: Stimmungsmache gegen Australiens Muslime
Die festgenommenen mutmaßlichen Terroristen sollen einen Anschlag auf das einzige Atomkraftwerk des Landes geplant haben. In den Medien wird das Ende der Multikulturalität beschworen. Doch die Muslime sind integriert
SYDNEY taz ■ Die Sonne brennt auf den Asphalt der Straßen von Wiley Park in Sydney. Blühende Rosen zieren die Vorgärten. Biedere Vorstadtbeschaulichkeit zwischen grünem Rasen, weißen Gartenzäunen und geparkten Autos mit Kindersitzen. Doch die Ablehnung, die dem Beobachter aus dem Vorgarten des Hauses Nummer 21 an der Renown Avenue entgegenschlägt, zerstört das Bild der Idylle. „Wir sagen nichts! Hau ab!“, brüllt der bullige junge Mann von der Veranda. „Habe soeben zwei Journalisten rausgeworfen. Du kannst gerne der nächste sein.“ Seine Frau, in weißem Gewand und traditionellem muslimischem Kopftuch, ist ruhiger. „Es gibt nichts zu sagen. Nein, wir fühlen uns nicht als Opfer.“ Sie drückt ihr Baby an sich, dreht sich um und geht ins Haus.
Wiley Park, Bankstown, Lakemba – seit ein paar Tagen sind die Namen dieser Stadteile im Westen von Sydney ein Synonym für Terrorismus. Es war nachts um halb drei, als hunderte von schwer bewaffneten Polizisten und Agenten des australischen Geheimdienstes Asio gleichzeitig Häuser in Sydney und in Melbourne stürmten. Sie nahmen 16 junge Männer fest, unter dem Verdacht, einen Terroranschlag geplant zu haben. Hunderte Pakete Beweismaterial wurden sichergestellt, Computer, Papier, Plastikröhren, Flaschen voller Salzsäure. Auch in der Renown Avenue in Wiley Park. Gleich zwei Häuser stellten die Beamten hier auf den Kopf; unter dem Dröhnen von Hubschraubern, die mit ihren Scheinwerfern die Nacht zum Tag werden ließen.
Sydney ist nicht Paris. Es gibt keine Heerscharen frustrierter „arabischer“ Jugendlicher, die aus Langeweile, Arbeits- und Aussichtslosigkeit gewalttätig werden. Fast alle Festgenommenen hatten Arbeit, sind ausgebildet als Metzger, Handwerker, einer war Schauspieler in einer Seifenoper. Doch am Abend gingen sie in die Moschee zum Beten statt ins Pub zum Trinken. 300.000 Menschen muslimischen Glaubens leben in Australien. Das Land hat auch eine lange Tradition der Zuwanderung aus dem Nahen Osten.
Die Meldungen kommen tröpfchenweise. Jeden Tag informieren Polizei und Staatsanwaltschaft bruchstückhaft, was die Festgenommenen offenbar vorhatten. Ziel der Gruppe sei es gewesen, den einzigen Atomreaktor Australiens in die Luft zu sprengen. Sie hätten versucht, große Mengen Chemikalien zu kaufen, die sich zur Herstellung von Sprengstoff eignen. Ideologisch auf Gewalt getrimmt worden seien die Verdächtigen von Abdul Nacer Benbrika, oder Abu Bakr, einem bärtigen 45-jährigen muslimischen Prediger, der vor kurzem in aller Offenheit seine Unterstützung für Ussama Bin Laden klar gemacht hatte.
Plötzlich ist der Al-Qaida-Führer nicht mehr nur in den Fernsehnachrichten, plötzlich ist er im Nachbarhaus. Das Radio gleicht einem Kochtopf, aus dem eine braune Sauce aus Ignoranz, Intoleranz und Rassismus quillt. Hörer fordern die Todesstrafe für die Verhafteten, die Ausweisung aller Muslime, und die erzkonservativen Radiomoderatoren sehen ihre Vorurteile bestätigt: die australische Multikulturalität ist eben doch nichts anderes als ein Mythos. Sie verschweigen, dass Immigranten aus dem Nahen Osten ausgesprochen integriert sind und in Eintracht leben mit der Mehrheit der Bevölkerung.
In Lakemba, nur zwei Kilometer von der Renown Avenue in Wiley Park entfernt, fühlt sich der Beobachter mehr in einer ägyptischen Einkaufstraße als einen Steinwurf vom Opernhaus von Sydney entfernt. Aufgeregt diskutieren bärtige Männer über die jüngsten Entwicklungen. Ein junger Somali trägt ein ausgebleichtes T-Shirt: „Islam ist die einzig wahre Religion“, so die Schrift.
Im Café an der Ecke sitzt Charlie, ein 30-Jähriger libanesischer Abstammung. Er ist in Australien geboren, ein Schreiner mit eigenem Geschäft. Er glaubt, dass Australien zum Ziel von Terroristen wurde, als es an der Seite der USA in den Irakkrieg zog. Doch für ihn ist klar: „Idioten“ seien diese Verdächtigen. Es trifft ihn hart, dass wegen einer Handvoll „Verrückter“ alle Australier muslimischen Glaubens leiden müssen – und Kritiker erneut Grund haben, am Erfolg der australischen Multikulturalität zu zweifeln. „Dieses Land ist ein Paradies für mich“, sagt Charlie. „Ich bin Australier – innen und außen.“ Doch am Abend gehe er in die Moschee, nicht ins Pub.
URS WÄLTERLIN