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Archiv-Artikel

Zur Miete bei den Heuschrecken

Der Wohnungsmarkt in Nordrhein-Westfalen befindet sich im strukturellen Wandel. Landesweit sind allein in den letzten beiden Jahren über eine Viertel Million Wohnungen privatisiert worden. Mieter sehen sich als Spekulationsopfer

VON BARBARA RUPFLIN

Die Blütezeiten des Rheinischen Kapitalismus sind vorbei. Das bekommen am deutlichsten die zu spüren, die für ihn gearbeitet haben und von ihm versorgt worden sind. Früher wohnten tausende Arbeiter in unternehmenseigenen Mietshäusern und bezahlten dafür Mieten, die deutlich unter denen des freien Wohnungsmarktes lagen. Um Gewinne ging es dabei kaum.

Heute haben viele Unternehmen, wie die deutsche Bahn, E.ON, RWE oder ThyssenKrupp ihre Wohnungsbestände an Investmentfonds verkauft. Aichard Hoffmann vom Mieterbund Ruhr bescheinigt den Fonds Heuschreckenqualitäten: „Wenn die Zitrone ausgepresst ist, zieht die Kapitalgesellschaft weiter.“ Auf diese Art und Weise sei keine vernünftige Stadtentwicklung mehr möglich.

Auch die öffentlichen Hände verkaufen ihre Wohnungen. Die Käufer sind international agierende Investmentfonds, so genannte „Private Equity Fonds“ (siehe Kasten). Diese kaufen mit wenig Eigenkapitalanteil die Wohnungen auf und profitieren dabei von den niedrigen Kreditzinsen. So können sie Renditen von 20 Prozent und mehr erzielen. Mittel bis langfristiges Ziel der Investmentfonds ist es die Mietwohnungen entweder in Eigentum umzuwandeln oder Häuserweise weiterzuverkaufen. Der Weiterverkauf erfolgt meist über mehrere Zwischenhändler an kleine, lokale Wohnungsbewirtschaftungsunternehmen oder die ehemaligen Mieter.

Der erste große Verkauf fand Anfang 2000 statt. Die Deutsche Annington, ein Investmentfond dessen Mutterkonzern Terra Firma in Großbritannien ansässig ist, kaufte über 100.000 Eisenbahnerwohnungen aus dem Vermögen der deutschen Bundesbahn auf. Ein weiterer prominenter Fall ist der Kauf von 81.000 Wohnungen der Gagfah durch den Investmentfond Fortress mit Sitz in den USA im vergangenen Jahr. Die Gagfah war bis zu diesem Zeitpunkt im Besitz der BfA.

In Nordrhein-Westfalen sind bisher mehr als 200.000 Wohnungen an Investmentfonds verkauft worden. Aktuell sollen über 100.000 Mietwohnungen in NRW privatisiert werden. Die Landesregierung will die Landesentwicklungsgesellschaft (LEG), wie im Koalitionvertrag von CDU und FDP vorgesehen, verkaufen. Die LEG ist das zweitgrößte nordrhein-westfälische Wohnungsunternehmen und damit der „letzte große Brocken in NRW“, sagt Hoffmann.

Wer die LEG kaufen wird, ist noch unklar. Als Favorit wird die RAG Immobilien gehandelt, aber auch von Mietervebänden und Gewerkschaften gefürchtete „Heuschrecken-Fonds“, wie Fortress, Terra Firma und Cerberus.

Gerade diese internationalen Investmentfonds bereiten den Mietern schlaflose Nächte. Viele fürchten, aus ihrer Wohnung ausziehen zu müssen, wenn es zum Verkauf kommt. Das Unternehmen Viterra beispielsweise will vier bis fünf Prozent des Bestandes pro Jahr verkaufen, das entspricht 10.000 Wohnungen. Meist werden die Wohnungen erst den jetzigen Mietern angeboten. Damit sie dem Kauf zustimmen, werden sie immer wieder mit Falschinformationen unter Druck gesetzt.

Die Folgen der Privatisierungen sind in den Siedlungen sichtbar. Ehemals öffentliches Grün zwischen den Häusern wird parzelliert und abgezäunt, die Siedlung wirkt durch An- und Umbauten wie ein Flickenteppich. In einer vor drei Jahren von Viterra an Häusserbau verkauften Siedlung in Bochum-Hiltrop wurden die ehemaligen Mieter zu großen Teil verdrängt, ein Teil der neuen Mieter ist schon wieder ausgezogen und die frisch Gebackenen Eigentümer haben keinen Mieteinnahmen mehr. In dieser Siedlung wurden die Mietwohnungen Häuserweise verkauft. Die neuen Besitzer der sechs Familienhäuser wohnen meist in der unteren Etage und vermieten die anderen Wohnungen weiterhin, um mit den Einnahmen ihre Kredite abbezahlen zu können. Die neuen Eigentümer haben in der Regel kein Geld für weitergehende Sanierungsmaßnahmen.

Auch bei den Investmentfonds gibt es kein Interesse an langfristigen Sanierungsprojekten, da die Wohnungen wieder verkauft werden sollen, unter anderem an REITs (siehe Kasten). Trotz der bereits existierenden Probleme, ist die Entwicklung poltisch gewollt: Die Einführung von REITs trifft parteienübergreifend auf breite Zustimmung. Wie die Städte in Zukunft aussehen, wird immer mehr zur Privatsache.