Überleben im Funkloch

Ulrich Weiner kämpft um seine Gesundheit. Es ist kein gefährliches Gift, das ihm zu schaffen macht, sondern hochfrequente Strahlung. Und die ist dort, wo man per Handy erreichbar ist. In Deutschland also fast überall. Eine Leidensgeschichte

VON TANJA GAUDIAN UND EVA STEGEN

Ulrich Weiner ist seit sechs Jahren auf der Flucht quer durch ganz Deutschland. Sein Leben ist unmittelbar bedroht, er hat sich nie etwas zu schulden kommen lassen, lebt von seinen Ersparnissen und erhält trotzdem nirgendwo Asyl oder Unterschlupf. Als er das erste Mal zusammenbrach, wusste der damals 24-jährige Funktechniker und erfolgreiche Jungunternehmer noch nicht, was ihm so zu schaffen machte. Heute ist es ihm klar und mittels ärztlichem Gutachten bestätigt: Ulrich Weiner ist hochgradig elektrosensibel.

Hochfrequente Funkstrahlung, wie sie von Handys, Mobilfunksendern, WLAN und Schnurlostelefonen ausgeht, hat ihn krank gemacht. Natürlich hielten ihn viele zunächst für einen Spinner, aber das konnte ein Psychologe ausschließen. Mittlerweile warnt sogar das Bundesamt für Strahlenschutz davor, Kinder mit dem Handy telefonieren zu lassen, da es Hinweise auf Gesundheitsgefahren gibt. Der 31-jährige Weiner, der mit 15 sein erstes Handy bekam, sagt dazu: „Ich bin das Kind.“

„Das kommt vom Stress“, meinte der Hausarzt, als Weiner 2001 über Kopfschmerzen, Sehstörungen, Konzentrationsprobleme und Übelkeit klagte. Die verordnete Ruhe half nicht. „Verdacht auf Hirntumor mit Schädigung des Sehzentrums“, diagnostizierte dann der Facharzt. Weiner fuhr einige Tage aufs Land – und erholte sich überraschend. Mit der Arbeit kamen auch die Symptome zurück. Am Frankfurter Flughafen brach er eines Tages zusammen und bat: „Fahrt mich einfach raus in den Wald.“ Da hatte er schon begriffen, dass es ihm besser ging, wenn er nicht schon morgens mobil telefonierte. Stets kehrte er an seinen Arbeitsplatz zurück, bis die Summe der Krankheitstage fast fünf Monate im Jahr ausmachte. 2003 schrieb der Arzt zum ersten Mal „Elektrosensibilität“ in das Attest, später dann „extreme Elektrosensibilität“. Seitdem ist Weiner auf der Flucht vor immer neuen Sendern.

Wer ihn im Südschwarzwald besucht, wo er mitten im Nichts in einem Wohnwagen lebt, trifft einen intelligenten, kontaktfreudigen und vitalen jungen Mann: „Das Leben als Einsiedler führe ich nicht freiwillig. Es ist zurzeit meine einzige Chance, zu überleben.“ Im strahlungsfreien Raum geht es ihm gut. Der Radius, in dem er sich bewegen kann, ist aber äußerst begrenzt. In der nahe gelegenen Ortschaft gehören Handys zum Alltag vieler. Dort kann sich Weiner lediglich kurz und nur im Strahlenschutzanzug aufhalten. „Der Mann im Astronautenanzug“ nennt ihn der Bürgermeister von St. Märgen.

Wenn es nach ihm ginge, könnte Weiner sofort eine Ausnahmegenehmigung für den Aufenthalt in „seinem Funkloch“ bekommen: „Solche Leute brauchen schließlich auch einen Rückzugsort.“ Diese zu erteilen, stehe aber nicht in seiner Macht, obwohl Weiner ihn längst gestellt hat. Überhaupt ist niemand für den elektrosensitiven Nomaden wider Willen zuständig. Seit Monaten schieben die Ämter Weiners Antrag hin und her. Der Förster hat ihn wegen Wildcampens angezeigt, das Amtsgericht Freiburg ein Bußgeld von 35 Euro verhängt. Weiner will das nicht zahlen, sondern die Erlaubnis, sich endlich legal an einem Ort niederlassen zu dürfen, an dem ihn die Mikrowellenstrahlung nicht tötet. Vor einigen Wochen erlitt er wieder einen Zusammenbruch: Da war ein neuer Sender von O2 in Betrieb gegangen, der genau in sein Funkloch gerichtet ist. Seither ist Weiner an seinen Wohnwagen gebunden und schläft unter doppelter Abschirmung. Sein Anwalt forderte den Betreiber auf, den Sender sofort abzuschalten, da Gefahr in Verzug sei. Der Betreiber aber kann sich nicht vorstellen, „dass irgendjemand unter dieser Anlage leidet“, und sieht keinerlei Handlungsbedarf. Eine Funknetzabdeckung von derzeit bundesweit 99,1 Prozent, wie die Betreiber angeben, scheint noch nicht zu genügen. Alle Funklöcher sollen gestopft werden, und handele es sich dabei, wie in diesem Fall, nur um einzelne Straßenabschnitte. Auch die Behörden reagierten wie immer: Keiner fühlte sich zuständig. Das Schreiben wurde vom Gesundheitsamt zur Unteren Naturschutzbehörde und von der Kommune zum Landratsamt weiter- und wieder zurückgereicht. Bis Weiner die Nachricht erhielt, die gesundheitlichen Auswirkungen des Mobilfunks seien noch nicht ausreichend belegt und man könne keinen Einfluss auf die Auswahl der Sender-Standorte nehmen. Niemand hielt es für nötig, das ärztliche Gutachten zu lesen oder sich vor Ort ein Bild von dem Gepeinigten zu machen.

