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Wachsende BildungsungerechtigkeitProfessorenkinder übernehmen Unis

Die soziale Schere unter Studierenden wächst - das zeigt eine aktuelle Studie. Fast zwei Drittel der eingeschriebenen Hochschüler haben einen akademischen Hintergrund.

60 Prozent von ihnen sind Akademikerkinder. Bild: ap

An deutschen Unis gilt mehr denn je die Devise: Unter uns. Kinder aus Akademikerfamilien bilden an Universitäten mittlerweile 60 Prozent der Studierendenschaft. Ihr Anteil ist seit 2004 um drei und seit 1993 um elf Prozentpunkte gewachsen. "Die Bildungsvererbung eines Studiums hat in allen Fächergruppen zugenommen", heißt es im aktuellen Bericht zur Situation der Studierenden in Deutschland.

Der "Studierendensurvey" wurde am Mittwoch vom Bundesbildungsministerium im Internet veröffentlicht. Dieser zehnte Bericht liefert eine wichtige Grundlage für hochschulpolitische Diskussionen und Entscheidungen.

"Hauptgrund für die soziale Kluft beim Zugang und im Studienverlauf ist Geld", sagt Studienleiter Tino Bargel von der Arbeitsgruppe Hochschulforschung der Uni Konstanz. Das soziale Stipendiennetz müsste viel weiter ausgebaut werden. "Überfallig ist, dass sich auch die Wirtschaft beteiligt." Kinder aus sozial schwachen Familien schreckten wegen Studiengebühren, gestiegener Lebenshaltungskosten und des mitunter intransparenten Bewerbungsverfahrens davor zurück, sich zu immatrikulieren. An Fachhochschulen sind sie zwar mit 56 Prozent in der Mehrheit, doch ist ihr Anteil dort gegenüber der letzten Erhebung um fünf und seit Beginn der 90er-Jahre um 14 Prozentpunkte geschrumpft.

Das Bildungsministerium appelliert an die Länder und deren Hochschulen. "Wir müssen die starren Zugangsbeschränkungen für ein Hochschulstudium überdenken", regt Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) an. Nach der Föderalismusreform bleiben ihr außer Zurufen indes nur noch wenige Einflussmöglichkeiten wie etwa die kürzliche Anhebung der Bafög-Sätze um rund zehn Prozent.

Bargel und sein Team befragten 8.350 Studierende von Hochschulen und Fachhochschulen in allen Bundesländern. Bereits seit 25 Jahren erforschen die Wissenschaftler die Situation der Hochschüler und ihre Orientierungen. Der letzte Bericht erschien 2004. Erstmals untersuchten die Forscher nun die größte Studienreform der letzten Jahrzehnte: die Umstellung der Studiengänge auf Bachelor und Master, Bologna-Prozess genannt.

Das Bild ist zwiespältig: Einerseits ist das Image des Bachelors bei den Studierenden seit 2001 stetig gesunken. Über die Hälfte der Befragten befürchten, Absolvent zweiter Klasse zu sein (gegenüber 35 Prozent im Jahre 2001), knapp die Hälfte sieht sich in ihrer Studiengestaltung zu stark eingeschränkt (gegenüber 27 Prozent im Jahre 2001). "An den Hochschulen herrscht massivste Verunsicherung", bilanziert Bargel. Das liege daran, dass die Reform zu starr und unflexibel umgesetzt werde.

Andererseits fühlen sich rund die Hälfte der Studierenden inzwischen besser betreut. Sie bemühen sich zudem, zügiger und intensiver zu studieren, hauptsächlich weil Bachelorstudiengänge nur noch sechs statt zehn Semester Studium vorsehen. Bargel begründet dies auch mit einer Rückkehr konservativer Tugenden an die Unis: "Die Studierenden denken wieder deutlich konventioneller. Sie strengen sich mehr an, gleichzeitig hat sich die Lust, Alternativen auszuprobieren, abgeschwächt." Er beruft sich dabei auf seine Untersuchungen zu politischen und sozialen Einstellungen. Diese erscheinen im Herbst.

