Dem Moloch entfliehen: Mit dem Rad zur Berliner Badewanne

Der Radweg von Berlin nach Usedom führt - inzwischen gut ausgebaut - von der Hauptstadt an die Ostsee. Auf geteerten Wegen vorbei an Wasser, Wäldern und Backsteinbauten. "Man hat Ruhe und frische Luft. Und diese beiden Dinge wirken Wunder" (Theodor Fontane)

Netter Begleiter Bild: Michael Bührke/pixelio.de

Mitten im Herzen der Metropole geht es los: am Schlossplatz in Berlin! Gerade spürt man noch den Puls der Hauptstadt, radelt schnell an ein paar netten Kneipen in Prenzlauer Berg vorbei und folgt dem Flüsschen Panke, schon erreicht der Radfahrer Bernau. Hierhin könnte man, so einem großstädtisches Radeln nicht behagt, auch per S-Bahn gelangen.

Streckenweise kann immer auf die Bahn zurückgegriffen werden in Zügen mit Fahrradmitnahme. Radfahrerhotline der DB, Tel. (0 18 05) 15 14 15 (14 Ct/Min). Auf Usedom fährt die Usedomer Bäderbahn: www.ubb-online.com

Bücher und Karten: Sabine Kostka, Detlef Kaden: Unterwegs auf dem Berlin-Usedom Radfernweg. Ein Reiseführer. Inkl. CD-ROM mit GPS-Tracks und MP3-Audio-Tourenbegleiter. IS.Radweg. Informationsservice Detlef Kaden (Hg.). 12,95 €; Detlef Kaden: Unterwegs auf dem Berlin-Usedom-Radfernweg mittels GPS-Navigation. Inkl. CD. IS.Radweg. Informationsservice, Detlef Kaden (Hg.). 9,90 € Radfernweg Berlin-Usedom, Radtourenbuch, Karte 1:75.000;bikeline-Radtourenbuch, Verlag Esterbauer, 10,90 €

Informationen zum Radweg: www.Berlin-Usedom-Radweginfo.de www.radweg-berlin-usedom.net

Reiseveranstalter: www.radtouren-mit-pause.de

Informationen zu Usedom: Buchungshotline: (0 18 05) 58 37 83 (14 Cent/Min.),

Infotelefon & Prospekte: (03 83 78) 47 71 10 www.usedom.de

Gleich in Bernau sind herrliche Backsteinbauten zu bewundern und, wer sich gerne gruseln mag, das Henkerhaus. Eine Stele neben dem Gebäude verzeichnet die Namen der Frauen, die hier während der Hexenverfolgung hingerichtet wurden. Grausame Historie.

Doch die Metropole und auch der Henker sind bald vergessen, denn nun fährt man auf idyllischen Wegen durch dunkelgrüne Forste, vorbei an Hügeln, Windrotoren und Storchennestern bis Biesenthal im Naturpark Barnim. Der schattigen Bank am Markt um eine ausladende Eiche kann wohl kaum ein Radfahrer widerstehen. Wir rasten.

Kühle, dichte Wälder, Vogelgesänge. Und wir landen an einem Kiosk neben einer Radwegekreuzung. Hier gibt es Alsterwasser mit Fassbrause und nette Gespräche gratis dazu. Man hat Zeit und unterhält sich darüber, was der tolle neue Radweg der Region bringt. "Einiges!", lautet das einhellige Fazit. Das finden wir auch, denn schließlich ist er fast vollständig glatt asphaltiert. Vorbei geht es an den beiden Schleusen Grafenbrück und Rosenbeck, Datschen, Kanu- und Radfahrern und einem Fischkiosk. Im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin locken unzählige Seen - runter vom Sattel und ins erfrischende Nass. Das Rad wird flugs an eine der Eichen gelehnt, und ab gehts in die kühlen Fluten.

Inmitten der Schorfheide, dem mit 30.000 Hektar größten geschlossenen Waldgebiet Mitteleuropas, liegt auch der Werbellinsee. Klare Seen, Feuchtbiotope und Moorgebiete genießen hier ebenso wie die Tiere besonderen Schutz. Hier leben Hirsche, Damwild, Waschbären, Schwarzstörche, Fisch- und Seeadler. Ein Urwald? Des Nachts drangen die Vogelschreie bis in meine Träume. Ich träumte vom Amazonas. Doch Halt! Es ist Morgen und die Vogelschreie sind Realität.

