Trotzkisten gründen Partei: Französische Linke erfindet sich neu

Trotzkisten wollen an diesem Wochenende eine neue Partei gründen. Angesichts guter Ergebnisse bei den letzten Wahlen und wachsender sozialer Proteste ist der Zeitpunkt günstig.

Früher Briefträger - heute Vorsitzender der NPA: Olivier Besancenot. Bild: dpa

PARIS taz Die permanente Revolution hat ausgedient. An ihre Stelle tritt "das Beste aus Arbeiterbewegung, Antikapitalismus und Feminismus". So hat es die größte trotzkistische Partei Europas entschieden. Am Donnerstag löste sich die Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) in Saint-Denis bei Paris auf. Am Freitag werden die Mitglieder der alten Kaderorganisation eine Partei der modernen Bewegungslinken gründen. NPA soll sie heißen: Nouveau Parti Anticapitaliste. Beim Start wird sie 9.000 Mitglieder haben - mehr als dreimal so viele wie ihre Vorgängerorganisation.

Zwei Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer und dem Zusammenbruch der "bürokratisierten Arbeiterstaaten" ziehen damit auch die langjährigsten innersozialistischen Gegner des Stalinismus eine organisatorische Konsequenz. Sogar ihr jahrzehntealtes weltweites Netzwerk, die Vierte Internationale, wollen sie verlassen.

Die Idee hatten die französischen Trotzkisten schon Anfang der 90er-Jahre. Damals diagnostizierten sie eine "neue Epoche" und den Bedarf eines "neuen Programms". 1992 entstand ein möglicher Name: "breite antikapitalistische Partei". Doch erst der neue Chef an der Spitze der LCR, der Briefträger Olivier Besancenot, setzte die Idee in die Tat um. Direkt nach seinem Erfolg bei den letzten Präsidentschaftswahlen im Jahr 2007 kündigte der derzeit populärste Politiker der französischen Linken an, dass er die NPA vorbereiten werde.

Er will eine Partei, die "antikapitalistisch und 100 Prozent unabhängig ist". Letztere Abgrenzung bezieht sich vor allem auf die sozialdemokratische PS. Alle anderen Organisationen der französischen Linken sind heutzutage schwächer als die LCR.

Seit Besancenots Startschuss 2007 haben sowohl die alte LCR als auch zahlreiche "antiliberale Kollektive", deren Mitglieder nicht unbedingt zur LCR gehörten, die Parteineugründung vorbereitet. In der LCR, die ohne ihre Selbstauflösung im kommenden April ihr 40-jähriges Bestehen gefeiert hätte, sprach sich zuletzt nur noch eine winzige Minderheit gegen den Schritt aus. "Wir machen einen schweren Fehler, indem wir uns zu einer Partei der Kämpfe erklären", sagt der Alttrotzkist Gilles Suze. Sein Genosse Christian Picquet mahnte vor einem "Liquidierungkongress".

Derweil organisierten die "antiliberalen Kollektive" alle möglichen Aktionen, um auf die kommende neue Partei aufmerksam zu machen. So organisieren die Kollektive jeden letzten Samstag ein "Picknick im Supermarkt". Sie stellen einen Tisch zwischen die Regale und fordern die Kunden auf, gratis zu essen: aus Protest gegen das "teure Leben" und die sinkende Kaufkraft.

Der Zeitpunkt für die Neugründung ist günstig. Die LCR ist die einzige größere linke Partei Frankreichs, die bei Wahlen dazu gewonnen hat. Bei den Präsidentschaftswahlen von 2002 bekam Besancenot, der zum ersten Mal antrat, 1,2 Millionen Stimmen. Im Jahr 2007 stimmten 1,5 Millionen Wähler für ihn. Gleichzeitig sind im Augenblick die sozialen Protestbewegungen in Frankreich, an denen vielerorts Trotzkisten beteiligt sind, stark. Auch die den Trotzkisten nahestehende Gewerkschaft SUD befindet sich im Aufschwung. Und schließlich dienen die Europawahlen im Juni als Möglichkeit, die Popularität der neuen Partei erstmals auch in den Urnen zu testen.

Zahlreiche linke Organisationen in Frankreich - darunter Kommunisten und Linksabweichler der PS sowie kleinere trotzkistische Organisationen, die keine Selbstauflösung vorhaben - überlegen, bei den Europawahlen mit einer gemeinsamen Liste anzutreten. Ob sich auch die NPA daran beteiligen wird, darüber muss unter anderem der Kongress entscheiden, der von Freitag bis Sonntag in Saint-Denis tagt. Besancenot, der bei sozialen Konflikten das gemeinsame Kämpfen propagiert, hat sich bisher skeptisch gezeigt.

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