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7 Kommentare

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  • F
    Fleckenfell

    Das deckt sich mit meinen Erfahrungen an der Universität. Die meisten Leute in meinem Studiengang (Veterinärmedizin), waren Kinder von Ärzten, zumeist Tierärzten, oh Wunder, daneben dann noch klassisch Juristen etc.

    Akademiker eben. Da war es ganz normal, dass Mama und Papa mal eben ein Auto zur Verfügung stellen, der nicht so gute Abischnitt des Bruders dann halt zu dessen Studium in Osteuropa führte und dass das Laptop per Elterneilkurier nachgefahren wird, damit das Lernen leichter fällt, wenn man fein säuberlich seine Notizen abtippt.

     

    Ich hingegegen, Vater tot, Mutter Renterin, ohne den Rückhalt aus der Familie, immer Einzelkämpfer, hatte bereits einen eigenen Haushalt, Miete war höher als angedacht. Für Bücher hat es nicht mehr gereicht, dann musste für bestimmte Skripte auch noch ein Computer inkl. Internet her, denn selbst in der noch immer am preiswertesten gestalteten Bücherei kostete mich das Ausdrucken wöchentlich um die 20 Euro. Wurde anfangs noch von einem ausgedruckt und dann vom Rest der Studenten kopiert, hatte sich das nach vier Wochen schon verlaufen. Wer es nicht muss...

     

    Das Geld hat hinten und vorne nicht gereicht, dazu noch eine Eigenbeteiligung meiner Mutter an den BaföG-Leistungen, die sie eigentlich nicht leisten konnte und das ständige "ich kann nicht zum Arzt, ich kann mir die Medikamente nicht leisten" am Telefon von ihr haben mich dann dazu gebracht, mein Studium im 3. Semester aufzugeben, vor allem, als sie sich dann noch Wirbelbrüche zuzog.

     

    Soziale Verantwortung kommt bei mir halt vor der Karriere. Aber ich gebe zu: für mich war das das Ende eines Lebenstraums. Noch vor meiner Einschulung war mir klar, dass ich Veterinärmedizin studieren wollte, mein Leben lang hab ich meine Kurse danach orientiert, Latein, Biologie, Physik, Chemie. Nur gescheitert ist es schließlich am Geld. Ich war nie auf einer Party auswärts, nur auf den studentischen, wo ich mich grundsätzlich auf ein Bier beschränkte, aber teilnahm wegen der Kontakte. Gebracht hat es nichts. Wenn jemand sagte "Komm, lass uns auf einen Kaffee gehen" musste ich ablehnen, weil ich mir das nicht leisten konnte. Ohne Kontakte gab es auch keine Lerngruppe für mich. Soziale Ausgrenzung par excellence.

     

    Einen kleinen Job hab ich nicht bekommen, da ich teilweise sehr lange an der Uni bleiben musste und schon berufstätig gewesen musste, ich mein Wissen neben den "Abiturfrischlingen", wo alles noch sitzt und man im Lernalltag routiniert ist, aufpolieren und hab bis nach Mitternacht gelernt. Kein Testat verpatzt und doch nichts erreicht.

     

    Die Bitterkeit kann wohl kaum jemand nachvollziehen, die das in mir auslöst. Welche Ironie, dass zur Exmatrikulation dann das Angebot für eine studentische Hilfskraft für 10 Stunden pro Woche aushing. Wäre der nur ein paar wenige Wochen vorher erfolgt, hätte er mir einiges erspart.

     

    Die Bilanz: erwerbslos im Osten bewerbe ich mich nun meist als Verkäuferin, "Putze" oder "Tippse". Ab und an übersetze ich privat für Dissertationen anderer (Englisch Deutsch). Als Übersetzerin bewerben brauche ich mich nicht, denn dafür bräuchte ich ein Blatt Papier mit Stempel drauf, das mir bescheinigt, dass ich das kann, das reine Können an sich zählt hier nichts. Danke, Deutschland.

