Gute Banken und toxische Papiere: Ein Vorschlag zur Bankensanierung

Mit ihrem Milliardenprogramm macht die US-Regierung das Gegenteil dessen, was ein Wirtschaftsnobelpreisträger aus den USA empfiehlt. Überlegungen

Joseph E. Stiglitz, verzweifelt. Bild: ap

Auch Alan Greenspan, der ehemalige Chef der US-Notenbank, ist inzwischen der Meinung, dass die Verstaatlichung von Banken notwendig werden könnte. Nichts zeigt deutlicher, dass sich das Finanzsystem in einer verzweifelten Situation befindet. Und dass es im Grunde nur eine Lösung gibt: die Überführung unseres Banksystems in staatliche Regie, etwa nach der Methode, die Norwegen und Schweden in den 1990er-Jahren praktiziert haben. Und zwar rasch, bevor noch mehr staatliche „Rettungsgelder“ verpulvert werden.

Die US-Banken leiden heute nicht einfach nur an mangelnder Liquidität. Vielmehr sind sie nach Jahren professioneller Waghalsigkeit – etwa bei Operationen mit riskanten subprime-Krediten und hochspekulativen Derivaten - so gut wie bankrott. Wenn sich unsere Regierung an die Regeln halten würde, nach denen eine Bank mit unzureichender Kapitalausstattung dicht machen muss, wären viele, wenn nicht die meisten Banken am Ende.

Aber da sie dank laxer Aufsichtsregeln nicht gezwungen sind, sämtliche Aktiva zu aktuellen Marktpreisen auszuweisen, können sie die Kapitalisierungsanforderungen nominell vielleicht noch eine Zeitlang erfüllen.

Kein Mensch weiß, wie groß das Loch in den Bilanzen ist. Die einen schätzen es auf zwei oder drei Billionen Dollar, andere auf noch mehr. Die entscheidende Frage lautet: Wer wird diese Verluste tragen? An der Wall Street wünscht man sich nichts lieber als einen stetigen Zufluss von Steuergeldern. Die Erfahrungen in anderen Ländern zeigen freilich, dass die Kosten für den Staat ins Gigantische wachsen können, wenn die Finanzmärkte das letzte Wort behalten.

Länder wie Argentinien, Chile und Indonesien haben für die Rettung ihrer Banken 40 Prozent oder mehr ihres jährlichen Bruttoinlandprodukts (BIP) ausgegeben. Im Fall der USA könnte sich herausstellen, dass die 700 Milliarden Dollar, die für die Rettung der Banken bislang bereit gestellt wurden, gerade mal als kleine Anzahlung ausreichen.

Die Frage, wie teuer die Rechnung wird, ist im Fall USA besonders wichtige, weil die öffentliche Gesamtverschuldung in der Bush-Ära von 5,7 Billionen auf über 10 Billionen Dollar angewachsen ist. Wenn die Obama-Regierung nicht aufpasst, verzehren die Ausgaben für die Rettung der Banken die Gelder für andere wichtige Regierungsvorhaben, zum Beispiel für die geplante allgemeine Sozialversicherung oder für technologische Zukunftsinvestitionen.

In der Umweltökonomie gibt es bekanntlich das Verursacherprinzip. „Wer den Dreck produziert hat, zahlt“ lautet die Regel. Die US-Banken haben die Weltwirtschaft mit ihren toxischen Abfallprodukten verdreckt. Deshalb muss man sie nach den Prinzipien von Billigkeit und Effektivität dazu zwingen, jetzt oder später für die Beseitigung des Drecks aufzukommen. So lange bei den Akteuren im Finanzsektor das Gefühl herrscht, dass man sie vor allen möglichen – inklusive der von ihnen selbst fabrizierten – Katastrophen bewahren wird, haben wir ein moral hazard-Problem.(1) Nur wenn garantiert ist, dass der Banksektor für die Kosten seines Handelns aufkommen muss, wird er seine Effizienz wieder gewinnen.

Die im Bankensektor gemachten Fehler kosten uns nicht nur die 700 Milliarden Dollar für den Rettungsplan. Hinzu kommen die fast 3000 Milliarden Dollar, um die das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der USA aufgrund der Krise hinter dem potentiellen BIP zurückbleibt. Da niemand die Banken zwingen will, diese der Gesellschaft aufgezwungenen Kosten voll zu bezahlen, haben sie eigentlich keinen Anlass zu Klagen, wenn sie „nur“ die weit geringeren direkten Kosten der Rettungsaktion tragen sollen.

