: Stille Aggression im Alltag
Gewalt gegen Frauen findet meistens in den eigenen vier Wänden statt. Die Berliner Interventionszentrale für häusliche Gewalt bekämpft dies. Anlässlich ihres 10-jährigen Jubiläums startet sie heute die Ausstellung „Rosenstraße 76“ in der Backfabrik
VON KORBINIAN FRENZEL
Es könnte ein Idyll sein, ein kleinbürgerliches zumindest. Die Ledercouch lädt zum Hinsetzen ein, in der Schrankwand – Gelsenkirchener Barock – läuft ein Fernseher, drum herum DVDs. Auf dem Mosaiktischen steht ein frischer Blumenstrauß. Heile Welt in der Rosenstraße 76?
Der erste Blick in der 3-Zimmer-Wohnung, die niemand bewohnt und die doch das Zuhause von vielen sein könnte, trügt. Denn zwischen den Dingen des Alltags werden Geschichten der Aggression erzählt, wie sie laut Statistik des Bundesfamilienministeriums fast jede vierte Frau bereits erlebt hat. „Wir wollen die Normalität zeigen, in der die Gewalt gegen Frauen stattfindet“, erklärt Thomas Knödl. Er hat die 120 Quadratmeter der „Rosenstraße 76“ konzipiert und aufgebaut. Jetzt steht die Wohnung in Berlin in der Alten Backfabrik in Prenzlauer Berg als Ausstellung.
Sie wurde gestern anlässlich des 10-jährigen Bestehens der Berliner Interventionszentrale für häusliche Gewalt (BIG) eröffnet. Die Initiative hat einen Paradigmenwechsel in der Bekämpfung häuslicher Gewalt eingeleitet. Lange gilt das Problem nicht mehr als Privatsache.
Die erschreckende Geschichte, die in in der Rosenstraße spielen könnte, verrät der Anrufbeantworter. Die Tochter, die so lange nichts von der Mutter gehört habe, die Nachbarn, die die Polizei rufen wollen, wenn es nicht endlich ruhiger werde – die Nachrichten zeigen, dass nicht immer alles in den vier Wänden bleibe, sagt Knödl.
„Man kann hier durchgehen, ohne etwas zu bemerken“, erklärt er. Erst wenn man auf die Details achtet, die leere Valiumpackung an der Küchenanrichte zum Beispiel, wird deutlich, dass die Welt hier nicht heil ist. Unterfüttert werden die Hinweise von Info-Schildern, die etwa am Gürtel hängen, der scheinbar belanglos neben dem Ehebett liegt. Am Messer, das zum Schnippeln einer Tomate benutzt wurde, kann der Besucher lesen, dass die Hälfte alle Morde und Totschläge im häuslichen Umfeld geschieht. Knödl: „Erst wenn man das Problem erlebt, kann man sich für Lösungsstrategien öffnen.“
Die bietet die Ausstellung, wenn man die trauten Wänden der „Rosenstraße“ durch einen Vorhang von Opfer- und Täterzitaten verlässt. „Das Wichtigste ist, dass das Schweigen gebrochen wird“, sagt Knödl.
Alte Backfabrik, Saarbrücker Str. 36a, Prenzlauer Berg. Bis 20. November täglich 10 bis 20 Uhr, Sonntag bis 16 Uhr