     

    Zum Artikel an sich: Geld ist nun einmal untrennbar mit dem "Sozialen" verbunden, wer kein Geld hat, kann sich bestimmte Dinge einfach nicht leisten, Fakt, ihm werden bestimmte Kontaktmöglichkeiten vorenthalten, Fakt. Darum wirkt sich Finanzschwäche auch immer auf die Art der sozialen Einbindung aus. Natürlich kann man auch dann gute Freunde haben, Eigenverantwortung großschreiben etc., aber man wird sich so schnell nicht aus den Fesseln lösen können.

     

    Das "undurchsichtige" Bewerbungsverfahren ist durch die Komponente der Eigenbewerbungen bei den Unis erschwert worden, da muss man ja auch persönlich erscheinen. Und wer übernimmt die Kosten dafür? Der Großteil der Studienplätze wird durch die Unis selbst vergeben, aber kreuz und quer durch Deutschland fahren will und muss finanziert werden. Dazu noch die Studiengebühren und der Abschreckungsfaktor ist perfekt.

     

    Es ist auch so gewollt, egal, was mir ein Politiker sagt: es ist gewollt, dass wir "unten" unten bleiben. Von der Möglichkeit, meinen Abidurchschnitt aufzubessern, der durch den Tod meines Vaters leider nach unten gerutscht ist, habe ich auch erst zu spät erfahren. Auf die Idee bin ich ehrlich gesagt nicht gekommen, auch hier spielt wieder der Netzwerkfaktor eine Rolle: Eltern, die Akademiker sind, hätten das sicher an ihren Nachwuchs weitergegeben, oder anderweitig nach Möglichkeiten gesucht und wären dann auch darauf gestoßen. Fakt ist: alleine schafft man es trotz aller Begabung und Intelligenz eben doch nicht. Die rechte Information zur gegebenen Zeit ist da einfach nötig. Und daran wird es leider bei "sozial" schwachen Familien hapern.

     

    Das zu ändern ist Sache der Hochschulpolitik, aber die orientiert sich an den Geldgebern für die Universitäten. Und wer ist das wohl?

  • J
    Jones

    Ein bedauerlicher Rückschritt... die Universitäten werden bald wieder der "Elite" gehören wie es aussieht.

     

    In meinem Studiengang bin ich eine der wenigen ohne großen Finanz- oder Bildungshintergrund, man merkt das auf jeden Fall.

    Die schockierten Gesichter wenn man erzählt dass man sich seinen Lebensunterhalt mitfinanzieren MUSS und nicht nur jobbt, um 'ein bisschen mehr übrig' zu haben... und dass man NICHT jedes Wochenende im Hotel Mama einkehren kann weil die Fahrtkosten zu hoch sind... und NICHT jedes Wochenende durch die Clubs und Bars ziehen kann.

     

    Die finanziellen Hindernisse, die einem im Hochschulstudium in den Weg gelegt werden, sind sicher für sehr viele ein entscheidender Grund, kein solches anzutreten - und das dürfte so eigentlich nicht sein.

     

    Andererseits - die "Elite" will ja schließlich Elite bleiben, da kann man ja schlecht jeden studieren lassen.

    Außerdem lässt sich eine 'dumme' breite Masse viel schöner ausbeuten und manipulieren - denn welcher gebildete Mensch glaubt schon an Werbeversprechen und lässt sich seine Meinung vorBILDen?

     

    In der Unbildung der "Unterschicht" steckt viel zu viel finanzielles Potenzial als dass man zulassen könnte, dass sich daran etwas ändert.

  • W
    weselibiedaci

    @ schaumsen: "...dann ist man Student", (oder Studentin), aber höchstens dann, wenn "man" (ggf. auch die Eltern) sich nicht schon vorher durch voraussichtlich hohe Kosten eines Studiums, mit einem gewissen Risiko, danach trotzdem kein hohes Einkommn zu haben, hat abschrecken lassen und sich überhaupt erst um einen Studienplatz bewirbt (und dann das Studium nicht zu früh wieder abbricht - z.B. auch, weil "man" als weniger reiches Kind zunehmend ausgegrenzt wird, weil "man" sich die teueren Parties, als selbstverständlich geltenden teueren Urlaubsreisen (der meisten Akademikerkids), u.s.w. nicht so locker leisten kann, dazu solche Details wie dem, dass "man" Bücher, die "man" dringend für ein Referat oder eine Seminararbeit braucht, in der Bib. gerade ausgeliehen sind, sich nicht einfach locker dann eben selber kaufen kann ...).

