Selbstdiagnose per Internet: Die Krankheit gesucht

Immer mehr Menschen informieren sich im Internet über ihren Gesundheitszustand. Das kann zu Hypochondertum führen, wie Microsoft bei einer Studie herausfand.

Bei manchen ersetzt das Netz den Gang zum Arzt. Bild: dpa

BERLIN taz Das Web verändert die Medizin. Es soll inzwischen sogar Ärzte geben, die das Angebot des Internet-Riesen Google bemühen, wenn ihnen eine Anzahl von Symptomen bei einem Patienten noch unbekannt ist - zugeben würden sie das natürlich nicht. Viel häufiger nutzen allerdings Laien Suchmaschinen und Online-Portale, um sich über Gesundheitsthemen zu informieren. Laut einer Untersuchung des US-Marktforschers Pew waren es bereits 2006 über 80 Prozent der amerikanischen Online-Nutzer, in Europa sind die Zahlen ähnlich hoch und zwischenzeitlich noch gestiegen. Manches Mal, so scheint es, ersetzte das Netz den Gang zum Doktor.

Dass diese Selbstdiagnose per Suchmaschine nicht nur einen informierteren Patienten zur Folge, sondern potenziell auch negative Auswirkungen haben kann, davor warnt nun eine neue Studie von Microsoft Research. Der Forschungsarm des Software-Riesen nutzte dabei die eigenen Mitarbeiter als Anschauungsobjekte: 515 "Microsofties" wurden befragt, nach welchen Gesundheitsthemen sie im Netz suchen und wie sie mit den erlangten Informationen umgehen. Dabei ergab sich, dass die Gefahr einer Verstärkung von Ängsten droht. Wer beispielsweise glaubt, dass Kopfschmerzen für einen Gehirntumor stehen könnten, liest sich im Netz womöglich schnell etwas an, das mit seinem tatsächlichen Gesundheitszustand wenig zu tun hat. Das Web führt in diesem Fall zu fortgeschrittenem Hypochondertum, sagen die Microsoft-Forscher, die mit ihrem Projekt die eigene Suchmaschine optimieren wollen, passendere Ergebnisse bei medizinischen Themen zu liefern.

Bei der Untersuchung fanden sie heraus, dass statistisch gesehen immerhin zwei Prozent aller Suchanfragen mit Gesundheitsthemen zu tun haben. Das Problem dabei: Suchmaschinen werten nicht. Die ersten Treffer für Anfragen wie "Muskelzuckungen" oder "Schmerzen in der Brust" führten genauso häufig zu Informationen über harmlose Störungen wie zu Abhandlungen über neurodegenerative Krankheiten und Schlaganfälle. Das heißt, dass der Nutzer selbst entscheiden muss, was er ernst nimmt und was nicht. Immerhin ein Drittel der 515 befragten Microsoft-Mitarbeiter gaben an, sie hätten nach den ersten Suchergebnissen damit begonnen, nach ernsteren und selteneren Krankheiten zu suchen. "Unsere Ergebnisse zeigen hier, dass zumindest das Potenzial besteht, dass sich Leute in medizinische Sorgen hineinsteigern", heißt es in der Untersuchung.

Gesundheitsversorger empfehlen deshalb, sich bei Fragen zur eigenen Gesundheit zunächst an einen Arzt zu wenden und mit im Internet aufgefundenen Informationen vorsichtig zu sein. Diese müssten zwar keineswegs falsch sein, passten aber womöglich schlicht nicht zur eigenen Situation. Nicht, dass das Internet Menschen in medizinischer Not nicht helfen könnte: Im Bereich der Vorsorge und Aufklärung spielt es eine zunehmend wichtige Rolle, etwa bei der Nennung von Untersuchungsmöglichkeiten bei Krebserkrankungen. Die muss dann aber ein gut ausgebildeter Mediziner durchführen, der dem Patienten dann auch letzte Zweifel nehmen kann.

Klar ist aber auch, dass selbst der langjährige Facharzt nicht alles weiß oder, noch logischer, wissen kann. Aus diesem Grund bedienen sich auch solche Personengruppen Informationen aus dem Internet. Doch diese Quellen sind dann nicht Google oder Microsoft Search, sondern kostenpflichtige Fachdatenbanken, wissenschaftliche Zeitschriften und Foren für Mediziner. Vielleicht sollten solche Angebote zum Teil auch für Laien geöffnet werden. Eine "Wikipedia für Gesundheitsthemen", "Medpedia" genannt, könnte diese Lücke schließen. Sie wurde von mehreren renommierten US-Universitäten wie Harvard und Stanford aus der Taufe gehoben und soll nur von Experten befüllt werden. Der Plan dabei ist, die bislang größte Sammlung medizinischer Informationen im Netz aufzubauen und diese ständig weiter zu pflegen. Wenn das Angebot groß genug ist und viel verlinkt wird, dürfte es nicht lange dauern, bis es auch bei Google ganz vorne auftaucht, wenn man entsprechende Begriffe eingibt. Vielleicht beruhigt das manchen Online-Hypochonder dann ja. Ansonsten gilt: Zu Risiken und Nebenwirkungen befragen Sie am besten einen guten Arzt.

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