Die Politiker, die das Rettungsprogramm zu verantworten haben, versichern unaufhörlich: „Wir hatten keine Wahl. Man hat uns die Pistole auf die Brust gesetzt. Ohne die Rettung der Banken wäre alles noch viel schlimmer gekommen.“ Ob das Argument stimmt, sei dahingestellt, in jedem Fall aber lässt es eine zentrale Unterscheidung vermissen: Rettung der Bank ist nicht dasselbe wie Rettung der Banker und der Aktionäre. Es wäre durchaus möglich gewesen, die Banken zu retten, die Banker und die Aktionäre aber nicht. Die Rechnung lautet ganz einfach: Je mehr Geld wir in den Taschen der Aktionäre und Banker lassen, desto tiefer muss der Steuerzahler in die Tasche greifen.

Unser Bankenrettungsprogramm sollte auf einigen wenigen Grundprinzipien beruhen. Der Plan muss erstens transparent sein, zweitens darf er den Steuerzahler so wenig wie möglich belasten, drittens muss er die Banken instand setzen, die Bereiche der Realwirtschaft, die Arbeitsplätze schaffen, wieder mit Krediten zu versorgen. Zudem muss natürlich jede Lösung auch gewährleisten, dass der Finanzsektor uns künftig nicht wieder dieselben Probleme beschert.

Nach diesen Kriterien ist das von der Regierung aufgelegte Rettungsprogramm ein glatter Fehlschlag. Dieses „Troubled Assets Relief Program“ (TARP, zu deutsch: Programm zur Entsorgung unsicherer Vermögenswerte) ist unglaublich teuer, ohne dass es die Kreditvergabe wieder ankurbeln könnte. Bushs Finanzminister Henry Paulson zahlte den größten Banken eine riesige Summe aus; was die Steuerzahler dafür bekamen, war nicht einmal zwei Drittel dieser Gelder wert – und dieser Wert ist seitdem noch massiv geschrumpft.

Nachdem das TARP zur Konsolidierung des Banksektors beigetragen hat, ist das Prinzips „too big to fail“ (zu groß, um zu scheitern) noch problematischer geworden. Die Banken zahlen weiter ihre Dividenden und Bonusse aus, aber sie geben nicht einmal vor, die Kreditvergabe wieder anzukurbeln. „Mehr Darlehen gewähren?“ stöhnte John Hope III, Chef der Whitney National Bank in New Orleans, im November 2008 vor einem Saal voller Wall Street-Analysten. Die Steuerzahler bekommen also für die 350 Milliarden Dollar, die sie aufgebracht haben, nicht einmal ein Auskunftsrecht, geschweige denn ein Mitspracherecht darüber, was die Banken mit den Milliarden anstellen.

Das Scheitern von TARP kommt nicht überraschend. Schließlich ist alles eine Frage der Anreize: Die Banker werden keine neuen Darlehen vergeben, wenn sie keinen Grund dafür sehen - oder nicht dazu gezwungen werden. Bonusse in Milliardenhöhe als Belohnung für Rekordverluste - das ist in der Tat eine seltsame „Anreizstruktur“. Den Bankern wird hemmungslose Gier vorgeworfen, weil sie das schwer verdiente Geld der Steuerzahler für Bonusse und Dividenden ausgeben, aber aus ökonomischer Sicht muss man ganz nüchtern sagen: Sie reagieren damit schlicht und ganz rational auf die positiven und negativen Anreize, die ihnen vorgegeben werden.

Aber die staatlichen Zuschüsse wären wohl ohnehin nicht in neue Kredite geflossen. Die Banker hätten das Geld wahrscheinlich nur gehortet. Prinzipiell soll eine Rekapitalisierung der Institute die Vergabe neuer Darlehen möglich machen. Aber die Fähigkeit und die Bereitschaft zur Kreditvergabe sind zwei verschiedene Dinge. Angesichts der tiefen Rezession sind die Risiken der Kreditvergabe enorm angestiegen. TARP enthält keinerlei Bestimmungen, die Anreize für neue Kredite fordern oder schaffen würden; das Programm konzentriert sich allein darauf, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. Aber wir müssen den Blick nach vorn richten und die Risiken künftiger Kredite beschränken. Man stelle sich nur vor, was man mit Geldern in Höhe von 700 Milliarden Dollar finanzieren könnte. Bei einem maßvollen Leverage-Faktor von 10 : 1 ließen sich neue Darlehen in Höhe von sieben Billionen vergeben(2) – eine Summe, die den Kapitalbedarf der Unternehmen satt abdeckt.

