: Was die UNO in Tunesien nicht sehen will
Das Gastland des Weltinformationsgipfels ist einer der globalen Spitzenreiter bei der Unterdrückung des Rechts auf Informationsfreiheit und anderer Bürgerrechte. Im Vorfeld des UN-Treffens treten Oppositionelle in den Hungerstreik
VON REINER WANDLER
„Es wäre zum Lachen, wenn die Situation nicht so dramatisch wäre“, heißt es in einer Erklärung von Reporter ohne Grenzen zur Entscheidung der UNO, ihren heute beginnenden Weltinformationsgipfel ausgerechnet in Tunesien abzuhalten. Denn der Kongress in der Hauptstadt Tunis wird etwas diskutieren, was den Bewohnern des mediterranen Urlaubsparadieses von Präsident Zine al-Abedine Ben Ali systematisch verwehrt wird: der ungehinderte Zugang zum Internet und ein Recht auf freie Information für alle.
Eine freie Presse gibt es in Tunesien nicht. Das Internet wird gefiltert: über 60 Webseiten können von Tunesien aus nicht aufgerufen werden. E-Mails werden überprüft. Die Cybercafés unterstehen einer strengen Kontrolle. Wer auf die Idee kommt, kritische Informationen ins Netz zu stellen, kann im Gefängnis enden – wie Zouhair Yahyaoui, der Webmaster von www.tunezine.com, der 2002 wegen „Präsidentenbeleidigung“ für 18 Monate hinter Gitter musste.
Wer oppositionelle Webseiten besucht, lebt gefährlich. So wurden vor einem Jahr sieben Studenten unter dem Vorwurf, Mitglieder von al-Qaida zu sein, zu 13 Jahren Haft verurteilt. Ihr einziges Vergehen: Internet-Surfen.
„Die Bürgerrechtsorganisationen in Tunesien hatten gehofft, dass sich mit der Ausrichtung des Weltinformationsgipfels der Spielraum vergrößern würde“, erklärt die Journalistin Sihem Bensedrine. „Tatsächlich hat sich die Situation verschärft.“ Bensedrine, die heute mit einem Stipendium in Hamburg lebt, unterhält die oppositionelle Webseite www.kalimatunisie.com und ist Sprecherin des Nationalen Rats für Freiheit in Tunesien (CNLT). Auch sie bekam es immer wieder mit dem Regime Ben Alis zu tun. Nach einer Reise nach Frankreich, wo sie einen Vortrag über die Lage in ihrem Land gehalten hatte, wurde sie auf dem Flughafen in Tunis verhaftet und wegen „Diffamierung“ zu zwei Monaten Haft verurteilt. Als die Gewinnerin des Johann-Philipp-Palm-Preises für Meinungs- und Pressefreiheit danach immer noch keine Ruhe gab, lauerten ihr Zivilpolizisten auf und verprügelten sie auf offener Straße.
Bensedrine ist keine Ausnahme. Die unabhängige Journalistengewerkschaft SJT beschwert sich in ihrem Jahresbericht über „Einschüchterung“, „Diffamierung“, „Denunziation“, von den Behörden „diktierte“ Artikel sowie „individuelle Quälereien“ von Journalisten. Die SJT ist bis heute genauso wenig zugelassen wie Bensedrines CNLT. Und selbst für legale Organisationen wie die tunesische Liga für Menschenrechte (LTDH), die älteste Organisation ihrer Art im arabischen Raum, wird es immer enger. Im September verhinderten die tunesischen Gerichte, dass die LTDH ihren Kongress in Tunis abhält. Sie beschuldigt das Regime Ben Alis immer wieder der Folter und verlangt die Freilassung der über 500 gewaltfreien politischen Gefangenen. Um im Rahmen des UN-Gipfels mehr Aufmerksamkeit auf diese Zustände zu lenken, befinden sich sieben Oppositionelle seit dem 18. Oktober in einem unbefristeten Hungerstreik. Sie fordern ein Ende der Zensur, die Anerkennung aller Parteien und Verbände sowie die Freilassung der politischen Gefangenen. Dabei heben sie den Fall des Anwaltes Mohammed Abbou hervor. Abbou war vergangenen März zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Auch er hatte zu viel Freude am Internet. Unter www.tunisnews.com klagte Abbou Folter in seiner Heimat ab.
Unter den Hungerstreikenden befinden sich mehrere Menschenrechtsanwälte sowie der Chef der Journalistengewerkschaft SJT, Lotfi Hajji. Die Hungerstreikenden sind mittlerweile sehr geschwächt. Doch das Regime denkt nicht daran, mit ihnen in Kontakt zu treten. Eine Solidaritätskundgebung am vergangenen Wochenende in der Innenstadt von Tunis wurde auseinander geprügelt. „Alle Wege des Dialogs sind völlig blockiert. Die Machthaber wissen nicht anders als mit Gewalt zu antworten“, beschwert sich Sana Benachour, die Vorsitzende des Komitees zur Unterstützung des Hungerstreiks.
Selbst ausländische Korrespondenten, die zum UN-Gipfel angereist sind, erfahren Gewalt: Ein Reporter der französischen Tageszeitung Libération und ein Team des belgischen Fernsehens wurden auf der Straße angegriffen und zusammengeschlagen.