     

    @ Markus: Sehr guter Hinweis: Die Benachteiligung beginnt ja spätestens in Kindergarten und Grundschule, wo Erziehende und Lehrende die Kids subtil, aber wirksam, in vielen Fällen je nach Beruf der Eltern (den die Lehrenden etc. ja meist kennen) unterschiedlich behandelt werden (ist zwar von jew. Personen abbhängig, nicht jede Lehrkraft handelt so, aber es gibt offenbar doch so ein unbewusst wirkendes Muster, dass doch die Arzttochter später 'mal nicht an der Kasse im Supermarkt sitzen wird, oder? Und das - derart beeinflusste - Selbstbild (ich bin schlauer als der Durchschnitt, bzw. nicht ...) beeinflusst nachweislich (daszu gibt es Studien) die objektive Leistung (ein bisschen auch wie bei Andri in Andorra von Max Frisch).

     

    Ganz krass ist natürlich auch die sprachliche Seite. Ein restringierter Code (vgl. Soziolinguistik) der Eltern, dazu ggf. Dialekt oder Fremdsprache als Muttersprache der Eltern erschwert das Lernen in allen Fächern (das ist ja spätestens durch die PISA Studien ein bisschen bekannt geworden).

  • M
    Markus

    Studiengebühren und gestiegene Lebensunterhaltskosten können Gründe für diese Entwicklung sein. Daneben muss aber auch schon der Zugang zur (Schul-) Bildung mitgedacht werden als Grundvoraussetzung für den Hochschulzugang.

  • AO
    Alexandra Oerter

    "Sie strengen sich mehr an, gleichzeitig hat sich die Lust, Alternativen auszuprobieren, abgeschwächt.""

     

    Lust? Wer kann sich das denn noch leisten? Ich hoffe zumindest, dass es daran liegt. Scheuklappenstudium kann doch keine Zukunftsaussicht sein.

  • S
    schaumsen

    "Kinder aus sozial schwachen Familien schreckten wegen [...] des mitunter intransparenten Bewerbungsverfahrens davor zurück, sich zu immatrikulieren."

     

    Also es geht ja meist nach dem Abischnitt, den Wartesemestern und manchmal nach "Wer zuerst kommt...". Dann folgt noch ein bisschen (teilweise sinnlose) Bürokratie und dann ist man Student.

    Wer dafür zu blöd ist, hat völlig zu recht nichts an einer Universität zu suchen.

     

    Aber um zum Punkt zu kommen: Der Satz suggeriert, dass (nur) Menschen aus finaziell schwachen Familien nicht in der Lage sind sich an einer Universität zu bewerben.

     

    Ein weiter Punkt ist die Formulierung "sozial schwach". Gemeint sind immer arme Familien. Aber warum ist denn eine arme Familie zwangsläufig sozial schwach? Für mich bedeutet "sozial" die Fähigkeit mit den Menschen in meiner Umgebung konstrucktiv zusammenzuarbeiten und das hängt nur unwesentlich vom Geld ab. Warum beleidgt man Menschen die finanziell schlechter gestellt sind auch noch damit, dass sie unsozial seien.

     

    Ziemliche Haarspalterei ich weiß, aber gerade durch die Medien wird einer bestimmten Bevölkerungsgruppe immer wieder angehangen, dass sie minderwertig sei. (Man lasse sich "abgehängtes Prekariat" mal auf der Zunge zergehen!)

    Die Verwendung von neutraleren Formulierungen löst natürlich prizipiell die Probleme nicht, ist aber vielleicht ein Beitrag zu einen friedlicherem Miteinander.

     

    Ansonsten muss man dem Artikel leider zustimmen...

  • HH
    Hans-Hermann Hirschelmann

    Die Gleichstellung von finanziell schwach gestellten mit "sozial schwachen" Familien scheint mir auch dem akademikerkindichen Miljö zu entspringen. Bitte verschiedene "Schwächen" zukünftig stärker unterscheiden.

     

    Gruß Hans-Hirschel