Nun ist es gar nicht so schwer, die Kreditvergabe wieder anzukurbeln: Der Staat muss nur alle oder fast alle Risiken schultern. Zum Beispiel läuft die Politik der Fed im Grunde darauf hinaus, den US-Konzernen größere Darlehen zu bieten und damit einen bedeutenden Vorteil gegenüber den kleinen und mittleren Unternehmen zu verschaffen (bei denen aber die Jobs entstehen!). Wir haben keine Ahnung, ob die Fed dabei die Risiken richtig einschätzt und einen den Risiken angemessenen Zinssatz erhebt. Ernsthafte Zweifel sind angesichts der letzten Ereignisse angebracht. Aber fast alle Beobachter sind sich einig: Was immer die Fed unternimmt, es ist nicht genug.

Die Obama-Regierung hat eine Reihe von Ideen in Umlauf gebracht. Die eine sieht eine „bad bank“ vor, in die alle faulen Vermögenswerte gesteckt werden, die von der Regierung zuvor aufgekauft, also auf staatliche Rechnung entsorgt werden müssen. Ein zweites Modell ist, den Banken staatliche Sicherheiten zu geben. Ein drittes sieht vor, dass der Staat privaten Investoren (wie Hedgefunds) hilft, faule Werte zu kaufen, zum Beispiel indem man ihnen Darlehen zu günstigen Bedingungen gewährt.

Anfangs hatte Paulson die Idee in Umlauf gebracht, dass die Regierung den Banken ihre faulen Vermögenswerte abkaufen würde. An der Wall Street war man von dieser Idee natürlich entzückt. Wer wäre das nicht, wenn er seinen Schrott zu aufgeblähten Preisen an den Staat loswerden könnte? Die Banken könnten einen Teil dieser faulen Werte auch jetzt schon abstoßen, aber eben nicht zu den gewünschten Preisen. Aber daneben gibt auch noch andere Werte, die private Investoren nicht mit der Feuerzange anfassen würden. Das gilt etwa für Schuldtitel, die sich in Nichts auflösen und damit die vom Staat bereitgestellten Gelder im Handumdrehen wegfressen könnten.

Der Effekt ließ sich bei dem Versicherungsgiganten AIG beobachten: Am 15. September 2008 sprach AIG noch von einer Finanzlücke von 20 Milliarden Dollar. Einen Tag später waren die Verluste auf 85 Millionen angewachsen. Kurze Zeit später war der nächste Zuschuss fällig, womit sich die Staatshilfe auf 150 Milliarden Dollar summiert hatte. Und am 1. März 2009 bewilligte die Regierung AIG weitere 30 Milliarden an Steuergeldern. Es war die vierte Intervention in weniger als sechs Monaten.

Paulsons ursprünglicher Plan war gründlich diskreditiert, als sich herausstellte, wie schwierig es war, Tausende suprime-Titel zu bewerten und aufzukaufen. In jüngster Zeit wurde eine neuere Variante dieses Vorschlags lanciert, wonach die Regierung solchen Finanzschrott gleich en gros kaufen sollte. Doch das Hauptproblem bei der Bestimmung der Preise von „toxic assets“, ob man sie einzeln oder en gros losschlagen will, bleibt stets dasselbe: Zahlt man zu viel für sie, erleidet der Staat riesige Verluste, zahlt man zu wenig, bleiben die Löcher in den Bilanzen der Banken immer noch so gigantisch, dass ein neuer Rekapitalisierungsplan nötig wird.

Die meisten Plane nach dem Schema „cash for thrash“ (Geld für Schrott) beruhen auf der Idee, dass man die toxischen Titel einfach in eine „bad bank“ steckt (die Befürworter dieser Idee ziehen das Wort „aggregierte Bank“ vor). Aber die Banken, die nur noch gute Vermögenswerte halten, hätten wahrscheinlich selbst dann noch zu geringe Bargeldbestände, wenn die Steuerzahler für den ganzen Schrott viel zu viel Geld hingelegt haben. Aber man hofft dann eben, dass die Banken für ihre weitere Rekapitalisierung private Vermögen auftreiben können, obwohl zu vermuten ist, dass die privaten Vermögensfonds daran nicht mehr sonderlich interessiert sind, nachdem sie sich in der Finanzkrise so übel die Finger verbrannt haben.

