Klatsch und Tratsch vom taz-Kongress: "Das ist ja wie in einem Bullenstaat"

Auf dem taz-Kongress in Berlin gab es Promis, modische Extravaganzen und einen verhinderten Attentäter - Vor allem aber ganz viel Hunger nach Wissen und Nahrung.

Keine Schlacht in Sicht: Am Büffet und auf dem Podium gab es Harmonie satt. Bild: lars lingner

BERLIN taz Um 17 Uhr ging es los. Organisator Jan Feddersen eröffnete am Freitag im Restaurant Auster den taz-Kongress, um 17.17 Uhr fiel zum ersten Mal der Name Rudi Dutschke. Chefredakteurin Bascha Mika nannte diesen den "Schutzpatron der taz", während sie auf halber, aber mit rotem Teppich ausgelegter Treppe stand. Den Hintergrund bildeten die Spree und Ausläufer des Kanzleramtes.

Utopie: Zusammen mit Freiheit das Motto des Kongresses und möglicherweise neben Hunger das meistgesagte Wort des Wochenendes. Auch der Leiter des Hauses der Kulturen der Welt, Bernd Scherer, lieferte einen umfassenden Exkurs zum Utopie-Begriff. taz-Freund Daniel Cohn-Bendit konzentrierte sich auf die Freiheit und erklärte, was mit ihr zusammenhängt, also alles. So auch das Ende von Filmen, die noch keiner gesehen hatte.

Köpfe: taz-Redakteur Christian Füller erschien mit Hut und lag mit seinem Mitbringsel vom Rindermarkt auf Mallorca modisch ganz weit vorn. Denn: Auch viele andere Besucher bedeckten ihre Häupter: Schiebermütze, Baseballkappe, Anglerhut, vor allem aber Hüte vom Typ Fedora waren bei den Männern Trend. Die Frauen trugen lieber Federn im Haar, wie die Klangkünstlerin Dorle Ferber. Moderatorin Sonia Mikich beobachtete, die Frisuren würden hoch getragen, und bezeichnete ihre eigene als "Simone-de-Beauvoir-Gedächtnisfrisur".

Gewänder: Generell galt, je älter die Frau, desto bunter die Kleidung, je älter der Mann, desto weiter aufgeknöpft das Hemd. Hemden sah man einige, Krawatten eher weniger. Gesundheitsexperte Karl Lauterbach behauptete am Freitagabend gar, der einzige Mann im Anzug zu sein. Das vorherrschende Prinzip "Smart casual" bekam durch den Tübinger OB Boris Palmer eine neue Dimension. Farblich reiste er mit seinem kobaltblauen Sakko tief in die 80er. Nach Miami - so ungefähr. Eine noch weitere Strecke legte das Galakleid von Bascha Mika zurück - schwarz mit großen roten Punkten. Sie ließ es sich bei einem Peking-Besuch auf den Leib schneidern.

Must haves: Die taz-Papiertüte verriet: Sie baumelt an der Hand eines klugen Menschen. Oder zumindest eines, der etwas zu sagen hatte. In der Referentenbelohnungsbag steckten: Eine taz vom Samstag im neuen Layout, eine Blume in Orange, eine Tüte Mini-Brownies und Pflanzensamen. Der mit ©TOM-Comic bebilderte Pappbecher outete als tazpresso-Liebhaber, davon gab es ganz schön viele. Unverzichtbar: das Mobiltelefon. Denn dank Twitter ist die Handybenutzung während eines Vortrags nun Pflicht.

Insider: Wie sah der typische Kongress-Besucher aus? "Jung gebliebener, inzwischen eher bürgerlicher Altlinker, der ordentlich krumm vom vielen Denken ist." Das sagte einer, der es wissen muss: der Shiatsu-Praktiker von "Mobile Massage Berlin", der zahlreichen Besuchern sehr nahe kam.

Moderne Medien: im Auditorium eine große SMS- und Twitterwand. Hinter den Referenten, die durch die einlaufenden Fragen und meinungsstarken Kommentare teilweise verunsichert waren. Sollten sie nun weiter in der Runde diskutieren oder auf die Fragen auf der Wand achten. Es war ein wenig wie das rote Nachrichtenband bei n-tv, ein Hingucker, aber nicht immer ein guter. "Bla bla bla" lautete eine SMS beim Podium über Bildungsarmut. Ulf Poschardt, stellvertretender Chefredakteur der Welt am Sonntag, wurde gar unflätig angemacht, sodass Podiumsleiter Peter Unfried intervenierte. Hin und wieder stürzte das System auch ganz ab. Die taz-Blogger machten es sich mit ihren Laptops zwischen Getränkekisten gemütlich im tageslichtfreien Presseraum. Sie bekamen regelmäßig von tazlern Besuch, die sich ein Glas Cola schnorrten.

