Kommentar US-Luftangriff in Syrien: Schüsse in viele Richtungen

Der Zeitpunkt für den Angriff der US-Militärs ist ungewöhnlich. Die Entscheidung für den Luftangriff muss auf höchster Ebene gefallen sein.

Es gibt Ereignisse, da ahnt man sehr schnell, dass die Wahrheit wahrscheinlich auf der Strecke bleiben wird. Der US-Angriff auf ein syrisches Dorf im Grenzgebiet zum Irak ist so ein Fall. Die Syrer würden es niemals zugeben, wenn sich dort tatsächlich ein logistisches Zentrum der irakischen Aufständischen befunden hätte. Und die USA werden es bis auf weiteres nicht bestätigen, falls sie eine Operation vermasselt und statt Al-Qaida-Kämpfern unschuldige Zivilisten umgebracht haben.

Ob verpatzt oder nicht, die Frage steht im Raum: Warum gerade jetzt? Sicherlich, es gibt bereits seit Jahren das Problem, dass heilige Krieger aus allen arabischen Ländern über Syrien in den Irak geschmuggelt werden. Aber es waren die Amerikaner selbst, die erst im Sommer erleichtert erklärt hatten, die Infiltration sei in diesem Jahr bereits um die Hälfte zurückgegangen. Und die Syrer erkennen immer deutlicher, dass die Geister, die sie einst geweckt hatten, sich gegen sie selbst wenden.

Dafür hat vor allem ein Al-Qaida-Anschlag in Damaskus letzten Monat gesorgt. Spätestens ab diesem Zeitpunkt ist auch das syrische Interesse gewachsen, die Grenze zum Irak schärfer zu kontrollieren. Warum also die jetzige Eskalation? War es der Abschiedsgruß der Regierung George W. Bush in Richtung Damaskus?

Der Zeitpunkt kurz vor den US-Wahlen ist zumindest kurios. Die Entscheidung für eine derartige Operation fällt kein lokaler Kommandeur, sie muss auf höherer politischer Ebene abgesegnet worden sein. Auf syrischem Gebiet zuzuschlagen, ist damit auch ein Schuss vor den Bug der Europäer, versuchen die doch seit Monaten, Syrien politisch einzubinden und zu einer konstruktiveren Politik zu bewegen. Und für die irakische Regierung ist der Vorfall mehr als peinlich: Kannte man in Bagdad die Pläne für die Operation nicht, dann muss sich die Regierung die Frage gefallen lassen, wie viel Souveränität der irakische Staat eigentlich besitzt. Wusste sie von der Intervention, dann steckt sie gegenüber ihrem Nachbarn und arabischen Bruderstaat in arger Erklärungsnot.

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Karim El-Gawhary arbeitet seit über drei Jahrzehnten als Nahost-Korrespondent der taz mit Sitz in Kairo und bereist von dort regelmäßig die gesamte Arabische Welt. Daneben leitet er seit 2004 das ORF-Fernseh- und Radiostudio in Kairo. 2011 erhielt er den Concordia-Journalistenpreis für seine Berichterstattung über die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, 2013 wurde er von den österreichischen Chefredakteuren zum Journalisten des Jahres gewählt. 2018 erhielt er den österreichischen Axel-Corti-Preis für Erwachensenenbildung: Er hat fünf Bücher beim Verlag Kremayr&Scheriau veröffentlicht. Alltag auf Arabisch (Wien 2008) Tagebuch der Arabischen Revolution (Wien 2011) Frauenpower auf Arabisch (Wien 2013) Auf der Flucht (Wien 2015) Repression und Rebellion (Wien 2020)

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