Ich halte die „bad bank“ für eine schlechte Idee, wenn sie nicht mit einer Verstaatlichung einhergeht. Wir sollten alle Pläne ablehnen, die auf „cash for trash“ hinauslaufen. Sie sind nur ein weiteres Beispiel für die Voodoo-Ökonomie, die im Finanzsektor so lange dominiert hatte. Also für die Art von Alchemie, die es den Banken erlaubte, hochriskante Subprime-Darlehen so zu tranchieren und zu mixen, dass sie am Ende wie bombensichere Bankobligationen aussahen. Irgendwie glaubt man auch jetzt wieder, durch die Verschiebung von faulen Vermögenswerten („bad assets“) in eine „aggregator bank“ könnten reale Werte entstehen. Ich vermute allerdings, dass die Wall Street über diesen Plan nicht etwa deshalb begeistert ist, weil die Banker in dieser Schrottentsorgung ein vorteilhaftes Geschäft für den Staat sehen, sondern weil sie auf einen nicht transparenten Geldsegen hoffen, den ihnen das US-Finanzministerium mit der Abnahme ihrer Schrottpapiere zu hohen Preisen bescheren wird.

Anders sieht es aus, wenn die Regierung solche Banken, die selbst die Mindestkapitalisierungsquote nicht erfüllen, übernimmt und unter staatliche Aufsicht stellt. Dann nämlich ist die Frage, wie Schrottpapiere zu bewerten sind, nicht mehr entscheidend: die Preisgestaltung wird zum Verrechnungsposten zwischen zwei staatlichen Konten. Ob die Regierung es sinnvoll findet, die „bad assets“ in einer „bad bank“ abzuladen, ist dann eine reine Managementfrage: Schweden hat es so gemacht, Norwegen nicht. Aber die Schweden waren nicht so töricht, Privatbanken ihre faulen Werte abzukaufen, wie es viele Stimmen in den USA fordern. Erst als die Regierung alle angeschlagenen Banken übernommen hatte, wurde die „bad bank“ gegründet.(3) In Norwegen lief die Sache vielleicht noch besser, wenn auch unter anderen Voraussetzungen.

Angesichts der Dimensionen des Schlamassels, in den uns die Wall Street hinein geritten hat, gehe ich davon aus, dass wir die Probleme umfassend anzugehen und eine Gesamtlösung anzustreben haben. Dabei muss man zunächst die Verluste aus dem Derivatenhandel ermitteln, was unter staatlicher Aufsicht viel leichter möglich ist (und womit auch die Risiken erheblich zu reduzieren wären). Anschließend müsste man die „toxic assets“ neu strukturieren und abstoßen.

Neuerdings ist auch eine andere Idee aufgetaucht: Die Regierung soll die Verluste der Banken versichern. Wenn nämlich das Risiko von Verlusten entfällt, würde der Wert dieser „toxic assets“ automatisch steigen, womit die Bilanzen der Banken aufgebessert würden. Die Idee gefällt den Bankern ganz ungemein, denn der Staat könnte ihnen ein großes Versicherungsvolumen zu kleinen Prämien bieten. Aber auch die Politiker sind begeistert: Damit besteht zumindest die Chance, dass sie, wenn die Rechnung fällig wird, Washington längst hinter sich gelassen haben.

Aber genau das ist bei diesem Konzept das große Problem: Wir werden auf Jahre hinaus nicht wissen, was es für die Staatsfinanzen bedeutet. Was uns die Banken vor einem halben Jahr über ihre wachsenden Defizite erzählt haben, hatte mit der Realität nichts zu tun. Und der Versicherer AIG musste seine Verlustzahlen innerhalb weniger Tage um zig Milliarden Dollar korrigieren. Die Immobilienpreise könnten nur noch um 5 Prozent sinken, vielleicht aber auch um weitere 25 Prozent. Wenn der Staat als Versicherer einspringt, müssen weder die Banken noch die Regierung das Ausmaß der Defizite in den Bankbilanzen offen legen. Das Ganze wäre nur eine Fortsetzung der nicht transparenten Transaktionen, die Wall Street zu allererst in die Bredouille gebracht haben.

Schlimmer noch: Das Versicherungs-Modell bedeutet eine noch krassere Verzerrung der Anreizstrukturen. Damit würden wir aus einer Welt, in der sich Gewinne und Verluste in einem Nullsummenspiel ausgleichen, in eine Welt hinüber gleiten, in der die Gesamtbilanz negativ wird, wenn nämlich die Verluste an Steuergeldern die Gewinne der Wall Street übersteigen.

Das Modell könnte die Bereitschaft der Banken, gewährte Darlehen umzuschulden, letzten Endes dämpfen. Das aber würde die Problem, das der Auslöser der Krise war, noch weiter verschärfen. Wenn nämlich eine Bank ein Darlehen umschuldet, muss sie einen Verlust verbuchen. Lässt sie dagegen das Darlehen weiter laufen und die Lage wird noch schlechter (was das wahrscheinlichste Szenario ist), trägt der Steuerzahler einen Großteil des Verlustrisikos. Im umgekehrten Fall dagegen, wenn sich die Immobilien-Preise erholen, blieben die Gewinne bei den Banken.

