Erfolgreiche Sabotage

AUS DUBLIN RALF SOTSCHECK

Der Direktor der Oxford University ist empört. Er hat Post bekommen. „Wir sind stärker und entschlossener als ihr, und wir werden niemals aufgeben“, heißt es darin. „Wenn wir jeden Quadratzentimeter eures Eigentums zerstören müssen, um die profitorientierte Quälerei wehrloser Kreaturen zu stoppen, werden wir es tun.“ Absender: die „Brandstifter-Gruppe Oxford“. Die hatte gerade versucht, den Sportkomplex der Universität abzufackeln. Das war Ende September.

Die Universität plant in der Innenstadt ein Tierversuchslabor zu bauen. „Wir sind weiterhin entschlossen, das neue biomedizinische Labor fertig zu stellen, um die bestehenden Einrichtungen zu ersetzen“, heißt es in einer Presseerklärung. „Die Drohungen sind völlig inakzeptabel.“

Bereits im Juli hatte die militante Animal Liberation Front (ALF), die wohl auch hinter der „Brandstifter-Gruppe“ steckt, ein Bootshaus der Universität angezündet. 24 Ruderboote, mit denen die Studenten für das jährliche Rennen gegen die Rivalen aus Cambridge trainieren, gingen in Flammen auf. Der Schaden betrug eine halbe Million Pfund. Im September legte ALF einen Brandsatz vor das Haus des Chefbuchhalters von GlaxoSmithKline (GSK), Paul Blackburn. GSK ist Kunde des Tierversuchslabors Huntingdon Life Sciences, das schon seit Jahren Zielscheibe der Tierschützer ist. „Wir wissen, wer eure leitenden Angestellten sind und wo sie wohnen“, schrieb ALF an den Konzern. „Wir kommen wieder, um die Tiere von Huntingdon zu rächen.“

Tierschutz war in Großbritannien schon immer ein emotionaleres Thema als in anderen europäischen Ländern. Früher kümmerte sich darum die „Königliche Gesellschaft zur Verhinderung von Tierquälerei“, eine Art Caritas für Tiere, die sich auch heute noch ausgesetzten Tieren annimmt. Politisch, aber friedlich, ist Peta. „People for the Ethical Treatment of Animals“ (Peta) ist mit 800.000 Mitgliedern die größte Tierschutzgruppe der Welt und erregte durch ihre Aktionen gegen Pelzmäntel Aufmerksamkeit. Für die eigentlichen Schlagzeilen sorgt jedoch die militante Animal Liberation Front.

Angriffsziele Häfen

Ihre neuen Angriffsziele sind die Universität und Glaxo. In der Vergangenheit waren es die Londoner Flughäfen Heathrow und Gatwick sowie Seehäfen wie Dover und Folkestone, weil dort die Versuchstiere aus dem Ausland eintreffen. Die Kampagne wirkte: British Airways stellte den Transport lebender Tiere ein. ALF-Mitglieder sollen sogar dem Premierminister von Mauritius gedroht haben, Tourismus und Zuckerindustrie der Insel zu sabotieren, falls das Land weiter Tiere an Versuchslabore liefert.

Reisebüros, die Reisen nach Mauritius verkaufen, wurden ebenfalls bedroht. Die Militanz hat inzwischen Ausmaße wie in den USA erreicht. Im Zuge der Terrorismusdebatte nach den Anschlägen vom 11. September gerieten in Großbritannien auch Organisationen wie ALF stärker ins Visier der Regierung. Sie richtete eine „Nationale taktische Extremismus-Koordinierungseinheit“ ein, die für eine reibungslose Zusammenarbeit der verschiedenen Polizeieinheiten sorgen soll – auch beim Kampf gegen militante Tierschützer.

Im Februar verabschiedete das Unterhaus ein Gesetz, das es untersagt, vor Privathäusern von Angestellten zu demonstrieren. Darüber hinaus können Bannmeilen gegen Tierschützer verhängt werden, wenn sie versuchen, legale wirtschaftliche Aktivitäten – wie Tierversuche – zu verhindern. Die neuen Gesetze seien notwendig, argumentierte die Regierung, weil die Tierschützer bis dahin Anklagen aufgrund bestehender Gesetze geschickt umgangen haben.

Rettet die Meerschweine

Nach den Londoner Anschlägen vom Juli ratifizierte das Parlament ein Gesetz gegen Hassprediger, das im September erstmals auch gegen einen Tierschützer angewandt wurde. Dem Philosophieprofessor Steven Best von der University of Texas wurde die Einreise verweigert. Bei seinem letzten Besuch zwei Monate zuvor hatte Best gesagt: „Wir sind eine wirtschaftliche und philosophische Bedrohung. Unsere Macht ist nicht unsere Wahlstimme, sondern die Macht, die Produktion zu stoppen. Wir werden Gesetze brechen und Eigentum zerstören, bis wir gewonnen haben.“ Das Einreiseverbot quittierte Best mit der Feststellung, Großbritannien sei „ein faschistischer Polizeistaat“.

