die wahrheit: Schraubstockeier zum Kaffee
Klar kann man sichs auch einfach machen. Musik hören und nicht drüber nachdenken. Ruhe ist. Aber kaum lässt man das Hirn anlaufen ...
... befindet man sich als deutschsprachiger Popmusikkonsument in einem Dilemma, das so alt ist wie die Welt oder zumindest wie Udo Lindenberg. Was fast das Gleiche ist.
Wenn man zum Beispiel Musik mit englischen Texten hört, versteht man entweder gar nix oder kaum was, weil Deutsche nun mal, trotz ständigem Denglisch-Geplapper und "Du ich flieg im Oktober wieder nach New York", in den seltensten Fällen richtig, "in echt" Englisch können. Oder weil die Vortragenden auf Heroin, Strohrum oder Chrystal Meth sind und nuscheln wie Gerd Ruge. Wenn man aber wirklich Pech hat, versteht man alles und dann kann man textlich gesehen oft auch gleich Pur oder Peter Maffay hören. Selbst Lieder, die man inhaltlich mittelokay bis toll findet, würden auf Deutsch meist doof und/oder prätentiös klingen. Wer mir das nicht glaubt, kann ja mal hilfsweise ein Lied von … sagen wir: Neil Young übersetzen. Songtexte bestehen ja nicht nur aus dem inhaltlichen Was sondern auch aus dem formalen Wie. Und das Wie ist oft ziemlich klischeebeladen. Ich kann mich noch erinnern, als ich zum ersten Mal "My my hey hey" von Mr. Young hörte. Ich war sehr angetan, und bis heute finde ich, dass es ein wunderschönes Lied ist. Voller Weisheit. Und peinlichster Rock-n-Roll-Banalitäten. Nicht nur, dass es dort heißt: "Hey hey my my, Rock n Roll can never die", nee, Young singt da auch noch: "Der König ist weg, aber nicht vergessen. Dies ist die Geschichte von Johnny Rotten. Es ist besser zu verbrennen als zu verrosten. Dies ist die Geschichten von Johnny Rotten". Mhm … und plötzlich hat man den Verdacht, dass Gunther Gabriel viel Unrecht getan wurde. Beschwerdebriefe bitte nicht an mich, sondern direkt an Neil Young schicken. Danke.
Und wenn man dann deutsche Songs hört, die man nicht als peinlich empfindet - egal ob die nun, je nach soziologischer Gruppenzugehörigkeit, von Johanna Zeul, Rio Reiser, Danny Dziuk, Slime, Abwärts oder den Ärzten stammen - dann stellt man fest, dass man den Texten nicht entrinnen kann. Es ist unmöglich, deutschsprachige Musik holistisch, als Synthese von Text, Musik und Darbietung wahrzunehmen. Oder als angenehmes Trallala im Hintergrund. Immer drängt sich der Text nach vorne und schreit: "Hör mir zu!" Ob Amerikaner oder Engländer ein ähnliches Problem haben, weiß ich nicht. Vielleicht finden die das auch normal, weil sie nie Lieder hören, bei denen sie ums Verrecken nicht wissen, worum es geht. Außer "Whiter Shade of Pale" von Procul Harum. Das hat noch niemand verstanden. Ist aber die große Ausnahme. Und deswegen liefe in Amerika auch nie "Bobby Brown" von Frank Zappa im Radio. Wie neulich im Sonntagnachmittagsprogramm vom NDR. Zappa sang zu Kaffee und Kuchen: "Sie steckte meine Eier in den Schraubstock, aber den Schwanz ließ sie draußen, er hängt zwar noch dran, aber jetzt komme ich zu früh".
Tja, da nahm ich mir dann noch ein Mandarinenschnittchen und lächelte meine mich besuchende Tante Magda freundlich an.
Die Wahrheit auf taz.de
Leser*innenkommentare
Herr Rodes
Gast
@wittgenstein
yep, "Halt Dich an deiner Liebe fest" ist schön.
(ich grab nicht nach mmw, für mich ist er da unten bestens aufgehoben... gott bewahr'!)
Wittgenstein
Gast
Deutsche Liebeslieder, da sollte Herr Rhodes vielleicht etwas tiefer graben, als nur bis zu MMW.
Wie wäre es denn mit "Halt Dich an deiner Liebe fest" (Ton Steine Scherben) oder die "Brüder der romantischen Verlierer" (Schroeders).
Herr Rodes
Gast
wer hat den käse
zum bahnhof gerollt
wer hat die
freundschaft mit amerika gewollt
wer hat bloss
all die arbeitslosen gezählt
wer hat die oma von klaus dieter
gequält
(westernhagen)
falls es im englischsprachigen songtextbeispiele (von +oder- populären bands) gibt die obigen, mit einschränkungen repräsentativen ausschnitt an transzendenter nulligkeit überbieten, bitte her damit.
ich behaupte daß eine ursache für die im artikel beschriebene "peinlichkeit" deutscher texte im deutschen hang zur kopflastigkeit liegt. musik ist "primordial", sie spricht uns auf einer ebene an welche viel tiefer liegt als die rationale ebene der worte, musik ist der träger, die worte nur ein aufsatz darauf. im besten fall verschmelzen beide magisch zu perfekter harmonie, der ausgangspunkt liegt dann aber immer in der tiefe. bei vielen deutschen produktionen hingegen hat man den eindruck dass sie "von oben nach unten" geschaffen wurden: man fängt mit einer "message" an und bastelt dann erst den text und am schluss die musi drumherum: das resultat wirkt oft gekünstelt.
dasistdieperfektewelledasistderperfektetagblablablabla....
ausnahmen gibt es zur genüge und jeder hat eine andere liste mit beispielen dafür, meine eigenen favoriten wären hier ärzte und rammstein.
eine damit verbundene frage wäre warum es schier unmöglich zu sein scheint "richtige" liebeslieder auf deutsch zu machen, lieder welche die tausend freuden und leiden dieses wunders in musikform kondensiert und den hörer direkt "dort drinnen" berührt, statt nur kitschig/ sentimental/ frustriert daherzukommen. die brasilianische musik z.b. ist ein ganzes universum solcher lieder, auf deutsch fällt mir jetzt so auf anhieb kein einziges ein.
ug1205
Gast
burnout: sollte man das nicht besser mit ausbrennen als mit verbrennen übersetzen, vgl. burnout-syndrom? und der könig der "gegangen" ist, hat ja auch einen namen: elvis presley, der "von uns gegangen" ist. dann hört sich das nicht mehr ganz so dumm an. young textete zwar einiges an niveauärmeren texten - was ihm verziehen sei in über 40 jahren - aber in dieser zeit textete er auch viele bildhafte songs, die uns deutschen wohl oft schleierhaft bleiben. ein schöner vergleich ist hierzu sicherlich der song bahnhofskino von bap.