Noch schlechter ist der Vorschlag, private Investoren zu motivieren, die Schrottitel zu kaufen. Die Preise, die der Privatsektor derzeit zu zahlen bereit ist, liegen so niedrig, dass die Banken nicht interessiert sind, zumal sie damit die Löcher voll offenbaren würden. Wenn aber die Regierung diesen privaten Investoren Sicherheiten – oder gar günstige Kredite - bieten würde, werden sie bereit sein, einen höheren Preis zu zahlen. Bei ausreichenden Sicherheiten und hinlänglich günstigen Kreditkonditionen würden die privaten Investoren also sagen: Nur zu! Wir können unsere Banken wieder solvent machen.

Dieser Vorschlag ist aber nur ein Taschenspielertrick: Die privaten Investoren erwarten für den Einsatz von Kapital für ihr Risiko einen Gewinn. Aber ihre Kapitalkosten sind weit höher als die der Regierung. Die Verluste bei den Immobiliendarlehen sind ja real, deshalb wird der Privatsektor sie nicht ohne volle Kompensation übernehmen wollen. Das bedeutet, dass die Summen, die der Staat aufbringen muss, letztendlich um die erwarteten privaten Gewinne größer sein müssen.

Wie so viele andere Vorschläge, die von den Bankern selber kommen, beruht auch dieser auf folgendem Kalkül: Wenn die Banken die ganzen Verfahren nur hinreichend kompliziert und undurchschaubar gestalten, wird man erst im Nachhinein merken, wie hier der Banksektor bedient wurde. Wenn der Staat das Verlustrisiko voll auf seine Kappe nehmen würde, hätte das natürlich einen weiteren „Vorteil“: Der Plan würde die begeisterte Unterstützung der Hedgefonds finden, die bislang von dem TARP-Segen noch nichts abbekommen haben.

All diese Vorschläge stehen im Grunde vor demselben Problem: Das Loch in den Bilanzen der Banken ist weitaus größer als die 700 Milliarden Dollar, die der Kongress bewilligt hat – und ein Großteil der aus diesem Topf bislang verteilten Gelder wurde vergeudet. Deshalb verlegen sich die Finanzillusionisten auf ihre alten Spielchen – und das sind dieselben, die uns den Schlamassael beschert haben. Das ist zum einen die Strategie, die Kosten in nicht transparenten Bilanzen zu verstecken (was bei dem Versicherungs-Modell leichter geht).

Die andere Strategie kombiniert das bilanztechnische Hütchenspiel mit dem Zaubertrick des „leverage“, wobei die Illusion geweckt wird, solche kreditfinanzierten Geschäfte mit geringer Eigenkapitaldeckung seien frei von jedem Risiko. Nach diesem zweiten Modell legt die Regierung einen „speziellen Investitionsfonds“ auf, für den sie - sagen wir mal - 100 Milliarden Dollar als „Grundkapital“ bereitstellt. Der Fonds borgt sich dann weitere 900 Milliarden Dollar von der Notenbank. Natürlich setzt die Fed dabei das Geld der Steuerzahler aufs Spiel – aber ohne den Kongress um Erlaubnis bitten zu müssen. Das wäre, vorsichtig formuliert, eine bewusste Umgehung der demokratischen Prozeduren.

Unternehmen nehmen häufig mehr Kredite auf, als sie zurückzahlen können. Dann haben sie ein Problem, aber es gibt eine bewährte Methode, dieses Problem zu lösen. Sie lautet „Reorganisation der Finanzen“, oder kürzer: Bankrott. Das Wort verschreckte viele Leute, sollte es aber nicht. Bankrott bedeutet lediglich, dass die finanziellen Ansprüche an das Unternehmen neu geregelt werden. Wenn die Firma tief verschuldet ist, verlieren die Kapitaleigner (etwa Aktionäre) alles und die Gläubiger werden zu den neuen Eignern. Wenn die Lage weniger schlimm ist, kann man einen Teil der Schulden in Anteile (Aktien) umwandeln. Jedenfalls kann das Unternehmen dann wieder profitabel werden, weil seine Bilanz nicht mehr durch das Abtragen der Schulden belastet ist.

