Regisseur Lisandro Alonso und sein Film "Liverpool": "Ich mag Worte nicht"

Der Regisseur Lisandro Alonso ist in Europa wenig bekannt, obwohl er mit seinen Low-Budget-Filmen zu den Stars des Weltkinos gehört. "Liverpool" läuft jetzt beim Festival "Around the World in 14 Films"

Tristesse im Hafen: Für Regisseur Alonso ein gutes Filmmotiv Bild: ap

taz: Herr Alonso, Ihr jüngster Film "Liverpool" beginnt in düsteren Arbeitsräumen und Kabinen. Es dauert ein paar Minuten, ehe man merkt, dass sich diese Orte an Bord eines Frachters befinden. Das ist Ihre Methode: Verunsicherung durch Informationsentzug. Durchschauen Sie selbst Ihre Figuren?

Als Minimalist wird er gern bezeichnet, dabei sind es eigentlich nur die Erzählungen, die er in seinen Filmen auf ein Mindestmaß zurücknimmt - im Gegenzug erhöht er die Präzision des Blicks (auf die Menschen und ihre rätselhaften Bewegungen, auf das Zusammenspiel von Raum und Körper). Der Regisseur Lisandro Alonso aus Buenos Aires, 33 Jahre alt, hat in Filmen wie "Los muertos" (2004) und "Fantasma" (2006) zu einem ganz unverwechselbaren Inszenierungsstil gefunden, in dem er das Geheimnisvolle seiner Figuren und Geschichten in großer Klarheit herausarbeitet. Zugeständnisse an Industrie oder Publikum macht Alonso, privat ähnlich zurückhaltend wie seine Protagonisten, grundsätzlich nicht. Mit seinem vierten Film, "Liverpool", einer fragmentarischen Familiengeschichte im argentinischen Hinterland, erregte Lisandro Alonso in diesem Jahr, wie schon 2001 mit seinem Debüt, "La libertad", im Programm der Filmfestspiele von Cannes Aufsehen.

Lisandro Alonso: Nein. Ich habe mehr Fragen als Antworten. Ich versuche natürlich, während des Drehens hinter die Geheimnisse zu kommen, die in meinen Geschichten stecken, aber oft kann ich mich auch nur ins Ambivalente retten. Ich bemühe mich, meine Charaktere kühl darzustellen.

Ihre Inszenierungen besitzen eine sehr eigene, wiewohl alles andere als klassische Schönheit. Wie konstruieren Sie Ihre Einstellungen? Gehts Ihnen da um Harmonie?

Irgendwie schon, ja. Allerdings lege ich keinen Wert darauf, schöne Landschaften zu fotografieren. Aber an der Bildkomposition haben wir in "Liverpool" besonders hart gearbeitet und versucht, das Ästhetische zu forcieren - ein wenig zumindest. "Liverpool" ist so etwas wie eine Zusammenfassung meiner bisherigen Arbeit: In "Fantasma" hab ich Dinge in engen Innenräumen statt in der freien Natur probiert, mit Kunstlicht gearbeitet. Vieles gefiel mir so gut, dass ich es in "Liverpool" wieder verwendet habe. Andererseits ist "Liverpool" weniger dokumentarisch angelegt als "Los muertos" und "La libertad".

Inwiefern? Weil die "Story" in "Liverpool" ein wenig ausgeprägter ist?

Vielleicht. Dieser Mann, Farrel, hat immerhin Beziehungen zu zwei oder drei Leuten, und es gibt dieses gigantische Schiff, den Hafen. Er erklärt dem Kapitän, dass er seine Mutter aufsuchen wolle, von der er gar nicht wisse, ob sie noch lebe. In "Liverpool" gibt es mehr von solchen Dingen als in meinen anderen Filmen. Ich verwende diese minimalistischen Geschichten aber nur als Vorwand, um die Orte zu zeigen, an denen ich Filme machen will. Bei "Los muertos" war das auch so: Da wollte ich einen Film im Gefängnis und im Dschungel drehen.

