: Der Mann mit dem Koks
HEIZEN Frank Meene schleppt seit einem Vierteljahrhundert Kohlen – in den fünften Stock, wenn es sein muss. Ein Service, den immer weniger Kunden wollen. Sein Beruf stirbt aus
VON MARTIN RANK
Frank Meene sitzt im grauen Trainingsanzug in der Gaststätte Deichgraf, unweit entfernt vom Westhafen. Er zündet sich eine polnische Zigarette an. Auf dem Tisch liegen Handy und Kalender. „Heute hat noch keener angerufen“, sagt der 50-Jährige, der die Firma „Bären Kohle“ leitet und den hier alle Frankie nennen. Der Firmenname passt: Denn Meene hat eine Statur wie ein Bär, dazu einen militärischen Haarschnitt. Zum Frühstück gibt es Rührei. Er wartet auf Kunden, die Kohle, Koks oder Holz kaufen wollen.
Bis jetzt war ihm die Saison viel zu warm. „Wenn dieser Kackwinter so mild bleibt, dann kann sich das noch hinziehen“, sagt er mit seiner tiefen Stimme, mit der man Mickey Rourke synchronisieren könnte. Wenn das Handy tagelang nicht klingelt, dann hat er auch schon mal von einem anderen Telefon auf sein eigenes Handy angerufen. Es könnte ja kaputt sein. Nur wenn es längere Zeit lang kalt bleibt, rufen die Leute an. „Es ist wie Eis verkaufen – ein Saisonjob.“ Im Sommer wird der gelernte Tischler Wohnungen renovieren.
Schleier von Kohlestaub
Meene schwärmt von den Zeiten, als in Berlin die Schlote qualmten. Jeden Winter legte sich ein Schleier von Ruß und Kohlestaub über die Stadt. Nach der Wende waren rund 400.000 Öfen in Betrieb, ein Großteil davon in den unsanierten Altbauten im Osten. Und Meene verdiente in den 90ern eine Menge Geld mit den Kohlen. Hier am Westhafen leitete er einen Kohlen-Großhandel, den er aufgeben musste, als der Westhafen umgebaut wurde. „Ist 2008 allet schick jemacht worden. Die wollen ja hier keinen Dreck mehr“. Seitdem hat er kein Büro mehr. Sein Handy und sein grauer Kalender reichen aus, um den Laden zu schmeißen.
„Det war damals so krass.“ Der Kalender war ein Vierteljahr vorher voll, seine sechs Mitarbeiter belieferten 200 Kunden am Tag. „Studentinnen, hübsche Weiber, die fragen, ob sie das abarbeiten können – so was gab’s auch, kein Quatsch“, erzählt Meene. „Oder kommste halb sieben am Morgen mitten in ’ne Party. Rennen die alle nackig rum da. Die wollen dich dann reinziehen in die Bude.“
20 Jahre später sind Kohleöfen selbst für arme Studenten unsexy. Wenn die Saison richtig losgeht, beliefert Meene noch 15 bis 20 Kunden am Tag. Er kennt sie alle. Denn neue Kunden gibt es nicht, es sei denn, ein anderer Händler geht pleite.
Allein in Westberlin soll es einmal 800 Händler gegeben haben. Heute nur noch eine Handvoll. Der Beruf stirbt aus.
Dann bimmelt das Handy. Eine Frau aus Schöneberg bestellt eine halbe Tonne. Immerhin. Ansonsten wird viel „Kleckerkram“ geordert, für den er dann durch ganz Berlin kutscht. Er hat nur noch einen Lkw, Oldtimer von 1976, und einen 400-Euro-Jobber, der ihm bei seinen Touren hilft. Und seine beiden Hunde, die immer mitfahren. Allein das Hochtragen der halben Tonne in den vierten Stock kostet 80 Euro. Das bedeutet zehnmal hoch und runter.
Ein Träger schleppt 50 bis 75 Kilogramm auf einmal die Treppen hoch. Meene war als junger Mann Leistungssportler. Zwölf Jahre Boxen haben Spuren im Gesicht hinterlassen. Später fuhr er Rennrad. Immer ging er ins Fitnessstudio „Zu meenen Glanzzeiten hatte ich fünf Kohlenpakete geschafft.“ Macht 125 Kilogramm, die er auf einmal in den Keller runtergeschleppt hat. „Det war mehr Spaß jewesen.“
Doch die Glanzzeiten sind vorbei. Im Moment muss sein 57-jähriger Kollege Wolfgang alles tragen, weil Meene vor einem Jahr am Knie operiert wurde. Er klopft auf den Tisch. „Bis heute nicht krank, groß.“ Nur das doofe Knie. Er hat jetzt wieder angefangen, die Kohlen mit der Karre zu schieben. Mehr geht erst mal nicht. 20 Kilo habe er seit der Knie-OP zugenommen.
Wer kauft heute überhaupt noch Kohlen? Keineswegs nur arme Schlucker, meint Meene. Es seien Leute, die einfach aus ihrer alten Wohnung nicht rauswollen – in ganz Berlin. Sie wollen die Wohnung unsaniert lassen, nicht nur wegen der Miete. Auch das Heizen mit Kohle sei im Preis unschlagbar. Er selbst heizt sein Haus auch mit Kohle. Hin und wieder kommen neue Kunden hinzu, die sich zusätzlich zur Heizung einen Kamin anschaffen, damit sie es gemütlicher haben. Doch das sind Ausnahmen.
Der Senat wollte zur Jahrtausendwende das Heizen mit Kohle verbieten, um die Luftverschmutzung zu bekämpfen. Doch dazu kam es nicht. Denn die meisten hatten ihren Kohleofen längst rausgeschmissen. Das Land Berlin gab zwischen 1991 und 2000 fast 5 Milliarden Euro für diverse Sanierungsprogramme aus. Kaum jemand hatte noch Lust auf das Kohlenschleppen, die Asche und die Eisblumen am Fenster, wenn die Wohnung auskühlt. Es profitierten vor allem die Erdgasanbieter – und die Umwelt. Die winterliche Smogglocke verschwand. Die Schwefeldioxid-Belastung ging seit 1989 um 96 Prozent zurück, was aber auch mit der Deindustrialisierung zu tun hat. Die Kohlendioxid-Emission sank um 25 Prozent.
Billigware im Baumarkt
Laut Senatsverwaltung sind in Berlin 30.000 Wohnungen mit Kohleöfen übrig geblieben. Das sind immer noch deutlich mehr als in allen anderen deutschen Städten. Zumindest so viel, dass ein paar Kohlenhändler überlebt haben. Doch nicht nur die Sanierungen, auch die Baumärkte machen Meenes Geschäft schwer. Sie verkaufen auch Kohlebriketts. „Da gehen denn auch die Kunden weg, wenn einer ein Auto hat.“ Die Baumärkte bieten die Ware so billig an, dass sogar Meene die abgepackten Kohlen dort kauft und nicht mehr beim Großhändler.
Andere haben aufgegeben. In Schöneberg ist ein Händler komplett auf Blumen umgestiegen. Im Wedding bietet einer nun auch Fahrradreparaturen an. Doch Meene, der sein halbes Leben lang Kohle verkauft hat, will sich bis zum Schluss mit Kohlen durchboxen. „Wenn das mit den Kohlen komplett den Bach runtergeht, dann sage ich auf Wiedersehen.“