Best wollte in Großbritannien eigentlich den Sieg gegen eine Meerschweinchenfarm feiern. Denn John Hall und sein Bruder Christopher haben resigniert. Zum Jahresende wollen sie ihre Darley Oaks Farm, auf der Meerschweinchen für Versuchslabore gezüchtet werden, schließen. Sechs Jahre Terror hatte sie zermürbt. Sie erhielten Hassbriefe und telefonische Drohungen, ihre Farm wurde mit Feuerwerkskörpern beschossen und versucht, in Brand zu stecken, ihre Autos zerstört und John Hall schließlich der Pädophilie bezichtigt. Seine Tochter, eine Ärztin, musste die Stadt verlassen, nachdem ein ALF-Kommando ihre Wohnung in Bristol zertrümmert hatte. Höhepunkt der Kampagne: Vor einem Jahr wurde die Urne mit der Asche von Christopher Halls Schwiegermutter von einem Friedhof gestohlen.

Als die Polizei im Sommer eine Bannmeile verhängte, die lediglich hundert Meter um die Darley Oaks Farm betragen sollte, platzte John Hall der Kragen. „Wir werden uns jetzt wieder den traditionellen Aufgaben eines Bauern widmen, aber zufrieden bin ich nicht“, sagte er. „Am liebsten würde ich 30 von den Typen erschießen. Die sind in Zellen organisiert, wie die Irisch-Republikanische Armee.“ Die Regierung reagierte wütend auf die Nachricht, die Meerschweinchenfabrik zu schließen. „Es darf nicht hingenommen werden, dass eine kleine Minderheit von Extremisten Angst verbreitet, um zu verhindern, dass Menschen ihrem legitimen Geschäft nachgehen“, sagte ein Regierungssprecher.

Ian Gibson vom wissenschaftlichen Ausschuss des Unterhauses, eine treibende Kraft hinter der Gesetzesverschärfung gegen militanten Tierschutz, fügte hinzu: „Dies zeigt, wir müssen noch wachsamer sein, um solche Sachen in Zukunft zu verhindern.“ Der Tory-Abgeordnete Michael Fabricant, in dessen Wahlkreis Darley Oaks liegt, bezeichnete ALF als „Tierschutzterroristen“. Er sagte: „Es ist ein trauriger Tag, wenn Terrortaktiken Erfolg haben, Recht und Ordnung in unserem Land versagen.“

Mehr als 500 führende britische Wissenschaftler haben inzwischen eine Erklärung unterzeichnet, in der sie sich für Tierversuche in der medizinischen Forschung aussprechen. Sie fürchten, dass die Schließung von Darley Oaks ernste wirtschaftliche Folgen für Großbritannien haben könnte. „Diese Leute sorgen dafür, dass man in Großbritannien keine klinisch relevante Forschung mehr betreiben kann“, sagte Roger Morris, der am Londoner Kings College über die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit forscht. Simon Festing von der „Gesellschaft zur Verteidigung der Forschung“ erinnerte daran, dass Versuche mit Meerschweinchen zu immerhin 23 Medizin-Nobelpreisen geführt haben. „Wir Forscher werden Regierung und Polizei weiterhin unterstützen, gegen diese Tierschutzterroristen vorzugehen.“

Labour: Versuche wichtig

Aber das reicht offenbar nicht. Die Labour-Partei hat in ihrem Wahlmanifest 1997 versprochen, eine Debatte über Tierversuche anzustoßen. Man müsse die Menschen davon überzeugen, dass solche Versuche wichtig sind, wenn es keine anderen Methoden zum Test von Medikamenten gibt, hieß es damals. Diese Debatte lässt noch immer auf sich warten – und nicht nur das: Zwar hat die Regierung im Sommer einem Institut, das sich um Alternativen zu Tierversuchen bemüht, eine Million Pfund Zuschüsse bewilligt, Peanuts im Vergleich zum Milliardengeschäft mit Medikamenten, eine umstrittene EU-Direktive hat man jedoch widerspruchslos hingenommen.

Diese Direktive tritt noch 2005 in Kraft und besagt, dass Präparate, die vor 1980 auf den Markt gekommen sind, erneut durch Tierversuche überprüft werden müssen. So viele Versuchstiere gibt es gar nicht. Experten halten dies außerdem für überflüssig, da in den meisten Fällen bereits genügend neues Forschungsmaterial vorliegt, das genutzt werden könnte, ohne neue Versuche durchzuführen.

ALF wird daher weiterkämpfen. Ihre Arbeit ist durch das Internet enorm erleichtert worden. Aktivisten können nun viel leichter koordiniert werden, Verbindungen von Tierversuchsfirmen zu bestimmten Unternehmen lassen sich leichter recherchieren. Und zudem kann man im World Wide Web Erfolge wie die Schließung der Darley Oaks Farm feiern. „Dieser siegreiche Tag ist ein Beweis für die Macht der Tierschutzbewegung“, heißt es auf der Website von „Arkangel“, einem Onlineforum militanter Tierschützer. „Wir werden niemals aufhören, die Schuldigen anzugreifen.“