Werkschau von Hannes Kilian: Die Einsamkeit des Fotografen

Nachkriegsgeschichte und Neue Sachlichkeit begegnen sich in den Fotografien von Hannes Kilian, wiederentdeckt im Martin-Gropius-Bau in Berlin.

Der Wahnsinn hinter der Laube: "Glienicke, Berlin 1963". Bild: Hannes Kilian

Er war das Auge eines ganzen Jahrhunderts. Eines Jahrhunderts, das oft so verrückt war wie die Zeichen, die es hinterlassen hat. Manchmal, da hat er diese Verrücktheit auf einem Foto festgehalten. An einem Sommertag des Jahres 1963 zum Beispiel: In einer Gartenlaube in Westberlin sitzen drei ältere Menschen und starren stumm auf den Wahnsinn der Welt. Hinter ihrem gedeckten Gartentisch lauert er wie selbstverständlich. Ein Schild in zwei Sprachen kündigt ihn an: "Achtung! Hinter diesem Punkt beginnt die russische Zone."

Was diese skurrile Schwarz-Weiß-Aufnahme aus der Hochphase des Kalten Krieges illustriert, das ist eine Absurdität, herbeigeführt durch Mauerbau und Stacheldraht. Mochten andere Fotografen - etwa Peter Leibing mit seinem berühmten Bild eines in die Freiheit springenden NVA-Soldaten - den Weltenlauf als packenden Augenblick präsentieren, dem Urheber dieses Fotos ging es um anderes. Für ihn offenbarte sich Geschichte nicht im legendären Augenblick; für ihn bestand sie aus einer Schichtung von Banalität und Alltäglichkeit.

Vielleicht ist das der Grund dafür, dass der Fotograf hinter der Aufnahme lange Jahre vergessen war. Eine Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau will nun diese eklatante Lücke in der Fotografiegeschichte schließen helfen. Mit einer umfangreichen Werkschau, mit mehr als 300 Einzelbildern, ehrt man dort einen Lichtbildner, der in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte: den 1999 verstorbenen Hannes Kilian.

Für Ausstellungskurator Klaus Honnef ist die Sache eindeutig: "Hannes Kilian ist einer der bedeutendsten Fotografen Deutschlands." Warum selbst an ihm, wie er eingesteht, das Werk des 1909 geborenen Fotografen lange Zeit unbemerkt vorbeiziehen konnte, ist nur schwer zu erklären - immerhin hat Kilian zu Lebzeiten nicht nur für renommierte Magazine wie Stern oder Quick gearbeitet, er war ab 1961 auch Tanzfotograf für das Stuttgarter Ballett unter dem legendären Choreografen John Cranko.

Der Grund für die lang anhaltende Ignoranz hängt möglicherweise mit der Persönlichkeit Kilians zusammen. Im Gegensatz zu vielen seiner Generationsgenossen nämlich - darunter prominente Fotopioniere wie Otto Steinert oder L. Fritz Gruber - blieb Kilian zeit seines Lebens ein Einzelgänger. Wo andere sich in Gruppen zusammenfanden, da beharrte er auf Autonomie. Einflussreichen Netzwerken wie fotoform oder der Deutschen Gesellschaft für Photographie stand er skeptisch gegenüber.

Seine Abwesenheit war aber nur körperlich. Wer sich beim Durchlauf durch die zuweilen unübersichtlich gehängte Berliner Ausstellung genügend Zeit nimmt, der kann auf ästhetischer Ebene immense Zeitgenossenschaft erkennen. Mitte der 60er-Jahre etwa bekommt Kilian den Auftrag, die Produktion des VW-Käfers in Wolfsburg zu dokumentieren. Unübersehbar ähneln seine Bilder jenem legendären Fotoessay, das unter dem Titel Volkswagenwerk 1953 entscheidend zur Berühmtheit des Wuppertaler Fotografen Peter Keetman beigetragen hat.

Diese stilistischen Parallelen, sie kommen nicht von ungefähr. Wie viele Fotografen, deren Karriere zurückreicht bis vor die Zeit des faschistischen Epochenbruchs, greift auch Kilian bei der Gestaltung seiner Aufnahmen immer wieder auf Elemente der Neuen Sachlichkeit zurück. Mithilfe strenger Kompositionen verwandelt er simple Gegenstände in komplexe Lichtskulpturen. Sein Bildvokabular, es ist tief verwurzelt in der Avantgarde-Fotografie.

Und doch gibt es für ihn einen entscheidenden Bruch. Zu sehr hatte er sich ab 1941 in die Propaganda des NS-Systems verstrickt. Zwar war Kilian kein glühender Nazi gewesen, dennoch hatte er sich verführen lassen, die Barbarei fotografisch aufzuhübschen. Als Angehöriger einer Propagandakompanie waren seine Lichtbilder dabei behilflich, den Terror als teutonische Tugend zu präsentieren.

So war die Stunde null geprägt von Scherben und Brüchen. Nicht nur äußerlich richtet Hannes Kilian jetzt seine Kamera immer wieder auf das heimische Trümmermeer. Auch im Innern scheint bei ihm eine Welt beschädigt worden zu sein. Oft kehren seine Fotos nun eine existenzielle Einsamkeit heraus - sie zeigen Plätze von gähnender Leere und Menschen in eigentümlicher Isolation. Bezüge zum Werk Robert Häussers oder Toni Schneiders werden hier deutlich. Mit Letzterem teilte Kilian nach 1945 nicht nur eine augenfällige Melancholie, sondern ebenso unheilbares Fernweh.

Mochte der Eigenbrötler die Nähe zu solchen Kollegen auch nicht gesucht haben, in seinen Arbeiten sind sie offenkundig. Zu verrückt war in jenen Jahren die Welt, als dass Kilians Kamera an den Rissen in der Zeit hätte vorbeischauen können. Nicht zuletzt dieser immensen Gegenwärtigkeit ist es geschuldet, dass Hannes Kilian nun in Berlin posthum wieder in die Riege der großen Nachkriegsfotografen zurückgefunden hat.

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