Glücklicherweise gibt es in den USA für einen solchen Neuanfang eine besonders effektive Methode: das Kapitel 11 des Insolvenzrechts, dessen Regeln etwa wiederholt von Fluggesellschaften in Anspruch genommen wurden. Unter einem neuen Management und von der Schuldenlast befreit kann die Gesellschaft weiter fliegen; Arbeitsplätze und Vermögenswerte bleiben erhalten.

Die Insolvenz einer Bank unterscheidet sich allerdings in zwei Punkten: Sie trifft die Einleger besonders hart, und sie kann zu riesigen Problemen in der Realwirtschaft führen. Auch deshalb hat die Regierung Obama eine Garantie für die Bankeinlagen ausgesprochen. Das bedeutet allerdings, dass der Staat beim Zusammenbruch einer Bank in der Pflicht ist. Und das ist etwas Anderes, als wenn eine lokale Pizzeria bankrott geht.

Zudem wissen wir aus langer Erfahrung, dass die Manager von gefährdeten Banken zu Strategien neigen, die noch mehr öffentliche Mittel aufs Spiel setzen. Zum Beispiel werden sie sich wahrscheinlich auf hochriskante Operationen einlassen. Wenn gewinnen, behalten sie die Erträge; wenn sie verlieren, ist es ihnen auch egal, denn sie hätten ohnehin Bankrott gemacht. Genau deshalb gibt es Gesetze, die besagen: Hat eine Bank zu wenig Kapital, sollte sie dicht gemacht werden; wir wollen nicht warten, bis die Kassen leer sind.

Weil der Staat bei einer Bankeninsolvenz für so viel Geld einzustehen hat, muss er bei der Umschuldung eine aktive Rolle übernehmen. Selbst beim Bankrott einer Fluggesellschaft setzen die Gericht eine Person ein, die darauf achtet, dass bei der Umstrukturierung die Interessen der Gläubiger berücksichtigt werden. Normalerweise geht die Sache glatt über die Bühne: Die Regierung findet eine gesunde Bank, die dann die insolvente Bank übernimmt. Damit die gesunde Bank das tut, muss der Staat häufig „die Löcher stopfen“, das heißt bei der zu übernehmenden Bank die Differenz zwischen den Ansprüchen der Einleger und dem Wert der Aktiva ausgleichen. Das läuft wie bei einer normalen Übernahme oder Fusion, nur dass in diesem Fall die Regierung das Ganze moderiert. Üblicherweise gehen bei diesem Prozess die Aktionäre leer aus, und häufig muss neues Geld von der Regierung und/oder von privaten Investoren nach geschossen werden.

Manchmal allerdings findet die Regierung keine gesunde Bank, die zu der Übernahme bereit wäre. Dann muss sie die gescheiterte Bank selbst übernehmen. Normalerweise wird sie in diesem Fall eine Umstrukturierung vornehmen, also viele Filialen schließen und vor allem Kreditabteilungen mit besonders schlechten Bilanzen. Anschließend wird sie die Bank verkaufen. Das Ganze kann man auch „vorübergehende Verstaatlichung“ nennen. Aber wie immer man es nennt, es ist keine große Sache. Doch erwartungsgemäß wollen uns die Banken glauben machen, dass es das Ende der Welt bedeutet. Und natürlich kann eine staatliche Übernahme schlecht gemanagt werden, wie etwa im Fall von Lehman Brothers. Aber es gibt weit mehr Beispiele, wo es gut gegangen ist.

Die heutige Situation sieht allerdings etwas anders aus. Es gibt viele ungesunde Banken, aber nur wenige gesunde, die sie übernehmen könnten. Und dem ganzen Banksektor geht es – wie der Realwirtschaft - so schlecht, dass wir nicht wissen, wie viel Geld letztlich erforderlich ist. Wir wissen nicht, ob die Ansprüche der Einleger den Wert der Aktiva übersteigen, und wenn ja, um wieviel. In dieser Situation dürften die Banker argumentieren: Wenn wir die Vermögendwerte lange genug halten, und wenn der Immobilienmarkt sich erholt, und wenn die Rezession nicht zu krass ausfällt und wenn sie nicht zu lang dauert - dann können wir alle Verpflichtungen erfüllen: Im Grunde sind wir „solvent“, wir kommen nur nicht an das Geld, das wir brauchen.