Warum drehen Sie dann nicht gleich Dokumentarfilme? Sie bräuchten keinen narrativen Vorwand mehr, um an bestimmten Orten zu drehen.

Nein, das wäre nichts für mich. Natürlich hab ich mich das auch schon gefragt. Aber ich werde wohl noch einige Zeit bei meiner Art, Filme zu drehen, bleiben. Pedro Costa bleibt auch lieber bei dieser fragmentarischen Art des Spielfilms. Und er macht das schon viel länger als ich.

Finden Sie nicht viele Ihrer Darsteller oft erst vor Ort?

Klar, die meisten meiner Schauspieler leben, wo ich sie filme. Juan Fernández, der die Hauptrolle in "Liverpool" spielt, arbeitet allerdings in der Stadt, als Schneetraktorfahrer. Er ist nie zuvor in einem Film aufgetreten. Und er war, genau wie ich, erstmals auf einem solchen Schiff. Das Mädchen fand ich in einer Sonderschule.

Das Mädchen ist tatsächlich behindert? Auch das gehört zu den Dingen, die man nur ahnen kann. Man ist nie sicher, wie weit die Fiktion bei Ihnen geht.

Ich mag es, Dinge im Ungewissen zu lassen. Ist das Mädchen nur ein wenig scheu, stiller als andere? Oder hat es ein Handicap?

Ihre Filme handeln mehr noch als von den Menschen, die in ihnen auftreten, von den Orten, an denen sie spielen: Es sind meist hermetische, entlegene Welten. Was interessiert Sie so an der Einöde?

Ich weiß nicht genau. Als ich sieben, acht Jahre alt war, fuhr ich mit meinem Vater und meinen Brüdern übers Wochenende aus Buenos Aires raus - und sah erstmals Bauern, einsame Farmen. Diese Leute und ihr Schweigen machten mich extrem neugierig. Das hat sich in mir erhalten: Diese zurückgezogenen Menschen und ihr Leben in der Einöde setzen meine Imagination viel mehr in Gang als die Leute in der Stadt.

An Psychologie scheinen Sie am allerwenigsten interessiert. Sehen Sie die Orte und Bewegungen, die Sie zeigen, dennoch als eine Art inneres Porträt Ihres Helden?

Ich glaube, wenn ich zeige, was er sieht, können wir ermessen, was er denkt. Er selbst wird natürlich nie jemandem anvertrauen, was er denkt. Die Psychologie der Figur kenne ich nicht - und sie kümmert mich auch nicht. Was man aber kennenlernt, ist seine Umgebung, die Menschen und Orte um ihn herum: wie man im Inneren eines Frachters lebt, wie man in einem Dorf lebt, die Isolation dort. Wie die Natur die Kommunikation erstickt hat, wie alles stirbt, wenn es eiskalt ist und sich niemand mehr außerhalb der Häuser aufhält. Im Schiff, von dem Farrel kommt, ist es ganz ähnlich: Jeder bleibt in seinem eigenen Raum.

Haben Sie das Gefühl, nur eine - nämlich Ihre - Art von Film machen zu können? Oder könnten Sie, wenn Sie wollten, stilistisch auch ganz anders arbeiten?

Ich bin nicht sicher, ob ich einen Thriller drehen oder ein anderes kommerzielles Genre bedienen könnte. Ich glaube, ich könnte es nicht. Ich mache meine Filme so, weil ich denke, ich wüsste, wie sie zu machen sind.

Das argentinische Kino gilt unter Cinephilen seit ein paar Jahren als Wunderland: Die Filme Lucrecia Martels, Pablo Traperos oder Israel Adrián Caetanos sind, wie auch Ihre Arbeiten, Fixpunkte bei vielen Kinofestivals. Wie werden sie in Argentinien aufgenommen?

Natürlich spricht man auch dort vom neuen argentinischen Kino, aber jede Arbeit hat ihre eigene Geschichte. Meine Filme sind in Argentinien alles andere als Erfolge: Einen einzigen konnte ich bisher regulär ins Kino bringen - aber auf mehr als 3.500 Besucher kam auch der nicht. Es gibt ein paar Kritiker, die interessiert es, über meine Filme schreiben. Aber das bringt an der Kasse wenig. Ich bin nicht sehr populär daheim. Aber der Punkt ist natürlich: Ich bemühe mich ja auch nicht darum.