Erfolgspaare: Ralf Sotscheck und Autor Harry Rowohlt. Sie lasen am Samstag bis tief in die Nacht. Danach blieb dem Korrespondenten und Kolumnisten Sotscheck noch genug Kraft, um eine Kolumne für die Wahrheit zu schreiben. Zänkisch wie ein altes Ehepaar und doch ganz reizend zueinander: Der regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit hob Bascha Mika die vom Tisch gefegten Karteikarten auf. Sie signierte ihm eine taz. Er fand sie bezaubernd, sie meinte: "Wir sind ein gutes Team." Eine weitere wunderbare Paarung, so Mika in ihrer Eröffnungsrede, seien Rudi Dutschke und der Philosoph Ernst Bloch gewesen. Auf Strandbildern von damals sollen die beiden sehr einträchtig wirken.

Enthüllungen: Sonia Mikich gab zugute, dass ihr persönlicher Zugang zur taz in der Gründungszeit vor 30 Jahren ein "kulturell-sexueller" war - durch eine "leidenschaftliche Affäre" mit einem taz-Fotografen. Sie schwärmte von Schwarz-weiß-Entwicklungen in der Dunkelkammer. Thomas Lindemann von der Welt meinte: "Wenn alle, die bei der taz waren, weggehen, könnten wir bei der Welt den Laden dichtmachen."

Verwirrungen: Ging es nun um G-8-Gipfel oder G8-Gymnasien? Ist mit TSG Thorsten Schäfer-Gümbel oder doch das Transsexuellengesetz gemeint? KMK oder KuK? Also Kultusministerkonferenz oder Donaumonarchie? Lautet der Name vom taz-Urgestein Mathias Böckers oder Bröckers? Forscherin Jutta Allmendiger war gar über die Tageszeit verwirrt: "Das müssen wir hier heute Abend auch besprechen, also es ist ja erst Mittag, aber hier drin ist es so dunkel".

Skandal: Weil sie wegen des Soundchecks für den Niedecken-Auftritt am Freitagabend gegen zehn nicht ins Restaurant Auster durfte, empörte sich eine Besucherin lautstark: "Das ist ja wie in einem Bullenstaat hier. Ich geh jetzt nach Hause." Um zwei Uhr war sie immer noch da.

Ansichten: Grünen-Politiker und taz-Mitgründer Hans-Christian Ströbele, der so was wie ein Kamelhaarjackett trug, erklärte die taz-Geschichte: Die Zeitung sollte am 2. April 1979 erscheinen, ein Protokoll von damals habe festgehalten, dass eine nochmalige Verschiebung 100.000 Mark teuer sei. Außerdem räumte er mit einem historischem Irrtum auf: Die taz sei nicht aus dem "Tu nix"-Kongress entstanden, sondern war schon anderthalb Jahre vorher in Vorbereitung. Der Sänger Wolfgang Niedecken - frisch aus dem Bretagne-Urlaub und noch immer verfroren - freute sich auch, von Anfang an dabei gewesen zu sein. 1978 sei er auf einem taz-Benefizkonzert aufgetreten. Am Freitag sang er noch einmal für die taz. Ex-taz-Chefredakteurin Elke Schmitter lobte die Verbundenheit der Leser mit ihrer taz. Die Leidenschaftlichkeit dieser Beziehung könne man sonst nur noch mit jener "von Playmobilkonsumenten oder schweren Alkoholikern" vergleichen.

Understatement: taz-Geschäftsführer Kalle Ruch wurde bei der Eröffnungsgala auf die Bühne gerufen, wollte dort aber nicht lange bleiben: "Vielen Dank", sagte er, "es soll ja unterhaltend weitergehen."

Kritik: Die Gala war langweilig, meinte der Schriftsteller Igal Avidan. "Wo bleibt der Krawall?" Hätte er eine Rauchbombe gehabt, behauptet er ganz radikal, er hätte sie geworfen. Auch eine Besucherin des Podiums zum Geschlechterkampf am Samstag beschwerte sich: "Das ist mir alles zu harmonisch hier."

Freiheit: Yes Man Andy Bichlbaum fragte das Publikum, ob es lieber Fragen oder Vortrag wolle. "No questions", brüllte es da aus dem Auditorium. Später hieß es "no answers", zumindest keine konkreten. Auf die Frage, ob es okay wäre, ihn zu fälschen, antwortete er: "Yes". Und das tun wir hiermit: "Die taz ist die aufgeklärteste, abgeklärteste Zeitung der Welt und sieht auch im neuen Layout sehr, sehr schön und sehr zukunftsweisend aus", sagt Bichlbaum.

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