: „Die UN sind zu abhängig von Spenden“
Für Katastrophen wie Erdbeben in Kaschmir oder Hungersnöte in Niger ist die Reform des Nothilfefonds der Vereinten Nationen dringend nötig, sagt der Chef von Oxfam Deutschland, Paul Bendix. Hilfe wird möglich, bevor Not ausbricht
taz: Herr Bendix, die UN haben am Montag Kofi Ananns Reform des ständigen Fonds für Katastrophenhilfe gebilligt. Wozu brauchen wir diesen neuen Fonds?
Paul Bendix: Die verzweifelten und weitgehend erfolglosen Spendenaufrufe der UN für die Erdbebenopfer in Kaschmir haben gezeigt, dass eine Reform des ständigen Fonds dringend notwendig war. Je nach Notlage Geld zu sammeln funktioniert einfach nicht.
Warum nicht?
Die Vereinten Nationen sind bisher zu abhängig von der Spendenbereitschaft – viele Notfälle werden da nicht ausreichend bedacht. Zum Beispiel herrscht seit vielen Jahren Bürgerkrieg im Kongo und in Uganda. Und in der Krisenregion im sudanesischen Darfur sind mittlerweile etwa 200.000 Menschen gestorben. Doch Bürgerkriege und politische Wirren sind nur schwer durchschaubar, darum sind die Menschen weniger zum Spenden bereit als etwa bei einer Flutwelle – möglichst noch in einer bekannten Urlaubsregion –, für die niemand was kann.
Was hat den Anstoß für diese Reform des Fonds gegeben?
Die Hungerkatastrophe in Niger im Mai. Die Vereinten Nationen hatten die Ernteausfälle durch Heuschrecken schon Monate im Voraus kommen sehen und um Spenden gebeten. Die Resonanz war aber nur äußerst schwach. Die Heuschrecken zu bekämpfen hätte zehn Prozent des Geldes gekostet, das dann benötigt wurde, um die hungernden Menschen zu versorgen.
Was wird sich denn mit dem neuen Nothilfefonds künftig ändern?
Mit diesen Geldern könnte man zwei Strategien verfolgen: Zum einen könnten Notfälle, die sich abzeichnen, verhindert werden. Etwa bei Hungersnöten. Und bei Katastrophen, die nicht vorauszusehen sind, soll Hilfe die Menschen in drei oder vier Tagen erreichen. Heute ist es so: Viele UN-Spendenaufrufe erhalten innerhalb des ersten Monats nur etwa 30 Prozent der geforderten – und benötigten – Mittel. Bisher dauerte es oft drei bis vier Wochen, bis den Menschen geholfen wird. Zudem soll es mehr Geld für Katastrophen geben, die unterfinanziert sind.
Deutschland zögert bisher noch, in den neuen Fonds einzuzahlen. Warum?
Das hat zwei Gründe. Erstens ist es aus rechtlichen Gründen schwierig, Geld für diesen Zweck bereitzustellen, weil die Mittel nicht für eine bestimmte Katastrophe vorgesehen sind. Das zweite Problem ist die extrem angespannte Haushaltslage. Die Bundesregierung leistet eher über andere Foren Hilfe. So hat sie 8 oder 9 Millionen Euro für Hilfe im Erdbebengebiet in Kaschmir bereitgestellt. Diese Mittel kommen aus einem Fonds, der vom Außenamt verwaltet wird und für Nothilfe bei individuellen Katastrophen vorgesehen ist. Die Bundesrepublik sollte schnell die Voraussetzungen schaffen, um in den neuen Fonds einzuzahlen.
Die Bundesrepublik unterstützt die Vereinten Nationen doch traditionell. Warum jetzt diese Skepsis?
Die Deutschen sind an sich weiterhin multilateraler Hilfe sehr zugewandt und schließen auch in diesem Fall nicht aus, sich später zu beteiligen. Die Gründe sind tatsächlich rein finanzieller Natur. Bei den USA, die sich auch nicht beteiligen, ist das anders. Da hat die Regierung eine klare Abneigung gegen multilaterale Institutionen. Eingebaut ist die Bush-Regierung in etwa wie folgt: Die USA sollen sich um ihre Interessen kümmern, und das können sie am besten, wo sie alles voll unter Kontrolle haben, und das haben sie im UN-System natürlich nicht.
Anvisiert sind Spendenzusagen für den Fonds in Höhe von einer halben Milliarde Dollar. Bisher haben UN-Mitgliedsländer nur 187 Millionen Dollar zugesagt, also nicht einmal die Hälfte der Menge. Welche Länder unterstützen den neuen Fonds denn besonders?
Gemessen am Bruttonationaleinkommen hat Irland besonders viel versprochen, mehr als den angemessenen Anteil haben auch Großbritannien, die Skandinavier, Luxemburg, die Niederlande und die Schweiz zugesagt. Gar nicht beteiligen wollen sich außer Deutschland und den USA auch noch Italien und Frankreich.
Offenbar sind die kleinen Länder eher motiviert, in den neuen Fonds einzuzahlen, als die großen …
Natürlich, es gilt ja generell, dass die kleinen Länder der multilateralen Hilfe eher zugeneigt sind, große Staaten verfolgen auch immer nationale Interessen. Zum Beispiel ist der höchste Betrag an Hilfsgeldern pro Kopf in den letzten Jahren in den Irak geflossen, das können wir in Studien belegen. Dies ist mindestens das Zehnfache dessen, das im selben Zeitraum etwa der Kongo erhalten hat, und ist vollkommen unverhältnismäßig. Genau deshalb brauchen wir ja auch den neuen Fonds.
INTERVIEW: ANNETTE LEYSSNER
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