Ihre Arbeit scheint immer unspektakulärer zu werden. In "Liverpool" gibt es keine Gewalt mehr, keine Tierschlachtungen oder Morde …

… und keinen Sex.

Stimmt, auch keinen Sex. Machen Sie das absichtlich?

Ja. Ich bin mit mir übereingekommen, keine Tiere mehr zu töten. Zumindest nicht vor der Kamera. Ich wollte mit "Liverpool" zur Abwechslung etwas sehr Naives machen, etwas ganz Unverdorbenes, vielleicht auch Feminines.

So wirkt der Film auf mich eigentlich nicht.

Es ist aber so. Ich wollte einmal nicht an Blut und Sex denken, das beginnt mich im Kino zu langweilen. Natürlich ist es künstlerisch legitim, Gewalt und Sex zu zeigen, aber mir erscheint das wie der erste Schritt in den Kommerz.

Gewalt und Sex sind eben Attraktionen.

Sie schockieren, verwirren und ziehen an. Ein bisschen banal ist das schon.

Wie arbeiten Sie mit Farbe? In "Liverpool" ist das Rot dominant. Es zieht sich von der Credit-Sequenz an durch den Film: Das Mädchen trägt Rot, das Zimmer seiner Mutter hat rote Wände. Sind das alles bewusste Entscheidungen?

Manches davon. Anderes fanden wir einfach in Rot vor. Das Zimmer haben wir tatsächlich ausmalen lassen. Vor sieben Jahren wäre ich nie auf die Idee gekommen, irgendetwas farblich zu verändern. Ich ließ alles, wie es war. Inzwischen mag ich es, Details zu ändern. Dadurch werden die Dinge nicht gleich künstlich, aber sie werden doch weniger "real".

Ihre Helden sind immer Außenseiter, einsame Reisende? Warum sind sie so allein?

Ich kann mich einfach besser auf eine Person konzentrieren als auf mehrere zugleich. Außerdem muss man, wenn man zwei oder drei Hauptfiguren hat, diese miteinander sprechen lassen. Und ich mag Worte nicht. Ich glaube nicht sehr an das, was Menschen sagen. Ich glaube aber daran, was ich sehe. Ich halte es für fantastisch, Filme in Bildern erzählen zu können. Das Alleinsein ist der einzige Grund für die Wortkargheit meiner Figuren. Sie sind ja nicht verrückt.

Fragen Ihre Darsteller nie, worauf Sie hinaus wollen?

Nein, die sind so weit weg vom Kino. Misael Saavedra, der Protagonist aus "La libertad", geht nie ins Kino, er hat dazu kein Verhältnis. Sie interessieren sich nicht dafür, ob ich in Nahaufnahmen oder Totalen drehe. Sie fassen das Kino einfach als Arbeit auf. Wie viel ich ihnen zahle, interessiert sie allerdings.

Sie werden nie gebeten, Ihre Filme zu interpretieren?

Nein. Wir reden nicht viel darüber. Ich glaube, wenn ich anfinge, die Figuren zu erklären, würden sie versuchen, das zu verstehen und sich ganz anders verhalten. Ich erteile ganz simple Handlungsanweisungen.

Sind Ihre Akteure glücklich mit den Ergebnissen?

Sagen wir so: Sie genießen den Prozess mehr als die Ergebnisse. Sich im Kino zu sehen, das ist für sie ein wenig so, als blickten sie in einen Spiegel. Natürlich würde Argentino Vargas, der Mann aus "Los muertos" und "Fantasma", nie jemanden töten, aber sonst sind die Dinge, die ich zeige, seine Lebensroutine.

Er weiß, wie man sich den Honig mit bloßen Händen aus einem belebten Bienenstock holt.

Ja, das erscheint ihm ganz natürlich.

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