Seit ein paar Tagen kann Weiner wieder besser schlafen. Das Aktionsbündnis AB Strahl, eine Gruppierung von Gesunden und Elektrosmog-Geschädigten, hat das „staatliche Vollzugsdefizit“ ausgeglichen, wie es deren Anwalt Frank-Ulrich Mann ausdrückt. Mitglieder verhängten den störenden Sender mit einer Aluminiumdecke, zur Strahlungsreduktion und zur Wiederherzustellung des Funklochs ihres Freundes. In der Presseerklärung von AB Strahl stand, man verpasse dem Sendemast ein „Kondom“. Beim Betreiber O2 ärgert man sich: „Diese Überschrift mit dem ‚Kondom für den Sender‘ ist nicht witzig, weil uns das ja schädigt“, und erwägt rechtliche Schritte. „Die Tatsache, dass man da zur Selbsthilfe greift, ist ja ein Verstoß gegen die Rechtsvorschriften“, so der Unternehmenssprecher.

Über einen ordentlichen Prozess würden sich die Aktivisten freuen, sehen sie sich doch im Kampf für Vorsorge und Minderheitenrechte als Hüter der Demokratie. In den USA findet ein solcher Kampf bereits statt. Dort sitzen sowohl die Mobilfunkindustrie wie auch die Gesundheitsbehörde auf der Anklagebank. Eine Frau hatte geklagt, ihr Gehirntumor sei auf den arbeitsbedingten Handygebrauch zurückzuführen – das Arbeitsgericht gab ihr Recht. Weitere Schadenersatzklagen sind vor dem Obersten Gericht anhängig.

Die Aktivisten in Süddeutschland fordern zunächst gesetzlich gesicherte Strahlenschutzgebiete, in denen Elektrosensitive ein menschenwürdiges Leben führen können. In Schweden gibt es die bereits. Dem steht hier aber die Bestrebung der Mobilfunkbetreiber entgegen, eine Vollversorgung per Funk sei zu gewährleisten. Und die Machtlosigkeit der Kommunen, die nicht nach gesundheitlichen, sondern nur nach baurechtlichen Maßgaben handeln dürfen.

Denn vor Gesundheitsschäden sollen uns die geltenden Strahlenschutzgrenzwerte bewahren, die in Deutschland weltweit die höchsten sind. Ulrich Weiner kritisiert: „Die Grenzwerte beziehen sich nur auf die Wärmewirkung der elektromagnetischen Strahlung, nicht aber auf die biologischen, die ich so deutlich spüre und die von der Industrie verleugnet werden.“ Tatsächlich sollen die Grenzwerte nur verhindern, dass sich der Körper mehr als um durchschnittlich ein Grad erwärmt. Aber auch diese Garantie ist fraglich, seitdem Forscher des Max-Planck-Instituts in Golm in Zellversuchen Temperaturspitzen von 100 Grad gemessen haben. Sofort messbar seien vor allem die Veränderungen im Blutfluss, erklärt eine Freiburger Ärztin. So verklumpten schon nach kurzen Telefonaten (auch bei „Passiv-Telefonierern“) die roten Blutkörperchen. „Dann können sie ihre vielfältigen Aufgaben nicht mehr voll erfüllen“, erklärt sie, „die Folge der vielfältigen Störungen des Mobilfunk können Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Unruhe, Tinnitus, Allergien oder Infektanfälligkeit sein.“ Wer in der Nähe eines Senders schlafe, habe außerdem oftmals einen niedrigen Melatoninspiegel und komme schlecht zur Ruhe.

In Deutschland reagieren laut einer Erhebung des Bundesamts für Strahlenschutz aus dem Jahr 2006 etwa 6 Prozent der Bevölkerung mit Krankheitssymptomen auf hochfrequente Strahlung, Tendenz steigend. Derzeit seien mehrere tausend Menschen auf der Flucht vor den Strahlen, so eine interne Studie des Amtes. Eine Minderheit, die wächst und in der vernetzten Welt immer weniger Schutzräume findet.