Das sind eine Menge „Wenns“. Deshalb halten sich die Regierungen in der Regel an die Marktwerte. Heute besteht der Verdacht, dass die Banken bei den aktuellen Marktpreisen ihren Kapitalbedarf nicht decken können, und erst recht nicht bei der künftigen Marktentwicklung, weil der Fall der Immobilienpreise anhält uns sich beschleunigt. Doch die Banken wollen offensichtlich nicht, dass der Staat sich an die Marktregeln hält. Sie wollen den Tag der Abrechnung hinausschieben. Sie wollen, was man Stundung nennt: Lasst uns die kleine Flaute abwarten, prinzipiell sind wir ja gesund. Das müssen sie natürlich sagen. Und natürlich behaupten die Banken, dass die Marktpreise die wahre Werten nicht wiedergeben.

Aber in der großen Sparkassenkrise der 1980er-Jahre haben wir die bittere Erfahrung gemacht, dass Abwarten sehr viel Geld kostet. Und jetzt sind wir wieder dabei, diese Erfahrung zu wiederholen. Die Obama-Regierung scheint einen Vorschlag zu machen, der aus diesem Wirrwarr herausführt: Sie nennt es „Belastungstest“: Lasst uns sehen, wie es euch wirklich geht. Wenn ihr den Test übersteht, werden wir euch über eure vorübergehende Schwierigkeiten hinweghelfen. Ein solcher Belastungstest stützt sich auf mathematische Modelle, um herauszufinden, wie es der Bank bei unterschiedlichen Szenarien ergeht.

Aber solche Belastungstests haben die Banken angeblich die ganze Zeit schon routinemäßig und von sich aus gemacht. Ihre Simulationsmodelle besagten, dass alles zum Besten steht. Heute wissen wir, dass diese Modelle versagt haben. Was wir nicht wissen: Hat die Regierung inzwischen bessere oder wird sie die alten, gescheiterten Modelle benutzen? Jetzt hört man immer wieder, dass mant Zeit braucht; aber während wir warten, werfen wir dem schlechten Geld immer mehr gutes hinterher und erhöhen damit jeden Tag unsere öffentliche Verschuldung.

Wir wissen auch, dass die worst-case-Annahmen, die in dem Belastungstest durchgespielt werden, weit hinter den worst-case-Szenarios zurückbleiben, die einige Ökonomen ausmalen. Das könnte bedeuten, dass auch selbst die Banken, die den Belastungstest überstehen, irgendwann noch mehr Subventionen brauchen.

In den USA sieht man allmählich ein, dass wir etwas tun müssen, und zwar sofort. Wir haben bereits einen gesetzlichen Rahmen für den Umgang mit unterkapitalisierten Banken. Den sollten wir rasch nutzen, mit einigen Modifikationen, die der verschärften Problemlage gerecht werden. Dabei stehen uns mehrere Wege offen. Da wäre erstens die Gründung einer „guten Bank“.(4)Das Idee sieht so aus: Statt die „bad assets“ (schlechten Aktiva) beim Staat abzuladen, werden die „good assets“ herausgefiltert, für die ein Preis leicht zu ermitteln ist, und bilden den Grundstock einer neuen Bank. Wenn die Ansprüche der Einleger und andere Ansprüche, deren Schutz der Staat als notwendig erachtet, unter dem Wert dieser „guten“ Vermögenswerte liegen, könnte die Regierung diese Differenz an die alte Bank überweisen (die man auch „bad bank“ nennen könnte). Im umgekehrten Fall hätte die Regierung einen vorrangigen Anspruch in der entsprechenden Höhe an die alte Bank. Zu normalen Zeiten wäre es nicht schwer, die „gute Bank“ über private Beteiligungen zu rekapitalisieren. Aber da wir keine normalen Zeiten haben, müsste der Staat die Bank vielleicht eine Zeitlang in eigener Regie betreiben.(5)

Das Konzept der „guten Bank“ hat den Vorteil, dass man den Begriff „Verstaatlichung“ vermeiden kann. Leichter verdaulich wäre vielleicht ein milderer Ausdruck wie „staatliche Aufsicht“. Doch wie immer man es nennt, klar sollte sein, dass der Begriff eigentlich nur eine Rückbesinnung auf die guten alten Regeln ist, die für die Behandlung überschuldeter Unternehmen gelten sollten.

Das Argument, dass man dem Staat nicht zutrauen könne, effektiv mit Kapital umzugehen, klingt dieser Tage wenig überzeugend. Keine Regierung hat je in Friedenszeiten finanzielle Ressourcen in demselben Ausmaß verspielt wie das privatwirtschaftlich organisierte Finanzsystem der USA. Die Anreizstrukturen der Wall Street waren darauf angelegt, kurzsichtiges und übermäßig riskantes Verhalten zu fördern. Banker sollen sich eigentlich mit Risiken Bescheid auskennen, aber sie haben nicht einmal die einfachsten Grundlagen etwa der Theoreme über asymmetrische Informationen(6) oder über die Wechselwirkung von Risiken kapiert.

