Ceylans Film "Drei Affen": Schuld und Schande

Jedes Bild eine Perle: "Drei Affen" von Nuri Bilge Ceylan studiert die Zerrüttungen in einer türkischen Kleinfamilie.

Regisseur und Schauspieler von "Drei Affen" auf dem Filmfestival in Cannes 2008: (von links) Ercan Kesal and Yavuz Bingol, Regisseur Nuri Bilge Ceylan, Hatice Aslan and Ahmet Rifat Sungar. Bild: dpa

Ein junger Mann. Schmal, verschlossen, brennender Blick. Und seine Mutter. Immer noch schön, traurig, umschattete Augen. Sie stehen voreinander und sagen kein Wort. Einen Augenblick später schlägt der Sohn zu. Nur die beiden wissen warum. Die Wucht seines stummen Vorwurfs lässt sich nicht mehr zurücknehmen. Schon jetzt ist klar, nichts wird wieder ganz oder gut. Nichts wird sich zu einer Versöhnung fügen oder auch nur zu einer gemeinsamen Geschichte. Vereinzelter als die Figuren in den Dramen von Nuri Bilge Ceylan ist im Kino kaum ein Geschöpf gewesen. Vielleicht noch bei Tarkowski, Bergman und natürlich bei Ceylans filmästhetischem Übervater Antonioni.

Sohn, Mutter, Schlag. So in etwa soll sie ausgesehen haben, die erste Szene, die Nuri Bilge Ceylan im Kopf hatte, bevor ihm die übrigen von "Drei Affen. Nichts hören - nichts sehen - nichts sagen" einfielen. Der Film erzählt von einer in Schuld verstrickten Familie, die zu ihrer eigenen Auflösung am Ende nicht einmal mehr äußerliche Aggressoren, nicht einmal die Ausbeutung und Erniedrigungen vom Chef benötigt.

Das ganze Drama beginnt mit einem schrecklichen Unfall. Mit einem von Müdigkeit leergeräumten Blick. Nachts auf einer Landstraße. Es regnet. Das Auto des Politikers Servet (Ercan Kesal) überfährt einen Fußgänger. Doch Servet bleibt nicht stehen, er ruft auch keinen Krankenwagen, er gibt Gas. Das Unglück passt nicht in seine Karrierepläne. Er überredet seinen Fahrer Eyüp (Yavuz Bingöl) sich an seiner Stelle schuldig zu bekennen und für neun Monate ins Gefängnis zu gehen. Im Gegenzug soll Eyüps Familie eine große Stange Geld erhalten. Während der Haftzeit beginnt Eyüps Frau Hacer (Hatice Aslan) eine Affäre mit Servet. Eine Verbindung, in der sich Abhängigkeit, Mitwissertum und Schuld in einer bizarren Lust entladen, die eher etwas von einer Selbstbestrafung als von Leidenschaft hat. Ganz so als verhänge diese Liaison zur Tatzeit des Fremdgehens zugleich ein hartes Urteil über die eigene Schande.

"Drei Affen" ist ein, für den türkischen Film, der in seinen melodramatischen Massenproduktionen zumeist das wortreiche Außer-sich-Geraten zelebriert, außergewöhnliches filmisches Schweigemonument geworden. Ein Melodrama der tragischen Absencen und ausgelassenen Dialoge. Stattdessen liegende, stehende, sitzende Einzelkörper vor ins Abstrakte gezogenen Unschärfen. Vor Hintergründen, in denen sich gleichgültig Tag und Nacht, Winter und Sommer abwechseln. In einem bleichgesichtigen und wie durch eine Neutronenbombe anonymisierten Istanbul, das man so noch nie gesehen hat.

Seit "Uzak" (2003) und "Jahreszeiten" (2006) avancierte Nuri Bilge Ceylan auch auf den Festivals in Westeuropa zum legitimen Nachfolger großer türkischer Regisseure wie Erden Kiral ("Eine Saison in Hakkari") oder Yilmaz Güney ("Yol"). Mit seiner ikonografischen Strenge und unbeirrbaren Stilsicherheit macht er regelmäßig auf sich und seine fotografische Kunst aufmerksam. Wie in den Vorgängern wirken die Einstellungen auch in "Drei Affen" wie von Punkt zu Punkt montiert. Von Ursache zu Wirkung, und manchmal ist es umgekehrt. Dann sieht man erst den Effekt, das Ergebnis, die Reaktion, bevor man ihren Grund erfährt: Die bodenlose Traurigkeit, die Hacer in den Augenlidern hängt, die Schuld, die ihre Schultern zusammenstaucht, die Perspektivlosigkeit, die ihre Schritte so schwer machen.

Jedes Bild ist bei Ceylan eine Perle. Nacheinander aufgereiht ergeben sie jedoch einen Film, der einem mit seiner Kunstfertigkeit gelegentlich zu erschlagen droht. Scherenschnitt-Porträts vor Vorhängen, an denen der Wind und mit ihm die Zeit zerren. Eine nackte Frau, deren Körper aus den Falten der Bettdecke herausgemeißelt scheint. Alles wird bei Ceylan so sehr zur Skulptur, dass das Auge sich bei so viel Manier unweigerlich auf die Reise nach dem Unbeabsichtigten, einem übersehenen Detail, einem Fehler im System begibt.

Doch nichts Kleines ist hier wirklich klein, nichts zufällig oder auch nur geduldet. Keine Nuss, keine Fliege, kein Schuh liegt herum, der nicht auf irgendeine verschnörkelte Weise die Beziehungen oder Zerrüttungen zwischen den Figuren kommentiert. Und das macht die "Drei Affen" leider schnell zu einer anstrengenden Demonstration ästhetischer Formelhaftigkeit.

"Drei Affen". Regie: Nuri Bilge Ceylan. Mit Ercan Kesal, Yavuz Bingöl, Hatice Aslan. Frankreich/Italien/Türkei 2008, 109 Min.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.