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Archiv-Artikel

Technokraten-Geschwurbel

Das wird nichts: Der Koalitionsvertrag spekuliert auf die Zukunft, ohne sie zu gestalten

Das Ganze beruht auf einer Hoffnung: dass wir 2006 alle einkaufen gehen

Wer von zwei Seiten angegriffen wird, hat meistens Recht, behaupten die schwarz-roten Koalitionäre und feixen. Aber nur weil jetzt die meisten Interessengruppen plus Bild auf dem Koalitionsvertrag herumtrampeln, ist er noch lange nicht gut.

Er ist ein getreues Abbild dessen, was vom Politikverständnis der Technokratenriege bekannt ist, die ihn verfasst hat: Das Geld fehlt, lasst uns also mit eurem Gerechtigkeits- und Demokratiegeschwurbel in Ruhe. Und weil Technokraten noch lange nicht Recht haben, nur weil sie sich für Ideale nicht interessieren, sind die Vereinbarungen auch noch widersprüchlich und riskant. Sie beruhen, sehr schröderesk, auf einer einzigen Hoffnung: dass wir 2006 alle einkaufen gehen, um die höhere Mehrwertsteuer 2007 zu vermeiden.

Nur wenn die Konjunktur 2006 anspringt, wird die Koalition und mit ihr die Bevölkerung die Belastungen ertragen, die 2007 kommen. Die Mehrwertsteuer müssen sowohl Konsumenten wie Arbeitgeber stemmen. Diese müssen billiger produzieren und anbieten, wenn sie die steuerliche Teuerung nicht komplett auf den Preis draufschlagen wollen. Während die 20 Millionen Rentner ohnehin schon eine Null-, also Kürzungsrunde nach der anderen hinnehmen müssen, steigen auch noch die Beiträge zur Rentenversicherung, zahlen auch hier Arbeitgeber wie Arbeitnehmer drauf. Und glaube keiner, eine Gesundheits- und Pflegereform, die 2006 für 2007 ausgebrütet werden dürfte, bringe keine zusätzlichen Härten. Sie stehen bloß noch nicht im Koalitionsvertrag. Und für die ebenfalls vertagte Arbeitsmarktreform ist absehbar, dass für Kombilöhne kein Geld und für Mindestlöhne kein Konsens gefunden wird.

Die Sozialversicherungsbeiträge werden also bei der Arbeitslosenversicherung einerseits gesenkt – andererseits in der Rente, voraussichtlich bei der Pflege, vermutlich bei der Gesundheit erhöht. Einerseits will man Steuermittel zur Entlastung der Beiträge in die Sozialsysteme lenken. Andererseits werden aber die Tabaksteuern aus der Krankenversicherung wieder herausgeholt.

Bildung? Chancengleichheit? Investitionen in die Köpfe? Tja: Da hat die große Koalition die Zuständigkeit nun komplett den Bundesländern abgegeben. Die sind erstens für reaktionäre Schulpolitik berühmt und zweitens noch verschuldeter als der Bund. Kinderbetreuung? Von Rot-Grün wurden jährlich 1,5 Milliarden Euro für die unter Dreijährigen hinausgeschaufelt. Der schwarz-rote Vertrag bedauert nun, dass die Länder das Geld bloß eingesackt haben, und kündigt für 2008 einen „Prognose“ an, wie es mit der Betreuung weitergeht. Oha.

Menschenrechte? Rot-Grün hat 2002 wenigstens noch die menschenrechtliche Überprüfung der Hermesbürgschaften an Staudamm-Bauer und Tropenwald-Vernichter vereinbart. Jetzt dienen diese Kredite nur noch dem „Standort Deutschland“. Nachher kommt immer alles anders. Aber kommt es besser, dann nicht dank diesem Vertrag. ULRIKE WINKELMANN

Fotohinweis: Ulrike Winkelmann ist Parlamentskorrespondentin der taz