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Archiv-Artikel

Der unerfüllte Traum

CASTINGTHEATER In Hamburg schaffen es sieben gescheiterte Veteranen der Generation DSDS auf die Bühne – ganz anders allerdings, als sie das immer vorhatten. Das Stück „Stars United“ interessiert sich für die Masken, die sie trugen – und für das dahinter

„Stopp, so nicht!“, ertönt es vom Regiepult. „Du sollst nicht so schauspielern. Du sollst den Leuten sagen, dass du, du! singen willst“

„Der Ablauf ist immer gleich“, sagt Sandra Magdalena: Man kommt, gibt die Anmeldung ab, kriegt eine Nummer zugewiesen, schminkt sich, geht die Texte noch einmal durch, wartet bis man aufgerufen wird, trägt die Stücke vor, wartet auf die Ergebnisse – und ist enttäuscht.

Seit Jahren schon bewirbt sich Sandra Magdalena bei einer Talentshow nach der anderen. Beim letzten Casting passierte etwas Ungewöhnliches: „Ich dachte erst, was ist das denn für ein Hippie. Aber dann kam diese Frau auf mich zu und drückte mir einen Flyer in die Hand.“

Alles ist Dunkel im großen Probenraum, nur die Bühne spärlich beleuchtet. Sandra Magdalena springt auf ein Podest, sagt: „Ich will es aber … ich will singen!“ – „Stopp, so nicht!“, ertönt es aus dem Dunkel, vom Regiepult her. „Du sollst nicht so schauspielern. Du sollst den Leuten sagen, dass du, du! singen willst.“ Die Regisseurin legt nach: „Das ist dein Moment. Der Moment, in dem du all denen da draußen sagen kannst: Ja, ich bin vielleicht ein bisschen dick, aber verdammte Scheiße noch mal, ich will es! Ich will es! und – ja – ich kann es auch!“

Mit sechs anderen Castingveteranen hat Sandra Magdalena es doch noch auf die Bühne geschafft – ganz anders allerdings, als sie es sich vorgestellt hat. „Am Anfang haben wir nicht so recht verstanden, worum es bei dem Stück eigentlich geht“, sagt sie, „aber es geht ganz einfach um uns – so wie wir wirklich sind“.

Mit ihrem Stück „Stars United“ nähert sich Regisseurin Maria Magdalena Ludewig dem Castinggeschäft durch die Augen der Betroffenen an. Im Vorfeld hat sie etliche Interviews mit ihren Darstellern geführt, ihre Aussagen zusammengetragen und in Monologe verdichtet.

Wieder springt Sandra Magdalena auf das Podest, sagt ruhig und direkt: „Ich will es aber.“ Und dann, nach einem Moment, laut, fast aggressiv: „Ich will singen. Ich will singen!“ Und stimmt die ersten Zeilen an von „Dream a little dream of me“.

Es komme gar nicht darauf an, ob man gut singe oder nicht, sagt Tertia Botha. „Die wollen einfach Leute, die formbar sind, gut aussehen und Emotionen vorspielen können.“ Tertia muss es wissen: 2003 wurde sie mit vier anderen Mädchen zu der Popstar-Band Preluders gecastet. Zwei Jahre später stieg sie enttäuscht aus. Enttäuscht ist auch Menderes Bagci: Sechsmal hat er sich vergeblich bei „Deutschland sucht den Superstar“ beworben. Berühmt wurde er – als voyeuristisch inszenierter „schrägster Kandidat“. Da ihm negative Aufmerksamkeit lieber war als gar keine, hat er mitgespielt.

Er scheint gereift zu sein und mit seiner Rolle als tragische Figur langsam in Einklang zu kommen. Überhaupt scheint das Reflektieren über sich und die Castingindustrie für die meisten Darsteller hier sehr heilsam gewesen zu sein. „Trotzdem geht es hier natürlich nicht um Therapie oder so, sondern um Theater“, stellt Regisseurin Ludewig klar. Sie interessiert vor allem der Übergang von der Schauspielerei zur Selbstpräsentation: „Alle hier haben Bühnenerfahrungen“, sagt sie, „aber alle hier haben auch eine Maske, die sie aufsetzen, wenn sie auf die Bühne treten“. Und sie interessiere eben, was unter den Masken sei. Ludewig kehrt also die klassische Arbeit des Regisseurs um, die ja darauf bedacht ist, Darsteller Rollen spielen zu lassen.

Vor der Fotoprobe geht Sandra Magdalena an einem Plakat für das Stück vorbei. Sie freut sich so sehr, dass sie anfängt zu quietschen. „Ist mein Name drauf, ist mein Name drauf?“, fragt sie aufgeregt. Sie zückt ihr Handy und macht Fotos. „Ich habe ja jetzt schon ständig Termine“, sagt sie. „Da muss man ja Angst davor bekommen, wie es werden soll, wenn das Stück erst einmal angelaufen ist.“ Und fügt hinzu: „Noch mehr Angst habe ich aber davor, wie es ist, wenn alles wieder vorbei ist.“ JOHANN TISCHEWSKI

nächste Vorstellungen: heute und morgen, 19.30 Uhr, Hamburg, Kampnagel