Raúl Castro tauscht Minister aus: Das große Stühlerücken

Ein Jahr nach seiner Amtseinführung bringt die wirtschaftlich desolate Lage Kubas Staatschef Raúl Castro in Zugzwang. Gleich elf zentrale Posten hat Raúl Castro neu besetzt.

Einer der prominenten scheidenden Minister ist Außenminister Felipe Pérez Roque (links) - ein bekennender Fidelista. Bild: ap

Die Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Lateinamerika und die Karibik, Cepal, schätzt das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in Kuba für 2008 auf 4,3 Prozent, 2007 waren es noch 7,3 Prozent. Ursache dafür waren unter anderem die Hurrikane "Gustav", "Ike" und "Paloma", die Schäden in Höhe von 10 Milliarden US-Dollar angerichtet haben. In Kuba gibt es zwei Währungen: den Peso nacional und den am Dollar orientierten konvertiblen Peso ("Cuc"). Ein Cuc kostet derzeit 25 Pesos nacionales, der monatliche Durchschnittslohn beträgt 417 Pesos nacionales (rund 20 Euro).

Der Ökonom und Journalist Oscar Espinosa Chepe attestiert der kubanischen Volkswirtschaft ein extremes Ungleichgewicht in der Handelsbilanz. Den Exporten von 3,7 Milliarden stehen Importe von rund 14,5 Milliarden US-Dollar gegenüber. Das Loch in der Bilanz wird zumindest rein rechnerisch durch den Tourismus und die Auslandseinsätze von Spezialisten in Venezuela und Bolivien gestopft. Unter dem Strich ist die Regierung von Raúl Castro allerdings klamm wie lange nicht mehr. Die Auslandsschulden Kubas liegen laut Cepal bei 9,9 Milliarden US-Dollar. TAZ

Als Marino Murillo Jorge im Dezember letzten Jahres vor das kubanische Parlament trat, um die Abgeordneten über die ökonomische Großwetterlage zu informieren, da war sein Gesicht vielen Parlamentariern noch vollkommen unbekannt. Gestern wurde der Minister des Binnenhandels ins Wirtschaftsministerium geholt. Seine Berufung ist Teil des großen Stühlerückens im kubanischen Kabinett. Gleich elf zentrale Posten hat Raúl Castro neu besetzt.

Einer der prominenten scheidenden Minister ist Außenminister Felipe Pérez Roque - ein bekennender Fidelista. Roque, der seine politische Karriere einst als persönlicher Sekretär Fidel Castros begann und seit 1999 Kubas oberster Diplomat war, wird durch die Nummer zwei des Ministeriums, Bruno Rodríguez Parrilla, ersetzt. In der Vergangenheit war das Amt zumeist nach politischen Kriterien vom Chefkommandanten, Fidel Castro, vergeben worden. Als ehemaliger UN-Botschafter gilt Parrilla jedoch nicht als politisches Schwergewicht des kubanischen Establishments.

Carlos Lage schon. Der Kinderarzt gehört seit Beginn der 90er-Jahre zur Führungsriege in Havanna und war der Architekt der moderaten ökonomischen Öffnung Mitte der 90er-Jahre. Danach verschwand der heute 57-Jährige aus dem politischen Rampenlicht - bis er von Fidel Castro höchstpersönlich am 31. Juli 2006 wieder in die Führungsriege um Raúl Castro bestellt wurde.

Für Wayne Smith, den ehemaligen Leiter der US-Interessensvertretung in Havanna und anerkannten Kubaspezialisten, ist Lage längst die "rechte Hand Raúls". Doch auch Lage muss Federn lassen, denn als Sekretär des Exekutivkomitees des Ministerrats wurde er durch General José Amado Ricardo Guerra ersetzt. Eine Konzessionsentscheidung, denn nach außen gilt es, das Gleichgewicht im politischen Establishment der Insel und somit das Andenken Fidel Castros zu wahren. Der hatte schließlich die zentralen Figuren im Juli 2006 vom Krankenbett aus bestimmt.

An diesem fein gesponnenen Gleichgewicht der Kräfte hatte Raúl Castro auch nach seiner offiziellen Amtsübernahme nicht ernsthaft gerüttelt. Drei neue Minister berief er seit Juli 2006 - doch mit den sich verschärfenden wirtschaftlichen Problemen steigt auch der Reformdruck.

Wirtschaftswissenschaftler Omar Everleny Pérez konstatierte schon zum Jahresende 2008, dass die finanziellen Reserven Kubas längst aufgebraucht seien. Ein wesentlicher Grund, weshalb nicht nur im Wirtschafts-, sondern auch im Finanz- und Arbeitsministerium neue Gesichter am Schreibtisch sitzen. Nach über zwei Jahren des Zögerns und unerfüllter Ankündigungen scheint es, als käme jetzt Bewegung in die wirtschaftlichen Reformen Kubas. Das hofft zumindest Armando Nova, der die im Sommer letzten Jahres verabschiedete Agrarreform als "Schlag ins Wasser" bezeichnet. Strukturelle Defizite müssen beseitigt werden, rät der Agrarexperte. Raúl Castro verspricht schon lange schlankere Strukturen, weniger Zentralisierung und mehr Effizienz - in den 90er-Jahren baute er die Armee zur effizientesten Institution Kubas um. Viele Protagonisten dieses Umbaus sitzen heute in der Regierung - der Brigadegeneral Salvador Pardo Cruz, der seit Montag der eisenverarbeitenden Industrie vorsteht, der Brigadegeneral José Amado Ricardo Guerra, der im Staatsrat fortan bei ausländischen Investitionen mitreden wird, und Agrarminister Ulises Rosales - ebenfalls ein General. Raúl schafft somit nichts Neues, sondern umgibt sich mit denen, die auch die Armee mit reformierten. Sie sollen es nun landesweit richten und den Karren wieder flottmachen.

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