Der Werbellinsee schließt sich an den Finow- und den Werbellinkanal an. Diesen radeln wir entlang. Ein kaiserliches Jagdrevier befand sich einst rund um Hubertusstock. Eigens dazu ließ sich Kaiser Wilhelm II. 1896 einen Fachwerkbahnhof in Joachimsthal einrichten, so konnte er schnell und bequem zur Jagd gelangen. Ein Highlight jagt das nächste, und so steigt man schon am Biorama-Projekt im Wasserturm wieder vom Rad. Der Ausblick über das Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin ist einmalig, die Informationen umfassend.

In Glambeck befinden sich der kuriose Taubenturm und die erste Fahrradkirche Deutschlands. "Wie kommts?", fragen wir im Radlerpoint gleich nebenan. "Nun, Autobahnkirchen gibt es doch schließlich auch!", ist die Antwort. Im Radlerpoint gibt es Snacks, Infos, Karten, GPS-Geräte zum Ausleihen. Kurzum: alles, was das Radlerherz begehrt.

Zwischen Fischteichen, Wasser links und rechts, geht es nun weiter. Und gleich darauf führt der nächste Abschnitt etwas holprig auf einem Forstweg durch ein Waldstück. Wasser und Wald - überall.

Auch Warnitz, ein kleines Ferienzentrum, das es schon zu DDR-Zeiten war, liegt am Wasser, am Oberuckersee. Hier gibt es im Gasthof Deutsche Eiche selbst gebrautes Burgwallbräu und dazu eine "Karre Mist" zu essen: Schnitzel, Spiegelei, Bratkartoffeln. Wer danach nicht mehr kann oder mag, darf mit dem Fahrgastschiff "Onkel Albert" bis Prenzlau am Unteruckersee fahren. Das Fahrrad fährt mit.

Auf dem Radweg Fischland-Darß-Zingst Bild: Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern e.V.

Nun ist man endgültig im Backsteinland angekommen. In Prenzlau grüßt schon von weitem die mächtige Marienkirche, norddeutsche Backsteingotik. Rote Backsteinkirchen, rötliche Gehöfte finden sich nun überall. Ausgestorben, verlassen wirkende Käffer, in denen man keinen Fuß auf den Boden setzen möchte, wechseln sich ab mit schmucken, herausgeputzten Dörfern: Blumenkästen mit Geranien, die im Wind nicken, zieren die Fensterbänke, eine Frau kehrt geschäftig den Weg vor der sehenswerten Ziegelfachwerkkirche in Ellingen. Über einsame Straßen und Sträßchen, manchmal auch auf Feldwegen radelt man durch die typischen Anger- und Straßendörfer mit ihrer Ziegelarchitektur. Auch in Pasewalk gibt es Ziegel satt: Die dreischiffige Sankt Marienkirche etwa und den Turm "Kiek in de Mark". Doch alte LPG-Gebäude mit Grauputz gibt es auf dem Lande auch noch. Oft wirken sie in den kleinen Dörfern etwas überdimensioniert. Eine Weile geht es nun durch ödes Land.

Das hübsche Städtchen Ueckermünde mit seinen schmuck renovierten Fachwerk- und Gründerzeithäuschen ist eine ehemals slawische Siedlung, wie so viele hier, und eine echte Überraschung. Bei MTM Radsport gibts Luft kostenlos und am Stadthafen an der Uecker Fischbrötchen vom Boot aus. Prima. Ein Angler wartet auf seinem Klappstuhl geduldig auf einen Biss, Yachten und Ausflugsschiffe fahren ein oder aus. Die Ostsee ist schon zu riechen! Und nun wirds auch wirklich maritim: In Mönkebude trifft man zum ersten Mal auf den breiten, weißen Ostseestrand, auf sanfte Dünen, Strandkörbe und Möwen, auf "Seemänner", die am Nachbartisch ihren Törn durch das Stettiner Haff diskutieren. Hier am kleinen Haffhafen schmeckt der Kaffee noch mal so gut. Dahinter gehts durch überflutete Haffwiesen und durch das Naturschutzgebiet Anklamer Stadtbruch mit seinen renaturierten Sümpfen und Mooren und zahlreichen Wasservögeln. Leider auf holprigen Spurplatten aus Beton. Ziehen Sie daher mindestens eine gut gepolsterte Radhose an und lassen Sie Luft aus dem Reifen.

