • M
    Michael

    Die Axt im Haus erspart den Zimmermann

     

    Ihr Interview mit Herrn Zimmermann zieht die falschen Schlüsse:

    Denn

    1.

    Beide "abtrünnige" Provinzen Georgiens waren autonome Republiken in der Sowjetunion. Dieser Status wurde einseitig 1991 durch Georgien aufgehoben. Zugleich sind alle Verträge vor 1991 aufgehoben worden.

    2.

    Nach einem weiteren Referendum 2006 zur Unabhänigkeit der Südosseten setzt der georgische Präsidenten einen südossetischen Präsidenten ein.

    Dies darf zwar als taktisches Manöver gelten, ist jedoch auch als Anerkenntnis der Autonomie Südossetiens zu werten.

    3.

    Die russische Friedenstruppe ist 1994 durch einen Waffenstillstandsvertrag Südossetiens und Georgiens stationiert worden. Georgien kann nicht unter Brechung dieses Vertrages diese Friedenstruppe angreifen.

    4.

    Weil Kriege Bestandteil des Völkerrechts sind, sind diese noch lange nicht ein sinnvolles Mittel zur Durchsetzung politischer Interessen.

    Die taz muss sich vorwerfen lassen, hier nichts weiter als die Rechtfertigung eines Aggressors zu betreiben. In dem Kontext steht auch, die Falschmeldung über den Rückzug zu verkündigen anstatt die originären georgischen Statements zu bringen: Und das georgische Militär macht mobil und bezeichnet den "Rückzug" als Umgruppierung.