Es spricht alles dafür, dass eine vorübergehend verstaatliche Bank viel besser abschneidet, denn selbst wenn das Personal weitgehend dasselbe bleibt, werden wir die perversen Anreize abgeschafft haben. Im übrigen dürfte eine staatlich geführte Bank mehr Zeit und Geld dafür verwenden, ihren Angestellten etwas über Risikomanagement, solide Kreditvergabe, soziale Verantwortlichkeit und Ethik beizubringen. Wie die Erfahrungen in anderen Ländern, etwa in Schweden und Norwegen, zeigen, kann so etwas gut und erfolgreich über die Bühne gehen. Und beim nächsten Wirtschaftsaufschwung können die profitablen Banken auch wieder privatisiert werden.

Wir brauchen also keinesfalls eine ganze neue Wissenschaft. Die Banken müssen nur wieder die Aufgabe erfüllen, für die sie gedacht sind: mit der gebotenen Vorsicht Geld an Unternehmen und Privathaushalte zu verleihen. Das erfordert aber nicht nur flüchtige, sondern solide Kenntnisse über den Zweck, für den der Kreditnehmer das Geld verwenden will und über seine Fähigkeit, es zurückzuzahlen.

Was wir darüber hinaus brauchen, ist ein planvolles Konzept für die Entsorgung der alten „bad assets“. Sie von einem Eigentümer zum nächsten weiter zu schieben ist keine Lösung. In einigen Ländern haben staatliche Agenturen den Verkauf solcher Wertpapiere gut bewältigt. Doch in einigen asiatischen Ländern, die von der Finanzkrise vor zehn Jahren gebeutelt wurden, waren die Erfahrungen weniger gut, weil man mit der Entsorgung bestimme Investmentbanken und Hedgefonds beauftragt hat. Die hielten die Papiere eine kurze Zeitspanne, bis die Wirtschaft sich wieder erholt hatte, und erzielten dann beim Verkauf exorbitante Gewinne auf Kosten der jeweiligen Steuerzahler. Und um dem noch die Krone aufzusetzen, haben etliche dieser Institutionen ihre Riesenprofite nicht einmal versteuert, sondern in Steueroasen deponiert. Angesichts solcher Erfahrungen sollte man mit sich mit Hedgefonds und anderen Investmentunternehmen gar nicht erst einlassen.

Irgendwann endet jeder wirtschaftliche Abschwung. Am Ende werden wir die umstrukturierten Banken zu einem guten Preis wieder verkaufen können (allerdings nicht, wie zu hoffen wäre, zu einem Preis, der auf den irrationalen Erwartungen der nächsten Finanzblase basiert). Mit den Erträgen können wir dann wenigstens beginnen, das riesige Defizit abzutragen, das diese Finanzkatastrophe unserem Land auferlegt hat.

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Anmerkungen

1) „moral hazard“ bedeutet wörtlich „moralische Versuchung“; als ökonomischer Begriff bezeichnet er ein „falsches“ Anreizsystem, das subjektive Risiken mindert und somit zu folgenlosem riskanten Verhalten einlädt.

2) „Leverage“ ist das Verhältnis von Eigen- zu Fremdkapital bei Finanzierungsgeschäften. Eine Leverage von 10 : 1 bedeutet, dass man mit einem bestimmten Kapital Kredite in zehnfacher Höhe aufnehmen kann.

3) Als „bad bank“ fungierten in Schweden die beiden staatlichen Gesellschaften Securum und Retriva, die später ihre riskanten Titel wieder auf dem Markt verkaufen konnte. Dadurch reduzierten sich die Verluste für die öffentliche Hand ganz erheblich, nach manchen Einschätzungen sogar auf Null. Siehe www.newsweek.com/id/162308.

4) Varianten dieser Idee wurden bereits von Willem Buiter (Professor an der LSE), und von George Soros vorgetragen.

5) Die alte Bank müsste derweil versuchen, ihre toxischen Werte möglichst günstig los zu werden. Wegen ihrer unzureichenden Kapitalausstattung könnte diese Bank keine Einlagen annehmen, es sei denn sie findet neue private Investoren.

6) Stiglitz hat die Theorie der asymmetrischen Informationsverteilung in wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen systematisch entwickelt und für diese Leistung den Wirtschafts-Nobelpreis 2001 erhalten.

Aus dem Englischen von Niels Kadritzke

©Agence Global; für die deutsche Übersetzung Le Monde diplomatique, Berlin

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