Titus ist ein Weichei

Die Wiedereröffnung des sanierten großen Hauses im Theater Aachen mit La clemenza di Tito, der Opera seria in zwei Akten von Wolfgang Aamadeus Mozart. In italienischer Sprache mit Übertiteln

VON REGINE MÜLLER

Nun kommt sie wieder, die „Zauberflöten“-Zeit. Vor Weihnachten gehört das wunderliche Werk auf die Spielpläne, und jetzt im Endspurt vor dem nahenden Mozart-Jahr 2006 kommt es vielerorts neu heraus. Zu den das November-Herz wärmenden „Zauberflöten“-Legenden gehören die vom verarmten Genie und seiner letzten Oper. Dass er parallel zur „Zauberflöte“ an einem weiteren Auftragswerk schrieb und es wohl nur aus Termingründen wenige Tage zuvor uraufführte, wird gerne vergessen: „La Clemenza di Tito“, der damals schon verstaubten Gattung der Opera Seria zugehörig, gilt nicht ganz zu unrecht als sperrig.

Am Theater Aachen fürchtete das niemand und so wird das Geburtstagskind mit einem Zyklus geehrt, der sich verdienstvoll „Mozarts Herrscherdramen“ annimmt, statt die kassenträchtigeren Werke des Wolferls ein weiteres Mal abzunudeln. Die Grundüberlegung des Produktionsteams ist nicht minder ambitioniert: Mozarts vier Seria-Opern stellen Herrschergestalten ins Zentrum, die Identifikations- und Machtkonflikte durchleben und sich in Krieg und Frieden Fragen des eigenen Selbstverständnisses und der Legitimation stellen müssen. Das Team um Regisseur Ludger Engels zieht Parallelen von der Antike zur bundesrepublikanischen Vergangenheit und siedelt die Geschichte von der verdächtig großen Güte des Imperators Titus in den 1980er Jahren vor dem Mauerfall an.

Güte und Milde sind aus der Mode gekommen, Engels übersetzt die alten Tugenden zeitgemäß verkürzend in den Imperativ des positiven Denkens. So ist Titus (Andreas Scheidegger mit schwindelfreiem Tenor) ein komischer Antiheld, der viel stilles Wasser trinkt, dauernd ein frisches Hemd braucht und sich mit Tai-Chi auf möglichst coole Betriebstemperatur bringt. Doch einfach gut drauf sein, kann auf Dauer ganz schön anstrengend sein, die Lässigkeit des Imperators wirkt zunehmend gequält.

Ziemlich uncool das weitere Personal: Romelia Lichtensteins Vitellia ist eine Intrigantin in „Denver-Clan“-Nachfolge – bei Joan Collins wusste man auch nie, warum sie das, was sie biestig verfolgte, unbedingt brauchte, das aber tat sie mit ganzer Kraft. Rührend jung, zuerst allzu weich, dann pubertär verstockt ist Iva Danovas Sextus, zerbrechlich Mélanie Forgerons Annius. Eva Bernards Servilia trägt Betonfrisur, Pawel Lawreszuk gibt den Referenten Publius im unauffälligen Anzug.

Die Kostüme (Gabriele Rupprecht) bringen die ästhetischen Unsäglichkeiten der 1980er Jahre schmerzhaft auf den Punkt: Schulterpolster unter grellen Polyester-Fummeln, Metallic-Leder, goldenes Schuhwerk und dazwischen die Okö-Gewänder der Grünen Gründungsära. Die Bühne von Christin Vahl zeigt einen marmornen Einheitsraum zwischen klassizistisch und faschistoid, ein paar sachlich-schäbige Möbel, Requisiten verstellen den Blick kaum.

Marcus R. Bosch im Graben produziert mit dem Orchester einen nervös gestrafften Mozart, der durchaus zu imperialem Lärm fähig ist. Und die Moral von der flüssig erzählten, fein beobachteten Geschichte: Titus ist ein Weichei, seine vermeintliche Tugend Schwäche, der Druck geht von der Konsens- und Harmonie-süchtigen Gesellschaft aus, die sich in der Disko amüsiert und von der Flimmerkiste einschläfern lässt. Großer Jubel im frisch sanieren großen Haus, aber auch vereinzelte Buhrufe für die Regie.

20. November 2005, 18:00 UhrTheater AachenInfos: 0241-4784244