Auch in der Hansestadt Anklam an der Peene gibt es einige Ziegelbauten, wie etwa das Steintor mit seinem Treppengiebel und das Otto-Lilienthal-Museum. Lilienthal ist genauso wie Günter Schabowski ein Sohn Anklams. Schon als Jugendlicher soll er in den Peenewiesen die Flugtechnik der hier zahlreichen Störche beobachtet haben. Auf einer Holzbrücke über die Peene verlassen wir den Ort, vorbei an der Wesselschen Mühle, durch das Peenestromtal, und erreichen schließlich die Zecheriner Klappbrücke.

Usedom, wir kommen! Die Brise ist steif und kommt immer von vorn. Kalt macht sie auch, und so kommt ein heißer Backfisch im Brötchen am Kiosk Zum Fischer in Karnin gerade recht. Gegenüber steht das gigantische Fragment der ehemals modernsten Eisenbahnbrücke Europas: die Hubbrücke von Karnin. Ein Pfeiler steht noch.

Durch die Stadt Usedom, die der Insel ihren Namen gab, führt der Radweg weiter. Ein "Landshop" in einem Auto wartet am Wegesrand auf Kundschaft. Er verkauft alles, was man nötig haben mag. Ein Schwenk noch über die polnische Grenze, die Märkte muss man schließlich gesehen haben. "Hey, ich gebe dir 5 Cent für dein Fahrrad! Was sagst du dann?", meint einer, den ich herunterhandeln will. Nix da!

Die Seebrücke in Ahlbeck auf Usedom Bild: Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern e.V.

Die drei Kaiserbäder Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin haben zusammen um die 10.000 Einwohner und einen Bürgermeister. Der Radweg führt nun, ganz neu, die längste Strandpromenade Europas mit ihren fast 200 Jahre alten Bäumen entlang. Die Architektur ist prächtig, herrschaftliche Villen umgeben von parkähnlichen Flächen und elegante Strandbrücken säumen den Weg. Man möchte flanieren. So mondän war es auf dem Rad noch nie! Und was haben die Villen hier nicht alles zu erzählen!

Die wohl schönste Jugendstilvilla, "Oasis" genannt und im Jahr 1896 erbaut, war zunächst in Privatbesitz, während der NS-Zeit Kindererholungsheim, dann ein Sanatorium der Sowjetarmee, danach Erholungsheim der Gesellschaft der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft, und jetzt wird sie wieder privat geführt als Hotel und Restaurant. Warum können Häuser nicht sprechen? Ich hörte gern zu. Doch Frau John, die uns auf unserem Rundgang führt, ist ihr Sprachrohr und weiß einiges zu berichten. Viele dieser Gebäude von wahrhaft erhabener Eleganz wurden nach den Namen der Damen der Besitzer benannt, nach nordischen Gottheiten oder Landschaftsbezeichnungen wie "Meereswoge".

Wir fahren durch Wälder, in denen durchaus einige steile Anstiege und Abfahrten zu bewältigen sind, ganz ungewohnt auf diesem sonst flach verlaufenden Radweg. Doch jetzt locken die schneeweißen Badestrände der Insel an der Ostsee, die auch oft "Badewanne der Berliner" genannt wird. Also hineingesprungen und abgetaucht oder einfach die frische Brise um die Nase wehen, die müden Waden im Wasser baumeln lassen. Auf dem Rücken im Ostseewasser liegen und gen Himmel starren, sich im Strandkorb verkriechen. Berlin ist weit weg. Das Rad liegt im Sand. Nun haben wir Ruhe, frische Luft obendrein. Und in der Tat: Es wirkt Wunder. Erholung pur.

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